Top-Platzierung:
Satirischer Penäler-Spaß neben feministischem Ernst.
(heute gesehen in der Buchhandlung im Hauptbahnhof Würzburg)
Archive for Januar 2012
Titten & Wir
Januar 30, 2012Guter Abzug
Januar 21, 2012In der Hamburger Hoheluftchaussee stehen seit einiger Zeit etliche Ladenlokale leer. In einem ehemaligen gelb gestrichenen Sonnenstudio hat sich jemand wohl einen Spaß daraus gemacht, den Leerstand mit gelben Sachen aufzufüllen. Los ging es mit ein paar wenigen Dingen wie einem Schwimmreifen. Mit der Zeit kam immer mehr Gelbes hinzu und auch ein Zettel an der Tür, der darüber aufklärt, dass es sich hier um eine Installation von Loorbeer-Raumkunst handelt. Sachspenden und Leihgaben, mit denen dieser Raum bis 21. März 2012 gefüllt werden soll, sind gerne willkommen.
Heute laufe ich nichts ahnend an diesem Schaufenster vorbei und stolpere sozusagen über diese – natürlich gelbe – Schachtel mit dem Aufdruck „GUTER ABZUG – eine dokumentation der neuen deutschen musik“. File under: Sammlerstück. Der Karton sieht nicht gerade gut erhalten aus und auch seine inneren Werte kommen hier garnicht zum Ausdruck. Der ursprüngliche Inhalt dieser Box: Fotos von ar/gee gleim, Fanzine-Auszüge, Songtexte, Poster und eine Flexi-Disc. Daran beteiligt waren neben dem Fotografen noch Peter Glaser, Karin Dreier, Susanne Wiegand sowie Xao Seffcheque und Jürgen Engler. 1982 war diese Dokumentation sogar auf der Documenta (wo auch sonst…) in Kassel zu sehen. Später, als Punk und New Wave reif für’s Museum waren, wurden einige Fotos von Richard Gleim auch in der Ausstellung „Zurück zum Beton“ in der Kunsthalle Düsseldorf (7. Juli bis 15. September 2002) gezeigt.
Da wird also wahre Kunst in einer provinziell anmutenden Installation versteckt!?
Mehr über Guter Abzug kann man bei Wikipeter oder Wikihorst nachlesen:
m.wikihost.org/w/sturclub/abzuggut
Der Katalog zur Ausstellung „Zurück zum Beton“ ist laut Museums-Website leider vergriffen.
Step Across The Border
Januar 19, 2012Fred Frith – Step Across The Border
(Deutschland, 1990, ca. 85 Minuten)
Der Schwarzweißfilm „Step Across The Border“ ist nicht direkt ein Musikfilm über den Gitarrenvirtuosen Fred Frith, sondern eher eine improvisierte Collage aus Material, das die beiden Regisseure Nicolas Humbert und Werner Penzel auf ihrer gemeinsamen Reise mit Frith durch die halbe Welt auf Celluloid belichtet haben. Werner Penzel hat übrigens auch schon vor zehn Jahren (oder noch etwas früher) die Welttournee der Ethnorockformation Embryo in seinem 16mm-Film „Vagabundenkarawane“ dokumentiert. „Step Across The Border“ spielt zwar auch an verschiedensten über die ganze Welt verstreute Orte (New York, Tokyo, Schottland, Leipzig fallen mir jetzt spontan ein), ist allerdings kein Werk, das man als Dokumentar- oder Experimentalfilm abtun kann. In den eineinhalb Kinostunden sieht man Fred Frith mit den verschiedensten Leuten musizieren, man hört Statements von ihm, aber z.B. auch von Arto Lindsay. So mancher gibt in der U-Bahn Philosophisches zum besten, die Butterfly-Theorie wird erklärt oder ein Märchen wird von drei verschiedenen Menschen simultan erzählt. Immerwieder tauchen Fortbewegungsmittel wie Zug, U-Bahn, Auto oder Motorrad auf, man scheint ständig unterwegs zu sein. Brücken, Häuser, Felder und vieles mehr zieht vorbei. Und zwischendurch kann man Fred Frith von seinen verschiedensten Seiten sehen. Zum einen als wild improvisierenden Freistilmusiker und zum anderen als ruhigen Interviewpartner oder als den netten Onkel, der mit einem kleinen Kind und einer Harmonika spielt. Und wenn er mit seinen abgehackten Bewegungen den Dirigenten mimt, wird es sogar witzig. Oder: Fred Frith kauft in einem Supermarkt Haushaltswaren, Erbsen und ähnliches Zeug ein – anschließend sehen wir ihn wie er mit den eben eingekauften Dingen in der Küche seine homemade Tischgitarre bearbeitet…..
Die Musik, die in diesem Film als Soundtrack verwendet wurde, ist zu einem großen Teil von bereits erschienenen Fred Frith-Platten her bekannt. Allerdings sind auf der DoLP/CD teilweise Versionen, wie sie im Film nicht zu hören sind. Und wenn mich nicht alles täuscht, gibt es den auf dem Soundtrack-Album enthaltenen, titelgebenden Song („The Border“ von Skeleton Crew) garnicht im Film zu hören. Hervorzuheben sind zwei schöne Songs, bei denen Fred Frith seine Finger ziemlich heraushielt. Nämlich „After Dinner“ mit Haco (Piano und Stimme) und „Morning Song“ von Iva Bittova und Pavel Fajt. Ansonsten hört man viel Musik mit Frith solo sowie Bands oder Projekten wie Massacre, Skeleton Crew bzw. mit Musikern z.B. von Zamla usw. usf. Der interessierte Hörer kann in einem ausführlichen Beiblatt mit Discographie und Besetzungslisten der einzelnen Songs selbst das Gewirr der Frith‘schen Kollaborationen erforschen. Und als Einstieg in die nicht nur improvisierte Welt des Herren Frith ist diese DoLP/CD wunderbar geeignet. Abwechslungsreiche 70 Vinyl- bzw. 85 Filmminuten werden auf jeden Fall geboten. Freilich nichts für ’normale‘ Musik- und Filmkonsumer. Aber auch nicht nur ausschließlich für Fans!
(Der Soundtrack erschien bei Recommended Records Schweiz und sollte über EFA in jedem guten Laden erhältlich sein. In Deutschland kann man ihn via Mailorder auch bei Recommended No Man’s Land, Dominikanergasse 7, Postfach 110449, D-8700 Würzburg bestellen).
Guido Zimmermann,
1991
Dieser Text wurde zuerst im Oktober 1991 in Ausgabe 16 des 10.16 Megazine veröffentlicht und beim Digitalisieren am 19.01.2012 nur leicht editiert.
Der Film erschien 2003 bei Winter & Winter auf DVD (mit 12 Bonus Tracks).
Der Soundtrack wurde 2002 in Form einer CD auf Fred Records / ReR Megacorp wiederveröffentlicht.
Verschwundene Lokalitäten (5)
Januar 16, 2012atahk
(Dominikanergasse 7, Würzburg)
Anfang der 1980er Jahre gegründeter Plattenladen, aus dem das Label und Versandhaus Recommended No Man’s Land entstand. Nach ein paar Jahren wurde der Laden nicht mehr öffentlich betrieben und diente nur noch als Büro für Label und Versand. Beides wurde 1996 nach Berlin verkauft.
Die oben abgebildete Anzeige stammt aus der im April/Mai 1983 erschienenen Erstausgabe des Würzburger Fanzines Oi! Oi! Oi! (später 10.15 bzw. 10.16 Megazine).
Verschwundene Lokalitäten (4)
Januar 16, 2012AKW
Autonomes Kulturzentrum Würzburg
(1982 bis 2009, anfangs Martin-Luther-Straße 4,
später Frankfurter Straße 87)
Heute zufällig in einer Schublade gefunden:
Diese Pfandmarke aus dem „neuen“ AKW.
Unten ist noch eine Anzeige des „alten“ AKW zu sehen, also vor dem Umzug in die Zellerau, aus der 1985 erschienenen fünften Ausgabe des 10.15 Megazine.
Rigoros
Januar 12, 2012Bad Alchemy 71
(Fanzine, 84 Seiten, DIN A5, Dezember 2011)
Dieses Fanzine, das auch heute noch in Form eines Heftes hinaus in die weite Welt tritt, gibt es schon seit 1985. Heutzutage ist dies ein „Produkt“ von Rigobert Dittmann (rbd), der sich fast im Alleingang um sehr spezielle Musik kümmert. Was nicht heißt, dass nicht immer wieder auch Beiträge von befreundeten Schreibern auftauchen, im aktuellen Heft sind dies Michael Beck und Marius Joa.
Im Dezember 2011 erschien die 71. Ausgabe. Und auch hier wird wieder alles besprochen, was im Bad Alchemistischen Kosmos so vorkommt: Art Rock und Art Brut, mehr oder weniger freier Jazz und improvisierte Musik, elektronisches und elektroakustisches, Dröhn und Drone, apokalyptic Folk und imaginäre Folklore, Neue und Alte Musik a.m.o. Dittmann schreckt selbst vor stechenden Sinuswellen oder einer Serenade für Sirenen nicht zurück.
Um etwas Struktur in diese Welt zu bringen ordnet er seine Reviews nach den Labels, auf denen diese Musiken erscheinen, was er dort nicht unterbringen kann versammelt er in Rubriken, die er mit „…over pop under rock…“, „…nowjazz, plink + plonk…“, „… sounds and scapes in different shapes…“ oder „…beyond the horizon…“ überschreibt. Die ersten Seiten gehören auch hier wieder den Live-Reviews, diesmal wird u.a. vom Freakshow Artrock Festival 2011 in Würzburg berichtet. Etwas ausführlichere Artikel gibt es über das Projekt Elend und über die Echtzeitmusik-Szene Berlin (eigentlich eine Buchbesprechung). Zwischendurch schweift er etwas ab und schwurbelt über den Lebensraummusik, Natur versus Stadtluft.
In seinen Reviews zeigt Rigobert Dittmann Querverbindungen der beteiligten Musiker auf und setzt sie so in einen Kontext, der sonst verborgen bliebe. Man wundert sich, wie rbd in diesem dunklen Wald den Überblick behält. Schließlich werden hier Namen genannt, die ein normaler Musikkonsument nicht mal vom Hörensagen kennt. Fred Frith, Alfred 23 Harth, Jim O‘Rourke, Ryuichi Sakamoto oder Nurse With Wound dürften bekannt sein. Aber wer sind all die anderen zwischen Anektoden und Zerang? Das Gehörte beschreibt und interpretiert er eloquent und nutzt dies ab und zu auch mal für Abscheifungen ins Philosophische, findet aber immer wieder auf fränkischen Erdboden zurück.
In Deutschland fällt mir kein Musik-Magazin ein, das sich um ähnlich abseitige, aber interessante Musik kümmert. Eine etwas größere kleine Schnittmenge hat Bad Alchemy höchstens mit dem britischen The Wire.
Der Umschlag von Bad Alchemy 71 zeigt übrigens das erste Mal in seinem Leben farbige Bilder. Auf der Rückseite ein Portrait der Musikerin Audrey Ginestet, die mit der Band Aquaserge Eindruck auf rbd gemacht hat, und auf dem Frontcover ein Gemälde von Tine Klink. Diese hat auch ein Bild zur akustischen Beilage beigesteuert. Denn für Abonnenten liegt dem Bad Alchemy auch ein Tonträger bei. Diesmal eine Doppel-3“-CD-R in einer DVD-Hülle des Labels Attenuation Circuit, dem im Heft vier Seiten gewidmet werden.
Gegründet wurde Bad Alchemy übrigens im Umfeld des Mailorder-Vertriebes Recommended No Man‘s Land, der zeitweise auch den Plattenladen Atahk in Würzburg betrieb. Anfangs lagen dem Fanzine Cassetten bei, später 7“-Singles und jetzt ausgewählte CD(-R)s.
In einem Interview mit Jochen Kleinhenz geht Rigobert Dittmann in der Kulturzeitschrift Nummer auf die Gründung näher ein:
www.nummer-zk.de
Hier geht es zum PDF-Download dieser Nummer, der Artikel befindet sich auf Seite 18ff.
Nummer Dreizehn
Benannt wurde Bad Alchemy nach einem Song von Slapp Happy / Henry Cow, enthalten auf der LP „Desperate Straights“, komponiert von Peter Blegvad und John Greaves.
Und hier kann man alte Bad Alchemy Ausgaben kostenlos als PDF-Dateien herunterladen und die Kontaktadresse einsehen:
www.badalchemy.de
Free The Jazz!
Januar 9, 2012Notizen vom TAKTLOS-Festival 2006
Im Mai 2006 fand in der Roten Fabrik in Zürich das 23. Taktlos-Festival statt. Man könnte es der Einfachkeit halber als Jazz-Festival bezeichnen – aber eines der wirklich interessanten Sorte, das diesmal eine Bandbreite von Neuer Musik bis hin zur Freien Improvisation aufweisen konnte. Experimentelle elektronische Musik oder Turntableism, sonst nichts ungewöhnliches in diesem Rahmen, blieb diesmal allerdings außen vor.
Eröffnet wurde Taktlos 2006 mit Klassikern der sogenannten Neuen Musik. PETRA RONNER und CLAUDIA RÜEGG, beide am Flügel, spielten je eine Komposition von John Cage und George Crumb. „Three Dances“ für zwei präparierte Flügel bestacht durch seinen typischen Cage-Sound, der mich an exotische Gamelan-Musik erinnerte. Erfrischend, solche alte Neue Musik wieder einmal zu hören. Für „Celestial Mechanics“ wurde ein Flügel beiseite geschoben und der andere wieder ent-präpariert. Jetzt wurde vierhändig gespielt – stellenweise durfte der Page Turner mit ins Geschehen eingreifen. Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen, nämlich ins Innere des Piano. Harfenklänge und vereinzelte Klopfgeräusche wurden so diesem Instrument zusätzlich entlockt. Zur Klangverfremdung wurden auch gerne mal Eisenstangen im Inneren plaziert. Diese Spielweise konnte man auf diesem Festival auch noch bei anderen PianistInnen des mehr oder weniger freien Jazz beobachten.
Laut Programmheft kommt die Vokalistin FRANCOISE KUBLER unter anderem auch aus dem Bereich Neue Musik, hat aber im Zusammenspiel mit der Pianistin IRÈNE SCHWEIZER die grüne Grenze in Richtung Improvisation überschritten. Beide schienen gut aufeinander eingestellt zu sein, so gut hat das zusammen gepaßt, was da so improvisiert wurde. Schweizer spielte den für sie typischen, recht perkussiven Klavierstil. Kubler sang im polylingualen Kauderwelsch vermutlich Sinnfreies daher und besang auch den roten Wein. Auf mich wirkte sie wie eine operettenhafte, jüngere Maggie Nichols ohne deren esoterischen Einschlag. Kubler konnte faszinierenderweise sogar bei Schweizers Stakkato-Rhythmen vocal mithalten und bekam gerade noch die Kurve um nicht im selbstverliebten Scat-Gesang zu enden. Ab und zu spielte sie auch mit Rahmentrommel, Daumenklavier, knisternder Folie oder Dosen, die Tierlaute von sich geben. Und als Irène Schweizer wieder einmal das Innere des Flügels erforschte ließ Francoise Kubler es sich nicht nehmen ebenfalls nach dem rechten zu schauen und dort hinein zu singen. Eine kurzweilige Angelegenheit!
Ebenfalls zu zweit traten die Urgesteine WADADA LEO SMITH und GÜNTER SOMMER auf. Das erweiterte Schlagzeug des letztgenannten nahm viel Platz auf der Bühne ein mitsamt Pauke, Gong, klingenden Röhren und vielem mehr. Das faszinierende an Sommer ist, daß sein Spiel gut klingt – egal auf was er einschlägt. Selbst wenn er im irren Tempo Blech und Eisen bearbeitet so daß die Funken sprühen: es klingt nicht nach Schrott! Selbst einem Sprungkasten aus dem Schulsport kann er Wohlkang entlocken. Smith scheint das nicht allzu sehr zu beeindrucken. Er spielt seine coole, elektrifizerte und teils mit Effekten versehene Trompete eher flächig, fast schon a-rhythmisch.
Ganz alleine eröffnete NOËL AKCHOTÉ den zweiten Festivaltag. Sein dem legendären Sonny Sharrock verschriebenes Programm steigerte sich vom fast akustischen, unverzerrten Stück über gemäßigt-eruptive Sharrock-Hommagen zu einem geräuschhaften Finale. Obwohl er nur mit Gitarre samt Verstärker und wenigen Effekten arbeitete, ließ er mit diesen wenigen Mitteln ein spannendes, sich ständig veränderndes Klangbild entstehen. Teils huldigte er Sharrock, teils griff er dessen Blues-Wurzeln auf. Effektgeräte (wenn‘s denn mehr als eines war) wurden nur sehr sparsam eingesetzt und dann sogar per Hand bedient. Für Effekte machte Noël Akchoté keinen Zehen krumm. Zuletzt wurde die halbakustische gegen eine E-Gitarre getauscht – und ohne eine Saite zu berühren entlockte Akchoté dem System Gitarre-Verstärker-Effektgerät wohlgesetzte Geräusche, nur durch Betätigen der Kipp- und Drehschalter, durch Berührungen des Korpus, manchmal auch mit dem feuchten Finger. Ein Stück, das er kleinlaut dem Ende letzten Jahres verstorbenen Derek Bailey widmete.
Sonny Sharrock hatte in der Allstar-Band Last Exit auch mit einem Saxophonisten namens Brötzmann zu tun. Dieser durfte mit seinem international besetzten PETER BRÖTZMANN CHICAGO TENTET das Festival zu einem wunderbaren Ende bringen. Wobei Chicago in diesem Falle nicht nur in USA liegt, sonder auch in Deutschland, Schweden und Norwegen. Zumindest kommen die Musiker dieser Formation aus diesen Ländern. Die Besetzung liest sich wie ein Who Is Who der aktuellen Free Jazz Oder Wasauchimmer Szene: Johnnes Bauer, Mats Gustafsson, Per-Ake Holmlander, Fred Lonberg-Holm, Kent Kessler, Joe McPhee, Paal Nilssen-Love, Ken Vandermark, Michael Zerang und natürlich Peter Brötzmann himself. Zwei Schlagzeuger, ein Bassist und ein Cellist teilten sich mit einer Überzahl an Blasinstrumenten die Bühne und ließen es geradezu rotzig rocken. Beim Finale – als alle gleichzeitig spielten – kam es mir so vor als ob Speed Metal und Free Jazz nahe Verwandte wären. Diese Energie, die da von der Bühne kommt, bläst einem schön die Ohren durch. Aber es gab zuvor auch weniger heftige Momente. Johannes Bauer sorgte solo für einen kurzen, geradezu lyrischen Moment. Und auch die Nicht-Blasinstrumente bekamen ihre Freiräume, ebenso wie die anderen Musiker, die sich in immer wieder neuen personellen Kombinationen musikalisch äußern durften. Hier herrschte eine Spielfreude vor, die sich auch dann zeigte, wenn ein gerade mal nicht spielender Musiker dem Vortrag seiner Kollegen mit einem Lächeln im Gesicht folgte. „Free The Jazz“ war auf dem T-Shirt von Mats Gustafsson zu lesen. Genau, befreit den Jazz von Leuten, die ihn allzu ernst nehmen!
Aus den Niederlanden reisten zwei jeweils siebenköpfige Formationen an, denen etwas mehr Kraft und Spielfreude gut zu Gesicht gestanden hätte. Zum einem war dies Cor Fuhler mit seinem CORKESTRA (bestehend aus zwei Schlagzeugen, Flöte, Saxophon, Bass, Klavier, Electronics und einem Cimbalon, das mich an eine Art Hackbrett erinnert hat). Auf und abschwellender orchestraler Jazz, etwas seelenlos vom Blatt gespielt. Der voluminös-verzerrte Sound der Keyboards beschwörte den Geist eines Sun Ra. Zum anderen war dies Peter van Bergen mit seiner Formation LOOS (inklusive zweier afrikanischstämmiger Musiker an Gitarre und Percussion). Unter dem Motto „Loos plays the Magrebh“ gab es hier eine wenig interessante Mischung aus nordafrikanischer Musik und europäischem Jazz zu hören, die sich nur schwerfällig bewegte.
Wo der Bartel den Most holt zeige dagegen AKI TAKASE mit ihren „gut aussehenden“ Jungs: Paul Lovens, Rudi Mahall, Thomas Heberer und Eugene Chadbourne. Diese ließen die goldene 20er Jahre, Ragtime, Vaudeville und so, aufleben. Oder hauchten dieser Periode mit Preßluft wieder Atem ein. Kompositionen von Fats Waller (aber auch von W.C. Handy) wurden gespielt. Allerdings nicht ohne zu vergessen, daß man eigentlich vom Free Jazz der 70er Jahre kommt. Und alles unter der Führung von Energiebündel Aki Takase, die auch gerne mal mit dem Unterarmen auf die Tasten haut oder irgendwelche Gegenstände ins Innere des Flügels legt. Und als einzige Künstlerin des Festivals kurze Ansagen zwischen den Stücken machte. Lovens brachte seinen kleinen Drumset zum knarzen. Die Bläser genossen ihre Freiheit. Rudi Mahall immer mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Und Eugene Chadbourne sang ab und zu einen Song und spielte Banjo sowie Gitarre, schön versteckt im Hintergrund sitzend. Alles mit einer Lust an der Musik gespielt, dass es eine wahre Freude war. So lasse ich mir alte Jazz-Legenden gerne näher bringen.
Guido Zimmermann
im Mai 2006
Krimi-Baukasten
Januar 6, 2012Okay, ich geb‘s ja zu, ich schaue viel zu viele (minderwertige) TV-Krimis. Hier habe ich nun ein paar Regeln zusammen getragen, die zwingend zu beachten sind, wenn man einen jener normierten, standardisierten Krimis schreiben möchte.
1) Ohne Leiche kein Krimi – spätestens mach drei Minuten muss ein Toter gefunden werden, sonst meutert das Publikum.
2) Die Leiche hat immer Ausweis und riesige Mengen Bargeld oder Wertsachen bei sich – wäre ja sonst nur ein schnöder, zufälliger Raubmord ohne weitere Verwicklungen und so.
3) Natürlich wird beim Toten auch immer ein Telefon gefunden, auf dessen Mailbox verdächtige letzte Anrufe abzuhören sind.
4) Toll wäre, wenn einzelne Ermittler schon am Tatort sein könnten, bevor überhaupt ein Verbrechen verübt wird. Das macht die Story kompakter. Und man ist schon mal im Bild.
5) Persönliche Beziehungen der Ermittler zu Opfern und / oder / aber Verdächtigen sind auch immer gerne gesehen. Bietet dies doch Gelegenheit für Irrungen und Wirrungen.
6) Hat ein Gesetzeshüter deutliche Sympathien oder gar eine amoröse Affäre mit einem der Verdächtigen kann man mit 87%-iger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieser nicht nur verdächtigt sondern am Ende auch wirklich der Täter ist.
7) Schön sind auch immer Konflikte mit LKA oder BKA, die dem rechtschaffenden, kleinen Kriminalbeamten den Fall aus nicht ersichtlichen Gründen entziehen. Natürlich löst anschließend die Kripo den Fall und LKA / BKA entpuppt sich als unfähiger oder sogar korrupter Haufen.
8) Natürlich kommt der redlich arbeitende Kriminalbeamte mit seinem Vorgesetzten in Konflikt, weil er angeblich irgendwie befangen ist, muss Zwangsurlaub nehmen und seine Knarre abgeben – was ihn natürlich nicht daran hindert, weiter zu ermitteln.
9) Will man einen besonders umfangreichen Krimi schreiben, fügt man noch einen weiteren Handlungsstrang in die Story ein, der nur am Rande etwas mit der eigentlichen Geschichte zu tun hat. Dieser muss daher am Ende auch nicht richtig aufgelöst werden.
10) Problemkinder und -Teenager geben dem Krimi erst die Würze. Am besten sind Mißbrauchsopfer, die auf ihrem Computer brutale Baller-Games spielen.
11) Merke: Täter sind auch Opfer. Aber meistens sind Täter nur Täter. Manchmal auch Wohltäter, die ihre ach so saubere Fassade aufrecht erhalten wollen.
12) Populäre Motive: Liebe, Eifersucht und Eifersucht. Manchmal auch Beziehungsprobleme.
13) Irgendwann stecken die Ermittlungen in der Sackgasse und der Kommissar bzw. die Kommissarin sagt „Wir müssen etwas übersehen haben, wir gehen alles noch mal durch!“.
14) Gerne werden mal so Kleinigkeiten übersehen wie „Ach, der Mädchenname vom Frau Meier war ja Müller und somit ist sie ja die Schwester von…“. Konnte natürlich keiner ahnen.
15) Für etwas mehr Action darf ein SEK-Einsatz nicht fehlen. Natürlich überlassen die Kommissare nicht alles den Spezialisten und mischen sich unter die schwerbewaffneten Männer in Schutzanzügen und Helmen. Die normalen Kripo-Leute tragen selbstverständlich keine Helme, höchstens kugelsichere Westen – sie kommen ja sowieso unbeschadet aus dieser Situation wieder raus.
16) Wenn man‘s ganz spannend machen will, zaubert man am Ende einen Täter aus dem Hut, an den noch keiner gedacht hat. Diese Person war zuvor natürlich nur im Hintergrund zu sehen, hat nie etwas gesagt und wirkte immer ganz lieb und war die Höflichkeit selbst.
17) Könnte aber auch ein Unfall gewesen sein.
usw.
usf.