Archive for Januar 2011

Rhys Chatham im Klub Katarakt

Januar 24, 2011

Rhys Chatham Portrait-Konzert
(Klub Katarakt 32, Kampnagel Music Hall, 20.01.2011)

Schon super, wenn man auf ein Konzert eines Komponisten geht, den man  noch garnicht kennt, aber sich trotzdem sofort in dessen Sound heimisch fühlt. So geschehen am vergangenen Donnerstag beim Konzert mit Rhys Chatham, dessen Name mir vorher nicht präsent war. Dabei wurden Werke von ihm auch auf dem amerikanischen Label Table Of The Elements veröffentlicht und der allseits bekannte Glenn Branca war Mitglied der Band, die 1977 „Guitar Trio“ konzertant aufführte.

Dieses Portrait-Konzert war dreigeteilt: zuerst verschiedene Kompositionen für elektrische Gitarren, E-Bass und Schlagzeug, dann ein Gespräch mit dem Komponisten und abschließend ein Frühwerk für zwei riesige chinesische Gongs.

Im Gespräch kamen auch biographische Eckpunkte zur Sprache. Chatham (geboren 1952)  studierte u.a. bei Morton Subotnick und La Monte Young und stimmte zum Broterwerb Cembalos. Im Alter von 24 Jahren ging er das erste mal in seinem Leben auf ein Rock-Konzert – ausgerechnet zu den Ramones im CBGB‘s. Das beeinflusste ihn derart, dass er fortan Werke für elektrische Gitarren schrieb.

An besagtem Donnerstag wurde auch die Komposition „Guitar Trio“ aus dem Jahr 1977 gespielt, allerdings in einer 30 Jahre später überarbeiteten Version namens „G3“ mit insgesamt 10 Gitarristen. Zu einer fast schon krautrockigen Rhythmusgruppe spielen die Gitarristen obertonreiche Sounds, die den Effekt haben, dass man mehr hört als eigentlich gespielt wird. Stellenweise konnte man fast schon Gesangsstimmen erahnen. Allen Sonic Youth-Fans dürfte dieser Sound mehr als bekannt vorkommen (kein Wunder – man kennt sich in Downtown New York). Offensichtlich hat Rhys Chatham nicht nur den damaligen New Yorker No Wave beeinflußt.

Zuvor wurde „Die Donnergötter“ (1985/86) aufgeführt, eine – im Gegensatz zu den anderen Stücken – komplett ausnotierte Komposition, die noch strukturierter anmutete und mit nur 6 Gitarren auskam. Der Titel ist, so wurde erzählt, einem Konzert-Review (im Stern!?) eines Auftritts von Chatham auf dem Moers Festival entlehnt.

Als Zugabe wurde „The Out Of Tune Guitar, No. 4“ (2008) dargeboten, ein relativ statisches Stück in pythagoräischer Stimmung. Aufführende waren jeweils das Boyds Elektro Gitarren Orchester mit Rhys Chatham himself als Dirigent und auch mitspielendem Gitarristen.

Nach dem Komponistengespräch und entsprechender Pause wurde im Saal nebenan noch „Two Gongs“ (1971) aufgeführt. Zwei PerkussionistInnen halten sehr lange (ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber eine Stunde könnte es gewesen sein) jeweils einen großen Gong permanent in Schwingung. Dabei entstehen Sounds, die man von einem Perkussionsinstrument nicht unbedingt erwarten würde: flächige, sich ständig verändernde Klänge, die stellenweise sehr laut und noisy daherkommen. Auch hier wieder ein Experiment mit Obertönen. Und irgendwie auch Vorbild für seine späteren E-Gitarren-Stücke.

Faszinierend.

Auch auf youtube wurde dieser Konzertabend dokumentiert:

Rhys Chatham & Boyds Elektro Gitarren Orchester
(live Hamburg 20.01.2011)
G3 (die letzten 5 Minuten)
G3 (Finale)
Die Donnergötter Teil 1
Die Donnergötter Teil 2

 

Musik aus einer Hafenstadt

Januar 15, 2011

Hamburg Calling – Musik aus einer Hafenstadt
(Oliver Schwabe, Musik-Dokumentation, ca. 90 min., NDR)

Heute, am 15. Januar 2011, hatte Oliver Schwabes Musik-Dokumentation „Hamburg Calling – Musik aus einer Hafenstadt“ im Rahmen des 5. Elbblick-Filmfestivals seine Kinopremiere. Produziert wurde der Film im Jahr 2010 für den Norddeutschen Rundfunk. Schwabe stieg tief ins dortige Archiv um Material für diese Collage zu finden, die 50 Jahre Hamburger Pophistorie abdeckt (von Freddy Quinn bis 1000 Robota), aber dennoch den Schwerpunkt auf die Zeit Ende der 1980er und die 90er Jahre legt. Also als Bands wie Cpt. Kirk &., Blumfeld, Kolossale Jugend oder Tocotronic (denen für meinen Geschmack etwas zuviel Platz eingeräumt wird) aufkamen und ihre Hochzeit hatten.

Ergänzt wird das Archiv-Material durch aktuelle Interviews vorwiegend mit  Musikern wie Bernd Begemann (Die Antwort, Die Befreiung), Bernadette La Hengst (Huah!, Die Braut Haut Ins Auge), Frank Spilker (Die Sterne, Frank Spilker Gruppe), Jochen Distelmeyer (Die Bienenjäger, Blumfeld), Kristof Schreuf (Kolossale Jugend, Brüllen), Tobias Levin (Cpt.Kirk &.), Schorsch Kamerun (Die Goldenen Zitronen), Frank Ziegert (Abwärts) u.a. – aber auch mit Horst Fascher, einem begeisterten Unterstützer der Beatles. Und R.J. Schlagseite singt ein paar Songs zum Thema.

In den Sixties wie in den späteren Jahrzehnten war St. Pauli wohl so eine Art Schutzraum für entstehende Musikbewegungen, egal ob für den „Hamburg Sound“ der Sixties oder die sogenannte „Hamburger Schule“, ein Begriff, der in diesem Film diskutiert wird. Und im Star Club gab es nicht nur die Beatles, sondern auch die Liverbirds, eine der ersten Frauenbands überhaupt, die wiederum von Musikerinnen wie Bernadette La Hengst als Role Model genannt werden.

Schön ist es natürlich, all diese alten Fernsehausschnitte zu sehen. Beispielsweise den ziemlich jungen Begemann mit Die Antwort in einer Talkshow als musizierender Gast – aber auch als Gastgeber im Bademantel für Tocotronic in seiner Rothenburgsorter Küche (check out on youtube!). Oder den jungen King Rocko Schamoni bei einem TV-Interview in dem er cool schweigt und statt Antworten Zigarettenrauch ins Mikrophon haucht. Auch Videos aus alten Zeiten sind zu sehen, manche – aus heutiger Sicht – von zweifelhafter Ästhetik, aber super interessant! Schön auch die alten Schwarzweiss-Aufnahmen eines vergangenen Hamburg, die mit in diese Collage einflossen.

Udo Lindenberg wird nur am Rande erwähnt. Ebenso die Hamburger HipHopper. Und das Lied „Hamburg Calling“, ein Clash-Remake von Fettes Brot, ist gottseidank garnicht zu hören.

Für Freunde (diskursiver) (deutscher) Popmusik ist dieser Film eine Fundgrube. Besten Dank an den NDR, der diese Low Budget-Produktion ermöglichte. Trotzdem sollte sich diese öffentlich-rechtliche Sendeanstalt schämen, solch eine interessante Dokumentation nach Mitternacht einfach so zu versenden – wie Ende letzten Jahres geschehen (hat wahrscheinlich damals keiner mitgekriegt, ich leider auch nicht).

Der Regisseur im Netz:
www.oliverschwabe.de

 

R.A.F.G I E R

Januar 9, 2011

v.l.n.r.: Eni, Rolle, Wolfgang, Ralf

Folgendes Interview führte F.W. Ernstfall (später auch Blank Frank genannt)  mit Ralf Plaschke. Es erschien Ende 1985 im 10.15 Megazine, edit six.

Zu den interessantesten deutschen Punkbands gehört zweifelsohne die Münsteraner Formation R.A.F.GIER.
Sie spielen nicht nur guten, sondern auch abwechslungsreichen Punk, Punk wie im Ernstfall, der das Gespräch mit ihnen suchte und fand, schätzt.

Vor kurzem kam eine neue Single von R.A.F.GIER heraus. Auf Seite 1 ist der alte QUEEN-Heuler „Sheer Heart Attack“ in einer Neubearbeitung der vier Münsteraner zu hören. Sehr schnell gespielt – gefällt gut. Auf der B-Seite ist das Stück „Lois“ zu hören. Es ist mehr in der 77er Punkspielart gehalten und erinnert mich etwas an die U.K.SUBS, Besonders nett finde ich auch die Single-Beigabe, einen Flaschenöffner mit original R.A.F.GIER-Schriftzug.

Ich habe mich jedenfalls mal näher mit dieser Band beschäftigt und habe dem Ralf, Sänger und ‚Sprachrohr‘ von R.A.F.GIER einige Fragen gestellt. Hier nun also das beliebte Frage-Antwort-Spiel:

FW: Also, wer ist R.A.F.GIER?
R: R.A.F.GIER ist: Eni (Bass), Rolle (Gitarre), Wolfgang (Schlagzeug) und Ralf (Gesang) sowie alle am Background-Gesang.

FW: Seit wann gibt’s R.A.F.GIER?
Die Idee und der Name entstanden so Herbst bis Ende 1980, eigentliches Gründungsdatum (= erste Probe) ist der Februar 1981, seither gibt es die Band in der immergleichen Besetzung.

FW: Welche Produkte kann mnan von Euch bisher erstehen und was ist für demnächst geplant?
R: Bisher gibt es eine Split-LP, die wir uns mit den CHANNEL RATS aus Hamburg teilen, eine Single mit R.A.F.GIER-Flaschenöffner sowie jede Menge Beuträge zu Cassettensamplern, auch welche aus USA, Frankreich, Holland u.a.m. Demnächst ist eine neue, erste komplette LP geplant, die im Juli im MITTEK-Tonstudio aufgenommen wurde und im Herbst erscheinen wird.

FW: Was macht für Euch den Punk zum Punk?
R: Mann, die Frage ist echt ’n Hammer. Ich fürchte, dass es jetzt etwas ausführlicher werden wird.
(Anmerkung: Das wurde es dann auch und ich will hier nur das Wichtigste von Ralfs Antwort wiedergeben – FW).
Für mich heißt Punk, konsequent sein Leben zu leben, unabhängig von irgendwelchen Normen und/oder Erwartungen anderer. Das bedeutet aber, dass man selbst tolerant sein muss, denn man kann nicht etwas verlangen und durchsetzen versuchen, was man anderen nicht zubilligt. Hier liegt der Punkt im Punk, der mir von Anfang an missfiel. Bestandteil der allgemeinen Punk-Szene war es schon immer, sich über andere, anders aussehende, anders denkende und handelnde lustig zu machen, solche herunterzuputzen. Sowas ist genauso bescheuert wie das Verhalten der vielgeschmähten Spießer, ja es ist spießig. Meine Vorstellung von Punk ist also eher eine absolute Demokratie, deren Grenze für den einzelnen durch die Tatsache gesetzt sind, dass er seine Freiheiten anderen genauso zubilligen muss, deren Freiheit zu achten hat. Aber das ist alles sehr theoretisch.

FW: Wo spielt Ihr am liebsten?
R: Am liebsten spielen wir vor Leuten, denen unsere Musik Spaß macht und die das auch zeigen/hören lassen.

FW: Was stinkt Euch und was mögt Ihr?
R: Noch so’n schwerer Brocken. Ich antworte wieder nur für mich und da wäre die bereits angesprochene Intoleranz, Gewalt gegen andere und sicher noch mehr, das mir jetzt nicht einfällt. Ich mag Liebe, Sex mit dem Mädchen, in das ich verliebt bin, Abreagieren ohne andere zu belasten, nette Leute kennenlernen bzw. kennen, Post, gelegentlich betrunken sein, Musik, Musik, Musik… Ich mag das Leben.

FW: Wie würdet Ihr selbst Eure Musik charakterisieren?
R: Eigenständige, abwechslungsreiche Punkrockmusik mit dem Versuch, Klischees in Text und Musik zu vermeiden.

FW: Habt Ihr musikalische Vorbilder?
R: Vorbilder im Sinne von „eine Musik, wie die und die möchte ich machen“ haben wir nicht, unsere Stücke entstehen als rein R.A.F.GIER-interne Angelegenheit, doch gibt es natürlich Sachen, die uns beeinflusst haben. Dazu zählen sicherlich die DEAD KENNEDYS, BAD BRAINS, frühe englische Punkbands und ansonsten jede andere Musik, die gefällt.

FW: Was haltet Ihr von Alkohol?
R: Einem gelegentlichen Umtrunk sind wir nicht abgeneigt. Mag es nun doof, vernünftig oder was auch immer sein, angemessen häufig saufen bringt Fun und lässt den Alltag vergessen. Was dabei angemessen bedeutet, muss jeder selbst wissen.

FW: Was haltet Ihr von Tierversuchen?
R: Ohne Tierversuche würden wahrscheinlich heute noch viele Menschen an irgendwelchen, mittlerweile harmlosen oder gar längst ausgerotteten Krankheiten sterben, andererseits finden viele Tierversuche wohl nur statt um Luxusgüter (z.B. Kosmetika) zu produzieren und solche Versuche sind unsinnig. Ich glaube, dass es jetzt gilt die Tierversuche auf das Unvermeidliche zu reduzieren.

FW: Seid Ihr politisch?
R: Alles ist politisch, folglich sind auch wir politisch. Falls Du Parteien, Demos und ähnliches meinst: Sowas halte ich für Volksverarschung, Alibishow und somit interessiert es mich nicht. Ich versuche allerdings die Geschehnisse zu beobachten.

FW: Würdet Ihr gerne mal in der DDR spielen?
R: Natürlich würden wir gerne und wir werden auch versuchen, das zu verwirklichen. Zumindest in Ost-Berlin ist vielleicht  eines Tages ein heimlicher Gig möglich.

FW: Welchen Stellenwert hat für Euch Geld?
R: Geld ist ein Mittel, ein Gegenstand um dessen Benutzung und Bedeutung man nicht herumkommt. Eine gute Anlage, ein guter Proberaum, Porto, Telefon, Bier, Benzin…., alles Dinge, die man braucht, um ungehindert so weitermachen zu können, wie man das möchte. Alles Ausgaben, die nur der Erhaltung und Weiterbetreibung der Band dienen, kein Gewinn. Dieses Geld muss mindestens da sein. Durch Gigs, Plattenverkauf und vor allem Jobben kommt es zusammen, wobei man mehr Geld braucht, je mehr die Sache wächst. Der Endpunkt wäre ein Leben als Profimusiker, wo man auch noch seinen Lebensunterhalt durch Musik verdienen  muss. Bis zu diesem Punkt ist Geld wichtig, wenn es darüber hinausgeht, ist es mir ziemlich egal. Ich hätte nichts gegen ein dickes Bankkonto, denn mit viel Geld könnte man viel machen, was auch anderen zu gute käme, doch ich lege es nicht auf ‚Reichtum‘ an.

FW: Letzte Frage: Wollt Ihr berühmt werden? – Ehrlich!
R: Zum Schluss noch ein Überraschungsei. Echt schwierig zu beantworten, denn auch Ruhm hat verschiedene Seiten. Grundsätzlich glaube ich, dass jeder, der sich mit seinem Schaffen in die  Öffentlichkeit begibt, automatisch zu Ruhm kommt. Ruhm beginnt bereits, wenn nur eine Person, die du nicht persönlich kennst, sich deinen Namen gemerkt hat, sich eine Meinung gebildet hat. Wer als Band/Musiker sagt, er wolle nicht berühmt werden, lügt. An die Öffentlichkeit gehen, viele Gigs spielen, Platten machen wollen bedeutet alles „Ruhm“. Wir wollen also berühmt werden im Sinne von bekannt und beliebt, auf jeden Fall aber im Sinne von registriert werden. Wir wollen dem Zuschauer bzw. Zuhörer nicht egal sein. Er soll sich zumindest eine Meinung bilden, uns beschissen oder gut finden. Diese Form von Ruhm suchen wir.

Das Wort zum Punktag sprach: Hobbypsychologe und -philosoph, Chef-Ideologe, Vernunftmensch, ‚Euer Geld ist unser Geld‘-Hälfte und R.A.F.GIER-Sänger Dr. DER Ralf.


Abschrift aus 10.15 Megazine edit six, 1985
Die damalige Doppelseite als PDF-Datei:
Rafgier_1015_Megazine_6_1985