Archive for Januar 2010

Über: Manafon / Amplified Gesture

Januar 18, 2010

Manafon

David Sylvian: Manafon / Amplified Gesture
(CD + DVD, Samadhisound, 2009)

In den letzten Jahren hatte ich David  Sylvian etwas aus den Augen verloren. Als ich vor Erscheinen seines aktuellen Album hörte, dass er nun mit vielen bad alchemistisch einschlägig bekannten Improvisateuren zusammenarbeitet, spitze ich die Ohren – und wunderte mich etwas darob. Was man allerdings gar nicht tun muss, wenn man weiß, dass Sylvian vor ein paar Jahren für „Blemish“ mit Derek Bailey kollaborierte. Auch schon kurz nach seiner Zeit bei der New Wave Band Japan waren auf den Platten von David Sylvian immer wieder interessante Gäste zu hören, beispielsweise Holger Czukay oder Jon Hassell. Auf „Manafon“ sind nun Musiker vertreten, die man u.a. von Ensembles wie AMM und Polwechsel kennt oder aus sich ständig wechselnden musikalischen Partnerschaften. Obwohl ich Name-dropping nicht mag, sollten diese erwähnt werden. Mit von der Partie sind Tetuzi Akiyama, Werner Dafeldecker, Christian Fennesz, Franz Hautzinger, Sachiko M, Marcio Mattos, Michael Moser, Toshimaru Nakamura, Evan Parker, Keith Rowe, Joel Ryan, Burkhard Stangl, John Tilbury und Otomo Yoshihide.
Für seine aktuellen Platte wurden Sessions dieser Impro-Musiker aufgezeichnet und anschließend von David Sylvian – mit Hilfe von Fennesz – bearbeitet, neu zusammengesetzt und editiert. Da knistert, fiept, bruzzelt und schmurgelt es, dass es eine wahre Freude ist. Ruhig, reduktionistisch. Echte Zuhörmusik. Über allem schwebt David Sylvian, der sich mit seiner rezitierenden Stimme – und auch mit Gitarre und Elektronik – nicht in die Riege der Improvisateure einreiht und somit ein bisschen die Sicht auf deren leise Töne versperrt. Seine Stimme drückt „Manafon“ sein Markenzeichen auf und macht dieses Album so zu einem typischen David Sylvian-Werk.

rowe

Parallel zu „Manafon“ entstand auch ein Film, der wohl als Making-of geplant war, aber am Ende zu einer „Introduction to free improvisation: practitioners and their philosphy“ wurde. „Amplified Gesture“ nennt sich dieser Dokumentarfilm von Phil Hopkins in schöner schwarz/weiss-Ästhetik. In sieben Kapiteln erzählen Musiker, die auch auf „Manafon“ zu hören sind (Dafeldecker, Fennesz, Sachiko M, Moser, Nakamura, Parker, Rowe,Tilbury, Yoshihide), aber auch John Butcher und Eddie Prévost davon, wie sie zur Musik und zur freien Improvisation kamen, über ihr Verhältnis zu ihren Instrumenten, der Interaktion mit ihren Mitmusikern, dem Publikum und der Architektur sowie ihren immerwährenden Antrieb zu improvisieren. Die Interviews führte Nick Luscombe. Ein Kapitel ist den Pionieren AMM gewidmet, die Mitte der 1960er Jahre mit ihren Gruppenimprovisationen anfingen. Damals wurde die Gitarre flach auf den Tisch gelegt, präpariert und malträtiert. Jahrzehnte später reduzierten andere Musiker ihr Mischpult zum no-input-mixing-desk (Nakamura) oder ihren Sampler zum Sinuswellengenerator (Sachiko M) um neue Möglichkeiten zu erforschen. Und gerade die alte Garde wundert und freut sich, dass improvisierte Musik von so vielen jungen Musikern betrieben wird, dass man garnicht mehr hinterher kommt, die neuen Talente unter die Lupe zu nehmen.
Der ca. einstündige Film „Amplified Gesture“ wurde zusammen mit der Surround Sound Version des Albums (wer braucht denn sowas?) auf DVD veröffentlicht – allerdings nur als Bestandteil der bereits ausverkauften „Manafon“-Deluxe Edition, die aus zwei schön gestaltete, dünnen Büchern im Schuber besteht. Der „Amplified Gesture“-Band enthält neben einem kurzen Vorwort des The Wire-Autors Clive Bell auch kleine Portraits – in Wort und Bild –  der im Film zu Wort kommenden Musiker.
Also die Augen offen halten – vielleicht wird dieser Film ja mal irgendwann irgendwo öffentlich aufgeführt!

(geschrieben im November 2009 für Bad Alchemy 65)

Fantas Schimun in Stereo

Januar 16, 2010

Fantas Schumi Cover

FANTAS SCHIMUN
Variationen über die Freiheit eines anderen /
Der Himmel ist blau – Ein Alptraum in Stereo

(DoLP, ZickZack, ZZ 2026)

Zuerst erscheint mir der Name dieser aus Wien stammenden Künstlerin unbekannt. Aber dann kommt mit dem vierten Titel ein Wiedererkennen: „Ich bin bis auf weiteres eine Demonstration“ war anno 2003 der Titelgeber einer ZickZack-Compilation. Auf selbigem Label ist nun eine Doppel-LP erschienen, die sich deutlich zweiteilt. Auf den Plattenseiten drei und vier wird eine Art Hörspiel dargeboten, in dem es um Liebe, Eifersucht und einen der ersten Billigflüge zum Mars geht. Bestechend schön die Nebeneffekte der in der Tonhöhe künstlich veränderten Stimmen. Unterbrochen wird diese medienkünstlerische Heimarbeit immer wieder durch songartige Stücke – wobei „Eia weia weg“ bereits auf einem weiteren ZickZack-Sampler zu finden war. Abgeschlossen wird dieses Werk durch „Herztropfen für‘s All“, einer Cover-Version des S.Y.P.H.-Songs „Nur ein Tropfen“. Das war nun also vermutlich der aus älteren Zeiten stammende Bonus zum eigentlichen Album. Während das Hörspiel und die Samplerbeiträge ungezwungen experimentell anmuten, wirken die neueren (?) Stücke eher wie urbane Folk Songs. Über Loops von beispielsweise Vogelgezwitscher und Bahnlärm oder rückwärts laufenden Spuren singt Fantas Schimun zur akustischen Klampfe in englischer und deutscher Sprache – und läßt sich dabei ab und zu gerne von elektrischem Gitarrenlärm stören. Das ist stellenweise herzzerreißend schön, z.B. bei „Everythings’s Far“ oder „Forget Her“. Und der instrumentale Titelsong „Variationen über die Freiheit eines anderen“ erinnert fast ein bißchen an das Penguin Cafe Orchestra. Keine Platte aus einem Guss, eher ein Sammelsurium, aber sympathisch und mit sehr schönen Perlen! Eine EP nur mit den englisch gesungenen Titeln (inkl. „Bon Tempi“) könnte ein Verkaufsschlager auf dem Mars werden.

(geschrieben am 14.01.2010 für Bad Alchemy 65)

Über: Alles nur geträumt

Januar 11, 2010

Hollow Skai:
Alles nur geträumt – Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle
(Hannibal / Koch)

Hollow Skai kennt man von früher. Zumindest vom Hörensagen. Damals in den frühesten 1980er Jahren hat er das No Fun-Label in Hannover betrieben (kollektiv mit Leuten u.a. von Hans-á-Plast) und somit den Aufstieg und Fall von Punk und New Wave aus deutschen Landen hautnah als Zeitzeuge erlebt. Davon erzählt er in seinem im Jahr des Herren 2009 bei Hannibal erschienenen Buch „Alles nur geträumt – Fluch und Segen der Neuen Deutschen Welle“. Er erzählt von den ersten deutschen Retorten-Punk-Bands und dem Düsseldorfer, Berliner, Hamburger und Hannoveraner Untergrund, aber auch von ein paar wenigen Bands in der Provinz. Er weiß zwischen New Wave, Neue Welle und Neue Deutsche Welle / NDW zu differenzieren. Und er hat das Insider-Wissen eines zu jener Zeit aktiven – alternativen – Geschäftsmannes um zu erklären, warum damals kleine Vertriebe eingingen und einzelne Bands zu den großen Kompanien wechselten. Und dann ist da noch die Geschichte von den altgedienten Profi-Musikern, die auf den „Die neue Welle zur Frikadelle“-Zug aufsprangen. Das ganze liest sich flott und unterhaltsam. Das einzige, was mich an diesem Buch stört ist, dass Hollow Skai dann manchmal doch etwas hudelt. Da behauptet er auf Seite 55, dass auf dem zweiten Album von Der Plan „beschwingte kleine Single-Hits wie ‚Da vorne steht ’ne Ampel'“ enthalten seien – meines Wissens wurde dieses Lied damals wirklich nur als 7″ veröffentlicht. Auf meiner „Normalette Surprise“-Vinyl-Ausgabe sucht man dieses Stück jedenfalls vergeblich. Und dass in der Auswahldiskographie im Anhang das Label Ata Tak konsequent falsch als Warning Records – dessen allererste Wuppertaler Inkarnation – erscheint, finde ich auch etwas befremdlich. Ebenfalls seltsam: dem Autor scheint eine Band, die ich bis dato erfolgreich versucht habe zu ignorieren, doch irgendwie sympathisch zu sein: Extrabreit. Der Roman „Hart wie Marmelade“ von deren Sänger Kai Havaii wird sogar besonders gelobt – während das Buch „AnarchoShnitzel schrieen sie“ von Oliver Maria Schmitt (Die Partei, ex Titanic Magazin) beherzt verrissen wird. Rührend, wie ernst Skai den teilweise etwas pubertär daher kommenden Satiriker Schmitt nimmt. Na dann werde ich mir wohl den Roman von Herrn Havaii mal antiquarisch besorgen und zu Gemüte führen müssen.

Ohne Bezug zu diesem Buch möchte ich Hollow Skai und seinen Mitstreitern bei No Fun Records danken für Langspielplatten von Bands wie Hans-á-Plast, Der Moderne Man,  Mythen In Tüten, 39 Clocks sowie Bärchen und die Milchbubis!

(18.12.2009)

Best of 2009

Januar 11, 2010

An Ende jeden Jahres Listen Listen Listen. Warum auch immer. Hier nun meine Lieblinge des Jahres 2009, wie gewohnt in alphabetischer Reihenfolge:

Alben:

ANIMAL COLLECTIVE – Merriweather Post Pavillion
DIE GOLDENEN ZITRONEN – Die Entstehung der Nacht
NIOBE – Black Bird’s Echo
MASHA QRELLA – Speaklow – Loewe And Weill In Exile
SLAPP HAPPY – Live in Japan – May, 2000
DAVID SYLVIAN – Manafon
THE THURSTON LAVA TUBE – The Year Of The Dog

Musik-DVDs:

Amplified Gesture
LES DIABOLIQUES  – Jubilee Concert

Netlabel Release:

HETZEL + SCHÜTZE –  InD (www.expiremental.com)

Konzerte:

BREWED BY NOON (02.10.2009, immerhin, Würzburg)
DIE GOLDENEN ZITRONEN (14.11.2009, Uebel & Gefährlich, Hamburg)
GUZ (28.05.2009, Hafenklang, Hamburg)
2 FOOT YARD (22.03.2009, Bechtolsheimer Hof, Würzburg)
Walter Weasel, Mary Halvorson, Peter Evans (08.05.2009, immerhin, Würzburg)

(Liste erstellt am 22.12.2009)

Vorwort

Januar 10, 2010

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit darf ich Sie zu meinem frisch eröffneten Blog begrüßen. Hier werde ich in unregelmäßiger Folge dies und das kommentieren. Wie immer absolut subjektiv. Vorwiegend geht es um Musik – aber auch über andere mehr oder weniger banalen Dinge. Mal seh’n! Früher habe ich – zusammen mit Freunden – ein Fanzine gemacht. Und wie damals werde ich nur über Sachen berichten, die mich auch wirklich interessieren. Mein Pseudonym hieß damals wie heute:

mr.boredom

(andernorts aka elkessommer)