Archive for Februar 2010

GUZ & Die Averells live im Hafenklang

Februar 26, 2010

(Hamburg, 28.05.2009)

So muss es sein. Genau in dem Moment als ich den sogenannten Goldenen Salon im Hafenklang betrete fängt die Vorgruppe zu rocken an. Drei Frauen aus Sydney namens Brigitte Handley & The Dark Shadows stehen da auf der Bühne und geben punkigen Rock‘n‘Roll mit etwas Gothic Flair zum besten und covern zwischendurch Devo‘s „Freedom of Choice“, was ich fast nur am Text erkannt habe. Power. Geradeaus. Schonmal okay.

Nach einer angenehm kurzen Umbaupause begaben sich GUZ & Die Averells aus der Schweiz auf die Bühne. Neben dem Songwriter Olifr M. Guz (Gesang, Gitarre) stehen diesmal Samuel Hartmann (Bass, Gesang) und Daniel D’Aujourd’hui (Schlagzeug, Gesang) als Die Averells mit auf der Bühne. Die drei kennen sich von Die Aeronauten, sind vielleicht auch privat gute Kumpels und legten zu dritt einen Sound hin, der das aktuelle Album „Mein Name ist Guz“ überproduziert wirken und mich entfernt an Thee Mighty Caesars oder irgendeine andere Band mit Wild Billy Childish denken ließ. Trotzdem vermisste man nichts. Die Songs von GUZ kommen auch so einfach gut. Es wurde fast alles von der eben erwähnten Platte gespielt, aber mindestens ebenso viele alte Stücke und Klassiker wie beispielsweise „Koresh Teed“ oder „Parisienne People“ sowie „Ideotental“ und auch „Krankenhaus“. Zwischen den Songs wurde manchal ausführlich mit den Zuhörern kommuniziert. Dem Publikum und den Fans hat‘s gefallen. Und Musikerkollegen wie Knarf Rellöm konnte man beim Sichzumusikbewegen sehen. Erst nach ungezählten Zugaben ging dieses Konzert zu Ende. Klasse war‘s!

(Wiederveröffentlichung – dieser Text wurde Ende Mai 2009 zusammengekloppt und bereits anderswo in diesem Netz veröffentlicht).

Offene Systeme

Februar 24, 2010

Wenn wir schon dabei sind, hier noch eine Cassetten-Besprechung.
Ebenfalls aus Oi Oi Oi! Heft Nummer 2 vom 19.09.1983.

Und hier wieder ein PDF zur besseren Ansicht.

Autor: (mrbore)dom

Concept City 808126

Februar 23, 2010

Unten stehende Besprechung wurde für das Würzburger Fanzine Oi Oi Oi! geschrieben und erschien in der zweiten Ausgabe vom 19.09.1983. Dieses Fanzine wurde drei Nummern später in 10.15 Megazine umbenannt.


Zur besseren Ansicht hier noch ein PDF

Verfasser: (mrbore)dom

Gehörlose Musik

Februar 21, 2010

Wolfgang Müller: Gehörlose Musik – Die Tödliche Doris in gebärdensprachlicher Gestaltung
(DVD mit Buch in einer hübschen Schachtel,
Edition Kröthenhayn
, 2006)

Wolfgang Müller ist nicht nur ehemaliges Gründungsmitglied der Westberliner Künstlergruppe Die Tödliche Doris – man könnte ihn auch als deren Nachlassverwalter bezeichnen. Denn diese Band gab es – so will es das Konzept – nur sieben Jahre lang, von 1980 bis 1987. Anfangs nahm ich sie nur als Musikgruppe wahr, erst im Laufe der Zeit entpuppten sich die „Genialen Dilletanten“ von Die Tödliche Doris für mich als Künstler, die auch Filme und Videos fabrizierten und sonstige Ausdrucksmöglichkeiten der bildenen Kunst durchexerzierten. Der Verleger und Vortragsreisende Martin Schmitz kann davon ein Lied singen. Die bei ihm erschienenen Bücher über Die Tödliche Doris sind empfehlenswert.

Bereits in den frühen 1980er Jahren kam Wolfgang Müller in Berlin mit einzelnen Gehörlosen in Berührung, die offensiv mit Hörenden kommunizeren wollten. In einem Super8-Film von Die Tödliche Doris wird bereits 1984 ein tauber Schlagzeuger gezeigt. Dieses Interesse schlug sich 1994 auch in „hörspiel/unerhört“ nieder, einer Produktion für den Bayerischen Rundfunk (zusammen mit Holger Hiller). Ein paar Jahre später, am 27.11.1998, wurde die auf dieser DVD dokumentierte Performance „Gehörlose Musik – Die Tödliche Doris in gebärdensprachlicher Gestaltung“ im Prater der Berliner Volksbühne aufgeführt. Dargeboten werden alle 13 Stücke, die auf der 1981 erschienen Langspielplatte „Die tödliche Doris“ (ZickZack, ZZ 123) veröffentlicht wurden. Wolfgang Müller sitzt ganz links auf der Bühne (ist aber nicht im Bild zu sehen) und bedient den Plattenspieler, während Andrea Schulz und Dina Tabbert, in dunkler Kleidung, Text und Musik gebärden. Das sieht dann weder nach Tanz noch nach Pantomime aus sondern ist eine Sache für sich. Manchmal teilen sich die beiden Dolmetscherinnen scheinbar die textliche und musikalische Ebene. Letzenendes ist diese gebärdensprachlicher Gestaltung nicht nur eine Interpetation sondern vor allem eine Übersetzung in eine andere Sprache – die ich weder verstehe noch beherrsche. Das Material von Die Tödliche Doris erfährt somit eine Transformation in eine andere Welt, die einem Hörenden besonders seltsam vorkommt, wenn man den Ton abstellt.

In einem auf dieser DVD ebenfalls enthaltenen, ca. 15-minütigen Interview erklärt Wolfgang Müller dann noch näheres zu den Hintergründen dieses ungewöhnlichen Unterfangens.

PS:
Noch ein Hinweis für Fans der Hörspiel- und Medienkunst:
Am 11. April 2010 findet auf der Welle von Bayern 2 Radio die Ursendung des neuen Hörspiels von Wolfgang Müller statt: „Learning Mohawk in fifty-five minutes“.

Respekt!

Februar 16, 2010

Fehlfarben – Glücksmaschinen
(LP / CD, Tapete Records)

Auch wenn es einzelne Leute gibt, die den heutigen Fehlfarben jegliche Relevanz für das Hier und Jetzt absprechen, so haben sie 2010 doch wieder ein neues Album mit acht kompakten, meist sehr munteren Stücken veröffentlicht. Da klingt nichts verstaubt, nostalgisch oder nach Verlegenheitslösung. Eher so als ob diese All Star Band – deren Mitglieder früher ja bei Mittagspause, Charley’s Girls, S.Y.P.H., Der Plan, Mau Mau, Camp Sophisto, Family 5 etc. mitwirkten – im Studio ihren Spaß gehabt und nebenbei acht Lieder aufgenommen hat. Da wird der Sommer nach der Krise besungen oder wie das so ist, wenn man wegrationalisiert wird. Auch wird von Peter Hein und seinen Mitstreitern ein kritischer Blick auf diese Sache mit den Internetbekanntschaften geworfen. Und natürlich freuen sie sich noch frei zu leben und nicht im Eigenheim dahin zu vegetieren. Für so eine Platte sollte man diesen Damen und Herren Respekt zollen. Aber am Ende des letzten Stückes, das anfangs als Instrumental daher kommt, wird man für eine solche Respektbekundung schon mal vorab beschimpft.
So mag ich Schallplatten: kurz und bündig, ohne jeglichen qualitätsmindernden Füllstoff.

Und hier kann man sehen, wie sich die Band – wie Peter Hein neulich während einer Lesung in Hamburg sagte – „zum Affen macht“:

16.02.2010

Tal der tanzenden Töne

Februar 10, 2010

Vor ein paar Wochen war ich wieder einmal im Würzburger H2O- Plattenladen und hatte noch etwas Zeit, so dass ich die Gelegenheit nutzte mal die beiden Kisten mit Ramsch-Singles durchzusehen. Dabei stieß ich auf die 7“ von Pantomime Jörn. Unspektakuläres Cover. Nur der Künstlername und das fast gleiche Schwarzweiß-Foto – mit unterschiedlichem roten Akzent – auf beiden Seiten der Hülle. Lustiger geht‘s auf den Etiketten dieser Schallplatte weiter. Das eine Stück heißt „Karate“ und das andere „Die bemerkenswerten, aber unvermeidbaren Abenteuer des Matrosen Schmidt-Müller vor Helgoland“. Oha! Als Künstler wird „Pantomime Jörn und das NO TONE ORCHESTRA“ angeführt. Aha! Und in der Tat befindet sich auf dieser Schallplatte nicht nur kein einziger Ton, nein, nicht mal eine leere Rille ist zu sehen. Schwarz glänzendes Vinyl. Wie sonst sollte eine Single eines Pantomimen aussehen?

Laut Künstler wurde diese Schallplatte so gegen 1980 veröffentlicht – „Der Gag lies sich leider nicht in das digitale Zeitalter mitnehmen“. Pantomime Jörn ist jetzt als Bildungsclown unterwegs.

10.02.2010

Kebabträume heute nicht

Februar 10, 2010

D.A.F. live am 27.02.2009 im Uebel & Gefährlich, Hamburg

Nachdem wir gegenüber dem Hochbunker am Heiligengeistfeld noch einen Falafel verspeist hatten, betraten wir früh am Abend – und nach einer kurzen Fahrt mit dem Aufzug – das Uebel & Gefährlich. Die Vorgruppe spielte bereits: Leichtmatrose bot leichten Gothic Electro Pop dar – mit deutschsprachigen Texten. Wobei Worte wie „Trauer“ und „Melancholie“ auf die Leinwand geworfen wurden. Aber düster war das gar nicht. Wobei mich so manch unfreiwillig komischer Reim sogar zum Lachen brachte. Die elektronische Klangspur wurde wohl eingespielt, Gitarre, Schlagzeug und Gesang – es war auch noch eine Backgroundsängerin mit von der Partie – waren live. Am Ende gab es wenig Zuspruch – Vorgruppe zu sein ist halt immer ein Scheissjob und „Leichtmatrosen haben’s schwer“.

Dann kam die Deutsch Amerikanische Freundschaft im Dunkeln auf die Bühne. Als erster Robert Görl mit einem Silberling, welchen er mit ausgestrecktem Arm dem Publikum präsentierte und anschließend in den Player einlegte. Statt damals Kassetten werden heute CDs als Abspielgeräte für das elektronische Playback verwendet – dazu wird live geschlagzeugert und gesungen. Wobei Gabis Stimme nicht so toll in Form war. Auch bei den „romantischeren“ Liedern gab er eher ein Shouten von sich. Hat er sich etwa bei seinen Techno-Ausflügen mit Daf Dos seine Stimme versaut? Als erster Track wurde der Titel „Gewalt“ eingespielt (nur der elektronische Teil dieses Frühwerkes) – der passende Soundtrack für den Auftritt von Gabi Delgado-López, der mit einem leichten, selbstsicheren Grinsen auf dem Gesicht die Bühne betrat.
Zuerst gab es mit „Verschwende deine Jugend“ noch einen frühen Titel. Mit ihrem 1980er Hit  „Der Mussolini“ brachte D.A.F. die Menge zum Toben. Das Publikum war vom Alter her sehr gemischt. Da gab es viele, die Robert und Gabi wohl noch von früher kennen. Aber auch junge Gesichter waren zu sehen. Gespielt wurden neben Frühwerken und fast allen Songs ihrer dritten LP „Alles ist gut“ (und der darauf folgenden) auch Songs ihrer Reunion-Platte „15 neue DAF Lieder“ aus dem Jahr 2003. Wobei gerade bei den Spätwerken schon mal Sachen dabei waren, die man besser nicht kennenlernen wollte. Einmal gab es auch einen Mash Up: zur Musik eines Track von „Die Kleinen und die Bösen“ (?) sang Gabi „Sex unter Wasser“.
Nach 60 Minuten war Schluss. Ungefähr vier Zugaben wurden dargeboten, zu jeder einzelnen ließen sich die Herren bitten. Wieder wurden CDs ein- und danach losgelegt. Statt „Kebabträume“ wurde noch mal „Der Mussolini“ zum Austoben vorgespielt. Vielleicht hätte ich vor dem Konzert keinen Falafel essen sollen?

(Wiederveröffentlichung – geschrieben am 03.03.2009 und bereits andernorts in diesem Netz veröffentlicht).

Blumfeld Revival Band

Februar 9, 2010

Jochen Distelmeyer live am 30.08.2009 in Hamburg (Kampnagel)

Irgendwie weißt ich auch nicht, was mich dazu gebracht hat, auf dieses Konzert gehen zu wollen. Ein richtiger Blumfeld-Fan war ich noch nie – und am Ende der Blumfeld-Ära sowieso nicht. Irgendwie war ich wohl neugierig zu hören, wie Jochen Distelmeyer nun solo klingt. Aber wie soll er schon klingen? Wie Blumfeld natürlich. Nun wieder etwas rockiger. Schließlich heißt das neue Album „Heavy“. Aber so schwerwiegend war das Konzert dann auch wieder nicht. Vorgruppe gab es keine. Seine neue Band taktete mit Feedback auf, dann kam Jochen Distelmeyer höchstpersönlich auf die Bühne. Die ersten drei Songs rockten gut, dann wurde es wieder etwas gemächlicher. Immer wieder wurden alte Blumfeld-Songs zum besten gegeben. Jochen Distelmeyer ist seine eigene Blumfeld Revival Band. Im großen und ganzen also nix neues. Schade! Aber seine Fans mögen‘s wohl. Bei mir macht sich eine gewisse Indifferenz breit. Und an Textfetzen wie „… es ist nur ein Song / Und ich flieg davon / zu dir…“ kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Kitsch! Vielleicht wären mir solche Zeilen sogar etwas peinlich…

(Wiederveröffentlichung – geschrieben am 02.09.2009 und bereits andernorts in diesem Netz veröffentlicht).

Irène Schweizer

Februar 7, 2010

A Film by Gitta Gsell
(Reck Filmproduktion / Intakt DVD 121)

Der Titel verrät es schon: hier handelt es sich um einen Dokumentarfilm über die Jazz-Pianistin – und nicht zu vergessen Schlagzeugerin – Irène Schweizer (*1941). Weltpremiere hatte dieser Film im Herbst 2005 in Luzern, am gleichen Oktober-Wochenende als Schweizer innerhalb der Konzertreihe ‚Director‘s Choice‘ zu einem Solo-Konzert ins Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) eingeladen war, das von Radio DRS 2 live übertragen wurde. Eine Würdigung ihres langjährigen musikalischen Wirkens, dem meinem Empfinden nach im großen Konzertsaal des KKL mehr Hochkultur- als Jazzfans beiwohnten. Trotzdem gab es lang anhaltende Standing Ovations – das würde in der Roten Fabrik nicht so schnell passieren, obwohl man ihre Musik an letzterem Ort vermutlich ernsthafter zu würdigen weiß.

Der Film zeichnet in einer geschickten Montage von jetztzeitnahen Interviews mit der Künstlerin und ihren Wegbegleitern (Musiker, Verleger, Freunde), altem Archivmaterial und neuen Live-Aufnahmen ein Portrait einer der wichtigsten PianistInnen der europäischen improvisierten Musik. Durch Studenten, die im Gasthof ihrer Eltern musizieren, kommt Irène im Alter von 12 Jahren mit Dixieland-Jazz in Berührung. In den 1960er Jahren gewinnt sie mit ihrem Irène Schweizer Trio den ersten Preis bei einem Amateur Jazzfestival, zusammen mit Mani Neumaier und Uli Trepte. Die 70er Jahre sind auch in der Schweiz eine wilde, vom politischen Aufbruch geprägte Zeit. Schweizers Musik radikalisiert sich – eine Reaktion auf die politische Lage. „So eine brutale Zeit erfordert brutale Musik“, sagt dann auch Jost Gebers (vom FMP) in die Kamera. In diese Zeit fällt auch Schweizers Engagement in Musikerkooperativen und der Emanzipationsbewegung sowie der Homosexuellen Frauengruppe (HFG). All dies wird nicht streng chronologisch erzählt, so werden die Verbindungen zwischen den „alten Zeiten“ und dem Hier & Jetzt deutlich gemacht. Mit dem Perkussionisten Louis Moholo, den sie in den Sechzigern als Mitglied der im Zürcher Club Africana gastierenden Blue Notes kennenlernt, geht sie 2003 auf Südafrika-Tour. Diese wird auch in diesem Film dokumentiert. Mit den durchaus schönen Afrika-Bilder (und auch den Schwimm- und Unterwasserbildern zu anderen Gelegenheiten) schweift die Kamera leider etwas vom musikalischen Thema ab. Mit der Formation Les Diaboliques, die aus der 1977 gegründeten Feminist Improvising Group hervorging, ist sie heute noch unterwegs – und irgendwie wirken Irène Schweizer, Maggie Nicols und Joëlle Léandre so als wären sie eine Freundinnen-Band.

Aber ich möchte jetzt nicht alles nacherzählen, was in diesem Film in kompakten 75 Minuten auf kurzweilige Art und Weise dargelegt wird. Ergänzend befinden sich auf dieser DVD noch zwei Live-Mitschnitte. Einmal Irène Schweizer zusammen mit Hamid Drake und Fred Anderson auf der Bühne des Jazzfestival Willisau 2004 (22 Minuten) sowie ein Jahr zuvor mit Han Bennink live im Moods Zürich (34 Minuten). Diese DVD sei nicht nur Intaktlos-Freaks empfohlen. Schließlich ist sie auch genau das Richtige für Leute wie mich, die andernorts als „Spätgeborene“ beschimpft werden. Und bitte nicht warten bis der Film irgendwann mal auf den Frequenzen der unterstützenden Sender Schweizer Fernsehen DRS oder 3Sat ausgestrahlt wird …

PS: Als Soundtrack zu diesem Film und als Irène Schweizer-Kennenlern-Album sei hier noch mal die in Bad Alchemy Nr. 48 auf Seite 32 so rigoros besprochene CD „Portrait“ (Intakt 105) erwähnt.

(geschrieben am 06. Juni 2006 für Bad Alchemy 51)

Unerhört! 2009

Februar 7, 2010

Ende letzten Jahres fand ja das Unerhört! Musikfilm-Festival 2009 in Hamburg statt (vom 3. bis 6. Dezember, in verschiedenen Kinos) – und endlich schaffe ich es, ein paar kurze Notizen dazu zu machen.
Das musikstilistische Spektrum war relativ breit gefächert. Eröffnet wurde das Festival mit einem Film über Schostakowitsch. Und am Ende wurde ein Film über Rap prämiert. Aber für mich ist Rap keineswegs Liebe und so setzte ich meinen eigenen Schwerpunkt auf andere Filme.

„Slide Guitar Ride“ von Bernd Schoch  war ein guter Einstieg. Der Dokumentarfilm portraitiert die amerikanische Primitive Rock‘n‘Roll One Man Band Bob Log III – ein verrückter Typ, der nie ohne Helm mit eingebautem Mikrophon auf die Bühne geht. Der Film nimmt die trashige Ästhetik seiner Musik auf und zwischendurch gibt es zwei animierte Sequenzen mit mehr oder weniger verrückten Geschichtchen von Bob Log. Man merkt, dass der Film von einem Fan gemacht wurde. Während der anschließenden Fragerunde erwähnte Schoch noch, dass sein nächstes Projekt ganz anders, wohl seriöser, aussehen wird – ein Film über drei ältere, lustige Herren – dem Alexander von Schlippenbach Trio. Darauf bin ich schon mal sehr gespannt.

Ein anderer Film, hinter dem ein Fan als Macher steckt, war „ON/OFF: Mark Stewart From The Pop Group to The Maffia“. Ursprünglich wollte Tøni Schifer nur eine Compilation mit Pop Group-Videos zusammenstellen. Aber da es zu wenig Material dieser Art gab, wurde ein Dokumentarfilm aus diesem Projekt. Ehemalige Bandmitglieder und andere Weggefährten kommen zu Wort, Live-Mitschnitte aus mehreren Dekaden werden gezeigt und auch Mark Stewart zu Hause bei seinen Eltern, etc. Keine große Filmkunst, aber sehr informativ. Nirgendwo sonst kann man Mark Stewart und Angie Reed Händchen haltend vor einem riesigen Ölbild posieren sehen. Wenn ich mich recht erinnere, war das sogar die Deutschland-Premiere dieses Filmes. Empfehlenswert!

Aber auch alte Filme fand ich sehr interessant. So z.B. „Oh Horn!“, einen Schwarzweiß-Film aus dem Jahr 1980 über den mittlerweile verstorbenen Posaunisten Albert Mangelsdorff. Schön, mal von ihm selbst erklärt zu bekommen, wie seine Technik mehrstimmig auf seinem Instrument zu spielen funktioniert. Mangelsdorff erzählt viel und spielt dazwischen solo.

Der Dreißigminüter „One Room Man“ mit Kevin Coyne kam ebenfalls schwarzweiß daher und wirkte fast wie ein Einmann-Theaterstück, das auf einer Bühne mit Ofen, Sofa, Stehlampe und einem Stapel alter Zeitungen dargeboten wurde. Ein ästhetisch schön reduzierter Rahmen für Kevin Coyne und seine Gitarre.

Interessant und sehr ordentlich gemacht waren natürlich auch die Dokumentarfilme „Das letzte Biest am Himmel“ über Blixa Bargeld und „My Name Is Albert Ayler“ – beides Produktionen, die für das deutsche bzw. schwedischen Fernsehen produziert und dort auch bereits ausgestrahlt wurden.

Unfreiwillig komisch bis eher anstrengend waren die „12 Defa Disco Filme“. Diese haben mit Discomusik nicht viel zu tun sondern heißen so, weil sie auch an Orten gezeigt wurden wo die Jugend der DDR ihre abendliche Freizeit verbrachte. Es wurden Jazzmusiker und Rockgruppen portraitiert. Ein junger Manfred Krug war ebenfalls zu sehen, ebenso eine Prog Rock Band aus Ungarn (?) usw. usf. Ein Defa Disco Film wurde sogar der bundesdeutschen Politrock-Band Floh de Cologne gewidmet. Bis Ende der 1970er Jahre fand ich diese Filme interessant. Später, als dann Bands wie Silly ins Spiel kommen, nicht mehr so sehr.

Die Musikzeitschrift Spex kooperierte offensichtlich mit dem Unerhört!-Festival und präsentierte dann auch die angeblich besten zehn internationalen Videoclips des Jahres 2009. Dieser Videoabend war für mich die reine Folter. Nette Clips zu banaler bis kommerzieller Musik. Der Spex-Video-Fachmann war begeistert. Trotzdem ist mir nicht begreiflich zu machen, warum ich mir vollkommen uninteressante Musik von beispielsweise Depeche Mode oder gar Lady Gaga anhören soll um bestenfalls nette Clips anzusehen. Reine Zeitverschwendung. Da hätte ich mir besseren Musikgeschmack gewünscht!

Trotzdem ein wunderbares Festival bei dem noch sehr viel mehr zu hören und zu sehen war. Meine kleine Auswahl an Filmen ist keineswegs repräsentativ. Ich hatte eher das Gefühl, dass ich nicht so die Publikumsrenner erwischt habe. Aber das ist mir ziemlich egal.

07.02.2010