Archive for Dezember 2010

Mutter 2011

Dezember 28, 2010

Es gibt nichts unoriginellere als am Jahresende einen Kalender für das kommende Jahr zu verschenken. Aber diesen habe ich mir selbst geleistet, denn in diesem Fall handelt es sich um ein besonderes Exemplar – um einen Pin-Up-Kalender des Westberliner Künstlers Max Müller, seines Zeichens Sänger der Gruppe Mutter. Aber er schreibt für Mutter nicht nur die Texte und singt, sondern spielt auch Gitarre und ist manchmal solo unterwegs. Hier hat er nun 13 Kalenderblätter – bis auf das vierfarbige Deckblatt alle monochrom gehalten – mit seinen im besten Sinne eigenartigen, primitivistischen Zeichnungen gestaltet. Ein gefundenes Fressen nicht nur für Mutter-Fans.

Bestandteil dieses Wandkalenders ist auch ein CD-Cover-Bastelbogen. Denn – und das ist die Überraschung – im Laufe des Jahres darf sich der geneigte Hörer und Kalenderbesitzer auch noch 12 bisher unveröffentlichte Muttermusikstücke („alte Nummern, Live-Aufnahmen, Mitschnitte aus dem Proberaum und ein Hörspiel“) herunterladen, jeden Monat eines. In einem Jahr wird dann die CD-R mit den Downloads gebrannt und ein Cover gebastelt. Ich bin sehr gespannt auf die einzelnen Stücke.

Hier die Playlist:
01 Ein kleines Stück Papier
02 Milch
03 Küss die Hand die dich schlägt
04 Zwischen Zeilen
05 Tag der Idioten
06 Heb dir deine Träne für jemand anders auf
07 Berlin
08 Filmmusik
09 Erlösung von oben
10 Samen für immer
11 Du bist nicht mein Bruder
12 Muttermal
Bonus Track:
13 Dietrich Diederichsen

Sichert euch die Restbestände!
muttermusik.de

Legendäre Schwäne

Dezember 13, 2010

Swans live
( Kampnagel, Hamburg, 12.12.2010)

Was ich jetzt von diesem Swans-Konzert halten soll,  weiss ich auch nicht. Die wiederbelebte Wasweissichwasfür‘ne-Legende begann so wie manche Rock-Bands ihr Konzert beenden: mit Rückkopplungslärm. Als der  Perkussionist als erster auf die Bühne trat, freute sich die Hörerschaft zu früh. Denn er stellte nur sein Feedback an und verschwand wieder. Viele lange Minuten später der zweite Mann, Feedback an, wieder weg. Dann kam irgendwann der Schlagzeuger und spielte metallische, hackbrettartige Perkussion dazu. Dann wieder Mann 1, ebenfalls Metall auf Metall. Feedback und Lärm galore. Dann endlich der Bassist mit tiefen, körperlich spürbaren Frequenzen. Und als dann noch ein Gitarrist und schließlich Michael Gira auf der Bühne standen, wurde es erst noch mal super laut, bevor das Ganze mehr Struktur bekam und mit Text versehen wurde.

Mit der Lautstärke hatte ich zugegebenermaßen Probleme. Das ellenlange Feedback-Intro hörte ich mir noch ungeschützt an. Nicht unbedingt die Lautstärke, aber die fiesen hohen Frequenzen trieben mich in die schützenden Hände primitiver Ohrstöpsel. Aber das machte den Klang auch nicht besser, nur muffiger.

Somit kann ich über dieses Konzert keine wirklich ernsthafte Meinung darlegen. Nur, dass ich dieses „Lauter!“-Dingens ziemlich pubertär finde. Lautstärke bringt keineswegs mehr Transparenz.

Aber ob es jetzt daran lag, dass der apokalyptische Geist der Swans nicht auf mich übersprang, kann ich Euch jetzt auch nicht sagen…

Best of 2010

Dezember 8, 2010

Schon komisch, irgendwie kann ich heuer garnicht so eindeutig DIE BESTEN Alben des Jahres ausmachen. Es gab zwar neue Alben von alten Bekannten, die mir viel Freude bereiten, aber herausragend war vielleicht nur die Neuerscheinung von Mutter.

Einer meiner Lieblingsplatten des Jahres 2010 ist eine Compilation aus dem Jahr 2004, die mir Meve geschenkt hat. Auf „Lemme Take You To The Beach“ werden von verschiedenen Bands Zappa-Stücke im Surf Sound gecovert – u.a. von The Thurston Lava Tube, einer Band aus Leicester mit Leuten von Deep Freeze Mice. Diese Compilation hatte zur Folge, dass ich für mich insbesondere den frühen Frank Zappa (wieder) entdeckt habe. Hört Euch mal seine Sachen aus den Sixties an. Freak out!

Leider gab es 2010 auch den Tod meines Onkels Heiner sowie von Ingeborg Schober, Martin Büsser, Christoph Schlingensief und Don van Vliet zu beklagen. R.I.P.

Alben

Console – Herself
Die Aeronauten – Hallo Leidenschaft!
Kat Frankie – The Dance Of A Stranger Heart
Katze – Du bist meine Freunde
Mutter – Singen Trinken Schießen
Christiane Rösinger  –  Songs Of L. And Hate
Stereo Total – Baby Ouh!

… und ausser Konkurrenz:
Various – Lemme Take You To The Beach (2004)

EPs

Daniel Decker – Enklave
Oval – Oh

Schönste Cover-Version

First Fatal Kiss – Moderne Welt
(im Original von Freiwillige Selbstkontrolle / F.S.K.)

Youtube-Fundstück

Frank Zappa & The Mothers Of Invention – King Kong (live BBC 1968)
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4

Medienkunststück

Michaela Melián – Memory Loops
www.memoryloops.net

Konzerte

Daniel Decker
(am 27.11.2010 privat in der Küche von Tobias und Stephanie, Hamburg)
Kitty, Daisy & Lewis
(14.08.2010, Dockville, Hamburg)
Quok
(14.11.2010, Rote Flora, Hamburg)
Weasel Walter/Sheik Anorak/Mario Rechtern Trio
(19.04.2010, Hafenklang, Hamburg)

Buch

Wolfgang Müller – Valeska Gert: Ästhetik der Präsenzen

Trauer

Martin Büsser (Fanzine-Schreiber, 12.02.1968  – 23.09.2010)
Christoph Schlingensief (Filmemacher, 24.10.1960 – 21.08. 2010)
Ingeborg Schober (Musikjournalistin, 1947 – 10.06.2010)
Don van Vliet aka Captain Beefheart (Musiker, 15.01.1941  17.12.2010)

(Liste erstellt am 08./17./31.12.2010)

Das unsichtbare Monument

Dezember 5, 2010

Michaela Meliáns Memory Loops

Am 23. September 2010 wurde das virtuelle und dezentrale Denkmal „Memory Loops – 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München 1933-1945“ der Künstlerin Michaela Melián offiziell in Betrieb genommen. Nach umfangreicher Recherchearbeit hat Melián, die seit 30 Jahren auch mit der Band Freiwillige Selbstkontrolle unterwegs ist, 300 Audio-Miniaturen in deutscher und 175 in englischer Sprache erarbeitet, die jeweils zu einem bestimmten Ort in München das Schicksal einzelner Menschen während des NS-Regimes erzählen. Diese Dateien kann man mittels einer Website, auf der die entsprechenden Tonspuren in einem stilisierten Stadtplan verortet werden, auswählen, downloaden und zu Tracklists zusammenstellen. Man kann sich aber auch Abspielgeräte in verschiedenen Münchner Museen ausleihen oder an 60 beschilderten Orten per Telefon die passenden Tracks abrufen. Für den Bayerischen Rundfunk, Abteilung Hörspiel- und Medienkunst, wurden fünf lange Memory Loops (zu jeweils ca. 55 Minuten) produziert, die im Herbst 2010 gesendet wurden und ebenfalls als kostenlose Downloads zugänglich sind.

Machart und Ästethik der Memory Loops lehnen sich an Michaela Meliáns Werk „Föhrenwald“ aus dem Jahr 2005 an. Die individuellen „Geschichten“, aus Archivmaterial und Interviews herausdestilliert, werden von Sprechern mit ruhiger, leiser Stimme gelesen und Kinder tragen behördliche Anordnungen und andere offiziellen Verlautbarungen vor. Unterlegt wird dies mit ambienten, reduzierten Loops, die manchmal von Klaviertönen akzentuiert werden. Nichts lenkt vom Thema ab. Durch den Bezug der jeweiligen Hörstückchen zu einzelnen Orten des damaligen Geschehens wird das Gedenken an diese üble Zeit aus seiner Abstraktion geholt und geerdet. Auch für Nicht-Münchner ist das alles mehr als hörenswert und sehr interessant.

PS: Interessant finde ich übrigens auch, daß sich die Stadt München zu so einem flächendeckenden Denkmal durchringen konnte – während das ebenfalls dezentrale Gedenk-Konzept der Stolpersteine meines Wissens dort immernoch nicht genehmigt wurde…

Nachtrag:
Im Mai 2012 wurde Memory Loops für den „Grimme Online Award SPEZIAL“ nominiert.
Siehe: Grimme.

Die Website:
www.memoryloops.net

Die Memory Loops beim Bayerischen Rundfunk:
www.br-online.de