Else Admire Disco Solution – Top Dance Hits (CD, Pyromusic / Our Distribution, 2009)
Ha, das ist doch schön, wenn man bei einem Bilderrätsel (na, wo hat sich denn der Else versteckt?) mitmacht und dann irgendwann eine Sendung mit einer CD und zwei Badges im Briefkasten vorfindet. Dumm nur, dass Else Admire hier voll in die elektronisch aufgemotzte Disco geht. Da pumpt der Bass einem „Umbalaka Chumba“ und drei weitere Tracks in die Ohren. Was hat denn da den Punkrocker Else Admire geritten? Hat das mit seiner Hochzeit zu tun? Früher musste man im Der kosmische Penis, einem Schweinfurter Fanzine, immer wieder Berichte über seine Entgleisungen lesen. Das ist schon länger her. Ebenso wie seine Liebeserklärung an die Fleischereifachverkäuferin. Aber Admire wäre nicht Else, wenn er hier nicht auch noch seine trashige Gitarrenband The Breitengüssbach Dolls aus den Bamberger Suburbs antanzen ließe. Die dürfen noch eine Punk-Version von „Dancing In A Disco“ beisteuern. Und diese gefällt mir dann auch am besten. Der Rest taugt eher als musikalische Untermalung zum beschwingten Frühjahrsputz.
Herpes und Fehlfarben live
(am 28.03.2010 im Uebel & Gefährlich, Hamburg)
Eigentlich wollte ich über dieses Konzert nichts schreiben. Denn im Juni 2007 hatte ich die Band schon mal am gleichen Ort gesehen und von daher waren für mich persönlich keine großen Überraschungen zu verzeichnen. Aber dann stieß ich auf einen Link zu einer Konzertkritik in der Welt und wollte meinen Augen nicht trauen. Da wurde so getan, als ob die Fehlfarben 2002 aus der Versenkung wiedererstanden wären – ein Blick in deren Diskographie hätte genügt um zu sehen, dass diese Band auch in den 1990ern in unterschiedlichen Konstellationen aktiv gar. Allerdings nicht mit so einer Schlagkraft wie jetzt. Ganz toll in diesem Artikel war auch die Behauptung, dass der Ansturm auf die Bar während der neuen Lieder deutlich größer gewesen wäre als bei den alten Hits (oder so ähnlich – ich werde mir jetzt diesen Artikel nicht heraussuchen um daraus zu zitieren). Das ist so eine abgehangene Floskel, die gerne genommen wird, wenn der Schreiberling irgendetwas nicht mag. Das mit dem Ansturm auf die Bar habe ich nicht beobachtet, denn ich stand vorne und was da hinten am Tresen abging war mir herzlich egal. Soweit zum Thema Qualitätsjournalismus.
Die Fehlfarben haben jedenfalls ordentlich gerockt an diesem Abend. Der offizielle Set wurde jeweils mit einem Song aus ihrem neuen Album begonnen und beendet. Zwischen „Glücksmaschinen“ und „Wir warten“ gab es eine bunte Mischung aus ganz alten, brandneuen und nicht mehr ganz so neuen Songs. Anschließend das Ritual mit den Zugaben und ca. fünf (?) weiteren Titeln. Natürlich wurden auch Hits wie „Paul ist tot“ und sogar „Ein Jahr (Es geht voran)“ gespielt – obwohl Peter Hein das Lied vor 30 Jahren nicht besonders mochte. Auch Liedgut, das damals ohne ihn entstand, wie „Die Wilde 13“ wurde dargeboten („… jetzt ’ne Coverversion…“). Schade, dass die launigen Ansagen von Peter Hein im Schlagzeuggewitter manchmal etwas untergingen. Die Band hat das Konzert natürlich profimäßig durchgezogen.
Für die Show wurden extra Klamotten gefertigt, die mit Farben gestaltet und beschriftet waren, die im Schwarzlicht extra grell leuchten. Gitarrist Uwe Jahnke mit seiner weißen Schlaghose schoss dabei den Vögel ab. Auch an Gerätschaften wurden Akzente mit Leuchtfarbe gesetzt. Und das Motto des Tages war am Podest unter dem Schlagzeug zu lesen: „Nicht alle durcheinander“. Auf dem Blog der Fehlfarben wird erklärt, was es mit diesem Spruch auf sich hat: er stammt ”von einer Kellnerin, die uns bediente und wir gerade mal alle schwiegen“.
Wer früh genug da war konnte noch eine hervorragende Vorgruppe erleben: Herpes, eine junge Band, anscheinend aus Berlin, die angenehm ungestylet (schreibt man das so?) und mit nervöser Energie daherkam. Fünf Leute an Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboards (die Frau könnte meinetwegen auch bei Aavikko einsteigen) und Mikrophon. Deutschsprachige Texte, kurze Songs. Klasse!
Wolfgang Müller – Séance Vocibus Avium
(CD / 7“-EP mit Buch, Fang Bomb, 2008)
(Hörspiel, Bayerischer Rundfunk, 2008)
Dieser Mann ist gut zu Vögeln, das pfeifen die Spatzen vom Dach. Seit Jahren interessiert sich der Berliner Künstler Wolfgang Müller für allerlei Vogelgezwitscher. Nicht nur Blaumeisen, Kurt Schwitters singende Stare oder gar Riesenalken haben sich in seinem Werk niedergeschlagen – in Büchern, Hörspielen, Skulpturen oder in Form eines in Bronze gegossenen Meisenknödel.
Müllers ornithologisches Interesse geht sogar soweit, dass er für „Séance Vocibus Avium“ den Versuch unternommen hat, Vogelrufe nicht mehr existierender Vogelarten anhand schriftlich überlieferter Beschreibungen zu rekonstruieren. Dabei haben ihn wiedermal ein paar Freunde geholfen und kurze Nachempfindungen eingespielt – u.a. Justus Köhnke, Annette Humpe, Frieder Butzmann, Max Müller, Françoise Cactus & Brezel Göring (aka Stereo Total), Khan und Namosh. Diese elf in Umgebungsgeräusche eingebetteten Vogelrufe sind auf einer bei Fang Bomb erschienenen 7“-Schallplatte versammelt, zu der auch ein Büchlein mit kurzen Erläuterungen und Skizzen der verstorbenen Vogelarten gehört. Diese tierischen Lautäußerungen klingen ab und zu durchaus skurril und am Ende sogar fast schon erschreckend.
Aber diese kurzen Klangbeispiele sind natürlich nicht alles. Denn eigentlich sind sie Bestandteile des Hörspiels „Séance Vocibus Avium“, das 2008 für den Bayerischen Rundfunk realisiert wurde. Momentan wird es auch online als Podcast zum kostenlosen Download bereitgestellt. Hier werden dem werten Publikum von Claudia Urbschat-Mingues im ruhigen Tonfall mehr oder weniger wissenschaftliche Erläuterungen zu den jeweiligen ausgerotteten Vogelarten verlesen. Aber Wolfgang Müller spielt mit diesen Texten noch etwas herum und bildet daraus erläuternde Assoziationsketten. Da kommt man schon mal ins Schmunzeln. In der 44. Minute muss sogar die kühle Sprecherin kurz lachen.
Dieses Hörspiel wurde übrigens mit dem Karl-Sczuka-Preis 2009 beehrt, eine Auszeichnung, die Asmus Tietchens ja auch schon zuteil wurde.
PS:
Am 05. Mai 2010 wird dieses Hörspiel auf Deutschlandradio Kultur wiederholt – um 21:33 Uhr.
Stereo Total – Baby Ouh!
(LP, Disko B / Indigo, 2010)
Okay, es gibt eine neue Platte dieser Rockgruppe aus Berlin; 16 bis 17 neue Songs im guten alten Stereo Total-Sound. Das ist erstmal nicht so ungewöhnlich und man ist dazu bereit diese Platte vorab schonmal unter „just another Stereo Total record“ abzuheften. Aber dann schaffen Brezel Göring und Françoise Cactus wiedermal zu überzeugen, indem sie Referenzen aufzeigen, die dem Party-Charakter ihrer Musik scheinbar widersprechen, oder indem sie einfach ein paar Klassiker der Pop-Geschichte erfrischend aufarbeiten. Auf der B-Seite covern sie gleich drei Titel in Reihe. Zuerst „Wenn ich ein Junge wär“, ein Lied das durch die Nina Hagen Band bekannt gemacht und schon 1963 von Rita Pavone gesungen wurde. Auch der „Radio Song“ von Udo Lindenberg, in dem so rührend-unmoderne Vokabeln wie „Radio“ oder „Plattencompany“ vorkommen, muss daran glauben. Der Hammer ist allerdings die grelle Einlage von Der Grindchor (Das Original Oberkreuzberger Nasenflötenorchester) – spielt da nicht auch Thomas Kapielski mit? – auf „Tour de France“! Ehrfürchtiger Respekt sieht gottseidank anders aus. Der Song „No Controles“ darf einem ruhig spanisch vorkommen, aber so richtig interessant ist eher die Übertragung des Liedes „Voy A Ser Mama“ (Fans kennen beide Songs bereits vom Album „No Controles“) von Almodovar y McNamara aus den frühen 1980er Jahren vom Spanischen ins Englische. War da wirklich Pedro Almodovar mit im Spiel? Kein Wunder bei dem Thema. Wolfgang Müller (ex Die Tödliche Doris) durfte auch wieder textlich etwas beisteuern: „Du bist gut zu Vögeln“ darf zwar vom Partyvolk eindeutig zweideutig und somit für echt lustig gefunden werden – aber Müller ist wirklich an Vögeln interessiert, rein ornithologisch gesehen! Von ihm gibt es ein Blaumeisen-Buch und er hat auch schon mal eine Schallplatte mit Fledermäusen gemacht, aber das gehört nicht hierher. Ansonsten ist „Baby Ouh!“ wieder eine gute Ansammlung von Songs in deutscher, spanischer, englischer und französischer Sprache im treschicen Sequenzer-meets-Rockabilly-Schlagzeug-Sound. Klar, dass da Andy Warhol und Divine auch noch eine Rolle spielen dürfen. Sehr amüsant, das Ganze!
Hier noch eine Non-Album-Kurzversion von “ Wenn ich ein Junge wär“, wie sie im Sommer 2009 im TV zu sehen war:
Ronz – Fetzen
(Ronz / Books on Demand, ISBN 978-3-8370-6946-4)
Keine Ahnung, wer dieser Ronz ist bzw. wer sich hinter diesem Pseudonym versteckt. Ich vermute, dass er in Südwestdeutschland lebt und arbeitet. Er twittert häufig, betreibt einen Blog und hat in Eigenregie ein Buch veröffentlicht, das man sich bei einem dafür bekannten Dienstleister bei Bedarf für wenig Geld drucken lassen kann. Ronz probiert in diesem Sammelband verschiedenste Möglichkeiten aus, verbindet gerne auch Wort und Grafik. Alles in Schwarzweiß. Dabei entstehen u.a. die sogenannten Lyrigramme, in denen Ronz versucht, komplexe Gedankengänge einfach darzustellen. Alle seine Texte sind mehr oder weniger kurz, manchmal rätselhaft, hässlich oder auch schön, die Zusammenstellung varianten- und abwechslungsreich. Lauter kleine Fetzen eben! „Fragen Fragen“ in Twitter-Kürze, Romananfänge oder die Diagramme zu den verschiedensten „Spielarten des Lebens“ und die Grafik-Serie „Kunst“ ziehen sich durch das Buch, dazwischen findet sich lyrisches und prosaisches. Sogar ein Drehbuch für ein kurzes Video befindet sich darunter. Und es wird auch mit Dialekthaftem und Kfz-Kennzeichen-Kollagen experimentiert. Keine lockere Lektüre, aber das Dechiffrieren der komprimierten Textbildschöpfungen macht durchaus Spaß – auch wenn ich nicht alles verstehe. Ab und zu musste ich sogar lachen.
Elbipolis Barockorchester versus Brezel Göring
(live, Kampnagel / kmh, Hamburg, 13.03.2010)
Ja, ich hasse es. Ich mag es einfach nicht, wenn man fast pünktlich zu einem Konzert kommt und dieses dann schon angefangen hat. Okay, wir waren dank unterbesetztem Kantinenpersonal sieben Minuten zu spät. Aber wenn ich auf der Eintrittskarte „21 Uhr“ lese, gehe ich davon aus, dass die Veranstaltung mindestens eine viertel Stunde später beginnt. Alles andere wäre unhöflich! Oder etwa sogenannte Hochkultur?
So verpassten wir dann den Beginn dieser „Barocklounge“ unter dem Motto „Zurück zur Natur“, in der das Elbipolis Barockorchester Kompositionen von Henry Purcell, Anton Schwartzkopff, Alessandro Poglietti, Christoph Graupner sowie Antonio Vivaldi darboten. Die Mitglieder dieses sechsköpfigen Ensembles färbten ihren Wohlklang mit Cembalo, Cello, Viola, Violinen und Blockflöte – während Brezel Göring (auch Mitglied der Berliner Rockband Stereo Total) die dargebotene Barockmusik samplete und in kleinen Häppchen live remixte. In der obligatorischen Konzertpause war sein Pult umlagert von neugierigen Konzertbesuchern, die nur auffallend wenige Geräte, aber keinerlei Notebook entdecken konnten. In den seltensten Fällen kam es zu einer Interaktion zwischen Brezel Göring und dem Elbipolis Barockorchester, leider nur einmal ganz kurz im ersten Teil und bei der ultrakurzen Zugabe – Brezels Meeresrauschen beim „Concerto La Tempesta di Mare“ von Vivaldi nicht mitgerechnet. Es war also eher ein abwechselndes Hinundher. Eine Integration des Elektronikers in die Barockband fand nicht statt. Schade! Ich hätte mir mehr spontane Interaktion zwischen Brezel und Barock gewünscht. Aber erzähl‘ einem klassischen Blattableser mal etwas von Improvisation…
Michaela von Aichberger aka @frauenfuss:
Ich male meine Follower Vernissage Nummero 4,
Hamburg, 27.02.2010
(Vorneweg: Eigentlich hatte ich gar keine große Lust, über diese Veranstaltung etwas zu schreiben. Vernissagen sind nicht so mein Ding. Aber irgendwie kam es dann doch dazu. Hier wird kein Namedropping stattfinden – ich mag das nicht.)
Dass wir es hier nicht mit einer Untergrundkünstlerin zu tun haben, war schon bei der Wahl der Örtlichkeit dieser Ausstellungseröffnung klar. Statt in dem vermutlich wesentlich kleineren Ladengeschäft in Eppendorf, in der die eigentliche Ausstellung stattfindet, wurde diese Vernissage im Hamburger Stilwerk abgehalten. Für ein paar Stunden. Was für ein organisatorischer Irrsinn! Aber der Andrang war gross, die Massnahme somit gerechtfertigt. Dennoch fand ich diesen versnobten Kommerz des Stilwerks hinter gediegener Hamburger Kaufmannsfassade als Umfeld für eine solche Vernissage etwas abschreckend. Ein autonomes Kulturzentrum wäre wohl ebenso seltsam gewesen. Der Raum im fünften Stock war dann aber eher neutral und die Stellwände grau bis weiss. An diesen hingen in voluminösen Rahmen Notizbücher, in die Michaela von Aichberger Zeichnungen ihrer Verfolger bei Twitter gemalt hat. Schöne illustrative Werke. Selten in voller Farbigkeit, manche sogar nur schwarz-weiss oder mit bluttriefenden Akzenten.
Michaela muss man einfach mögen (Ich würde sie sofort heiraten. Aber sie hat ja schon den Michael). An ihr ist nichts gekünstelt. Sie macht einfach ihr Ding. Sie schreckt nicht vor Kooperationen mit Versandhäusern und Modeblogs zurück (ich könnte das wahrscheinlich nicht). Sie ist anscheinend relativ unvoreingenommen und geht offen auf die Menschen, die sie „nur“ über soziale Netzwerke kennengelernt hat, zu. Und sie malt und malt und malt und malt ihre Follower. An diesem Tag auch live. Und jeder darf sich geehrt fühlen, den sie zu Papier bringt. Denn sie ist schon sowas wie ein bunter Hund in dieser bundesdeutschen Twitterwelt. Wer kennt sie nicht?
Und somit ist so eine Veranstaltung eine gute Gelegenheit, die Nasen, die man nur unter Pseudonymen und von komischen Bildchen her kennt, auch mal in echt zu sehen. Sehr interessant. Da gibt es Leute, die man sofort auch in Wirklichkeit sympathisch findet, andere huschen schnell weiter oder sind einfach nicht greifbar. Mit anderen geht man anschließend ein Bierchen trinken.
Ein Programmpunkt dieser Vernissage war auch eine Twitterer-Lesung. Dummerweise gab es nur einen einzigen Raum, so dass das Publikum im vorderen Bereich Probleme hatte, den vortragenden Künstlern zu folgen. Der erste war von meinem Standpunkt aus relativ gut zu hören. Dem Blogger Nummer Vier könnte ich schon nicht mehr so recht folgen. Zuviel Rhabarber Rhabarber Rhabarber. Die Stargästin des Abends sagte aufgrund dieser widrigen Umstände ihr Vorlesen ab. Schade! Aber durchaus verständlich. Lesungen im Rahmenprogramm benötigen offensichtlich einen abgetrennten, intimeren Bereich.