Artwork: Piot Brehmer
Front cover of 10.15 megazine edition number 5,
a fanzine published 1985 in Würzburg, Germany.
Notizen vom 1998er Hausmusik- und Jimmy Draht Comic-Festival
FAZIT
Im November 1998 fand das alljährige Hausmusik-Festival, auf das man eineinhalb Jahre warten mußte, nicht mehr in Landsberg sondern im München statt. Ein Grund, den Schritt in die Großstadt zu wagen, war bestimmt der Mangel an Veranstaltungsorten in Landsberg. Andererseits ist das potentielle Publikum in München naturgemäß größer. Und außerdem leben eh schon eine ganze Reihe von Hausmusikanten in München. Also: was lag näher?! Auch der Entschluß, das Jimmy Draht-Comic-Festival parallel zum bzw. zusammen mit dem Musikfestival stattfinden zu lassen, war aufgrund der großzügigen Räumlichkeiten im Feierwerk ein geschickter. Auch wenn es für Fans der Weilheim-Landsberg-München-Connection wenig wirklich überraschendes gab, so war es doch schön zu beobachten, welche Fortschritte Bands wie beispielsweise Subatomic, Teleconductor oder das Tied & Tickled Trio seit ihrem Live-Debut vor eineinhalb Jahren gemacht haben. Trotzdem war das Festival besser als das letzte Mal, wirkte einfach runder, was vielleicht auch an den guten Rahmenbedingungen lag. So war der Sound optimal. Das von Quantensprung besorgte Licht war immer ein Augenschmaus. Das Programm umfangreich, inklusive Ausstellung und Lesungen. Und irgendwie war auch mehr los. Und dann waren da noch die netten Leute aus Bamberg, Berlin, Düsseldorf, Stuttgart oder Würzburg, die man bei dieser Gelegenheit wiedersehen konnte…
Donnerstag
TUNIC aus Berlin hatten die Ehre, das Festival zu eröffnen. Wunderschöne Musik – Schlagzeug, Gitarre, Bass plus zurückhaltender Frauenstimme – eine Schnittmenge aus Durutti Column und Punk Rock?!
Mit LALI PUNA, dem auch in der Reihenhausmusik-7″-Reihe vetretenen Homerecording-Projekt von Valerie Trebeljahr, ging es in Richtung unschuldigem Synthie-Pop. Gerne singt sie in Sprachen, die sie nicht beherrscht. Live unterstützt von drei Herren. Sehr sympathisch.
COUCH mit ihrem Gitarren-Briefoderpaketpost?-Gitarrenrock ist da schon wesentlich anspruchsvoller und auch anstrengender. Aber dennoch ist es faszinierend, dieser nun durch Stefanie Böhm und deren Synthesizer erweiterten Herrendreierrunde und ihren manchmal recht vertrackten Instrumentalnummern zu lauschen. Wenn mich nicht alles täuscht klingen sie jetzt nicht mehr so spröde wie früher.
Als Headliner des ersten Abends spielte Notwist, die mir live heute wesentlich besser gefallen als vor meinetwegen zwei Jahren. Die Öffnung hin zu Jazz, Elektronik und Pop hat diesen “Indierockern” absolut gut getan. Jetzt kann man wenigsten – ohne genervt frühzeitig den Konzertsaal zu verlassen – ihre Konzerte durchhören.
Freitag
Am Freitag war am meisten geboten. Hier wurde nicht nur die Comic-Ausstellung eröffnet und Filme gezeigt, sondern es wurde parallel auf zwei Bühnen Livemusik dargeboten. Im Hauptgebäude lief bis kurz vor vier Uhr zumeist mehr oder weniger elektronische Musik, während im Nebengebäude verschiedene Bands aus dem Umfeld der Berliner Galerie berlintokio auftraten. So gab es immer ein Hin und Her zwischen den Orten.
Am frühen Abend fiel es gar nicht auf, daß das Einmannprojekt FILES auflegte. So kann es gehen, wenn man das DJ-Pult der Bühne vorzieht.
METAL LOOP wurden auf dem Festival-Album noch als MINITCHEV geführt. Dabei handelt es sich hier um einen Ableger dieser Berliner Band um Evelin Höhne, die wiederum auch in Sachen Comics unterwegs ist. Zu dritt wurde hier sympathischer Synthie-Pop in typisch Berliner Trash-Variante dargeboten (man denke nur an Ladybird oder Stereo Total…).
Während die Berliner Bands ihre Bühne umbauten fungierte NEOANGIN (= der Comic-Künstler Jim Avignon) als pausenfüllender Alleinunterhalter mit herrlicher Synthie-Musik (vgl. meine CD-Rezension in diesem Heft).
Das IS068-Konzert auf dem 97er Gehörsturzfestival war eigentlich gar keines, weil der damalige DJ wegen Herzschmerz nicht anreisen konnte. Mittlerweile wird der Keyboardelektroniker Thomas Göbel vom FRED IS DEAD-Schlagzeuger Florian Zimmer unterstützt. Improvisation hat inzwischen bei ISO68 AKTUELL einen sehr geringen Anteil, was der Musik in diesem Fall eher gut tut. Auch ist es nicht verkehrt, etwas krautrockig zu klingen, wenn das Schlagzeug mal eingesetzt wird. Gute Elektronik, wie auf ihrer Reihenhausmusik-Single nachzuhören ist.
[BLOND verpaßt zu Gunsten von JEANS TEAM].
Daß das Jeans Team mehr als nur eine Rockband darstellt, sondern auch eine Künstlergruppe sein soll, kann man in der zweiten, empfehlenswerten Ausgabe des Münchner Heftes Anti-Hund nachlesen. Ihr Konzert begannen sie mit zwei langen Nummern, die irgendwie so klangen als ob sie die ganz frühen Kraftwerk nachäffen wollten. Erst danach rockte das Jeans Team los um zwischendurch auch wieder ein paar minimalistischere Keyboard-Stücke darzubieten. Hier spielt übrigens auch Reimo mit, der sich bei Stereo Total manchmal zum Kasper macht, obwohl er das eigentlich garnicht nötig hat.
[MINA und CONTRIVA verpaßt zugunsten von SCHNEIDER TM].
SCHNEIDER von Hip Young Things etc. trat hier mit seinem Elektronikprojekt live auf. Im Grunde ist es Techno, was Schneider hier macht – allerdings kein sturer Minimal Techno. Denn er baut alle drei, vier Minuten eine Variation oder Wendung in seine Musik ein, da kommt ganz der Indierockmusiker in ihm durch. Lustig anzusehen, wie Schneider und seine beiden Live-Assistenten ab und zu auf der Bühne rumhüpfen. Das ist Rock!
Eines der interessantesten weil neuesten Projekte war das Trio TED MILTON / ANDREAS GERTH / MICHAEL HEILRATH. Milton kennt man von seiner Band Blurt her, mit der er auch schon bestimmt zwanzig Jahre lang unterwegs ist. Mit diesem neuen Projekt bewegt er sich weg vom präzis-repetitiven Gitarrenrock und knüpft eher wieder an seine 1984 von Steve Beresford produzierte 12″ „Life is but a violence“ an. Die elekronischen Klänge von Andreas Gerth und die (auf Platte von Paddy Steer gespielten) Basslinien bilden die Basis für Ted Miltons Texte, die er mehr vorträgt als singt. Zwischendurch bläst er auch sein Saxophon. Aber gottseidank nicht so expressiv wie bei Blurt, das würde hier garnicht so passen.
Anschließend stand Gerth mit dem TIED & TICKLED TRIO auf der Bühne, das auch immer perfekter klingt. Dub-Jazz-Rock wie gehabt. Sehr schön die dank zusätzlichem Gast stellenweise auf drei Instrumente verstärkten Bläsersätze. Wunderbar. Blue.
Tief in der Nacht trat dann noch CONSOLE alias Martin Gretschmann auf. Seine meisterhaften elektronischen Pop-Instrumentals, in die er stellenweise Zitate aus den 80er Jahren einbaut (vgl.“Rocket In The Pocket“) werden live von einer Band begleitet. So rockt es stellenweise auch hier ordentlich. Am nettesten finde ich Martin in dem Moment, wo er nichts tut außer seine Mitmusiker anzugrinsen während sie zum Finale mal so richtig lärmen dürfen. Einfach süß!
Samstag
Heute gibt es nachmittags auch Lesungen, die ich natürlich halb verpasste. Daß ich Katja Hubers Darbietung dann doch miterleben darf, ist eine erfreuliche Schicksalswendung. Denn wie sie ihre Texte vorträgt ist einfach klasse. Einen selbstverfaßten, eigentlich ernst gemeinten, wissenschaftlichen Text trägt die derart originell vor, daß das Publikum ins Lachen kommt. Zu jedem Fremdwort packt sie irgendeinen Gegenstand aus und hebt ihn hoch. Bei einem frei vorgetragenen Text, ich glaube es ist der, der auch im Beiheft zum Festival-Album abgedruckt wurde, zieht sie sich nach und nach aus – nein, trotzdem kein Striptease, das wäre wirklich zu platt – und zaubert im passenden Moment einen Zettel aus ihrem Stiefel. Poetry in Motion. Sehr sympathisch.
Abends dann wieder Musik.
Den Anfang machten EVONIKE mit zwei Frauen an Bass und Gitarre sowie jeweils einem Herren am Fender Rhodes Piano und Schlagzeug. Guter Gitarrenalternativepunkrock, der mir stellenweise etwas zu arg amerikanisch daher kam. Gute Menschen, die sich die Zeit nahmen, sich zwischen den Songs auf der Bühne hochzunehmen. Was positiv auffiel – bei den meisten andere Bands vermißte man soetwas.
SUBATOMIC haben ihre Drum-And-Zwei-Bässe-Musik weiter perfektioniert und bewegen sich immernoch zwischen Bossa Nova und Punk’Rock’n’Roll. Wann kommt da mal eine Single?
Eine Single gibt es dagegen schon von TELECONDUCTOR, die auch immer besser werden mit ihrer Gitarrenschrammelmusik. Erinnert dank der jungen Mädchenstimme etwas an englischen Girl-Pop der frühen 80er Jahre.
Mit SCHWERMUT FOREST haben wir es mit hervorragenden Musikern zu tun, deren Rockmusik dank Klarinetteneinsatz manchmal etwas in Richtung Jazz steuert. Gute seltsame Texte inklusive. Werden auch immer besser. Das hier gespielte neue Material macht gespannt auf die kommende Platte!
Ein Konzert mit FRED IS DEAD ist für mich immer ein Genuß. Und ähnelt meist einem Treffen mit alten Bekannten. Auch wenn man kaum wirklich neue Songs dargeboten bekommt, ist das wiederhören immer eine große Freude.
Zu guter letzt kamen noch PRAM aus England als krönender Abschluß auf die Bühne. Superstrange Klangteppiche, zwischendurch mit ätherischem Theremin, from outer space. Dank Kurztrompete mit jazzigen Anklängen, geerdet von Gitarre, Schlagzeug, Bass und zwei Keyboards. Für manche Konzertbesucher dann wohl doch zu strange, denn das bestbesuchteste Konzert war dieses nicht. Trotzdem faszinierende Musik.
ENDE
Neben einigen von Comic-Künstlern gestalteten Räumen gab es in einem Kellerraum eine hochinteressante Installation mit dem Titel „typodiatextbildvideosoundfilmetc“ von Leuten aus dem Umfeld der Würzburger Galerie Nulldrei. In einem schwarz gestrichenen Raum wurden Dias und Filme bzw. Videos kreuz und quer durch den Raum projiziert. Diese Bilder konnte man allerdings erst wahrnehmen, nachdem man einen Trichter mit aufgespanntem Transparentpapier aufsetzte und so durch den Raum wandelte. Ein schönes Spiel mit unserer visuellen Wahrnehmung!
(first published in Bad Alchemy 33/1999).
Seit Jahren bin ich im Besitz dieses einfachen, schmalen Badezimmer-Schrankes. Beim letzten Umzug kam wiedermal die Rückseite dieses Möbelstückchens zum Vorschein. Dort zu sehen ein Etikett der norddeutschen Firma JAKA-möbel mit der Modell-Bezeichnung „BADLIFE S“. Irgendwie eine ungeschickte deutsch-englische Wortkombination. Wünscht mir der Hersteller etwa ein „SCHLECHTESLEBEN“? Wird mein Dasein besser, wenn ich dieses Ding verschwinden lasse?
Im Jahr Zweitausendeins fand am Niederrhein das 30. Moers Festival statt. Am Anfang eines neuen Jahrtausends konnte ein rundes Jubiläum gefeiert werden. Nachdem ich nun selbst am Rhein wohne und mich nur 30 Autominuten von Moers trennen, fiel mir die Entscheidung nicht schwer, dort mal vorbeizusehen. Für mich war das 30. somit mein erstes.
Vom einstigen kleinen Free Jazz Spektakel hat sich das Moers Festival zu einem großen Kessel Buntes mit angeschlossenem Pfingstzeltlager entwickelt. Der Begriff „New Jazz Festival“ ist heute bezeichnenderweise nur noch im Untertitel zu finden.
Erfreulich ist dagegen, dass sich dieses Festival im Laufe der Zeit für Musiken jenseits des Jazz geöffnet hat – in Richtung Art Rock, Elektronik und (leider) auch verstärkt der sogenannten Weltmusik.
Für mich war das 30. Moers Festival allerdings durch solche Namen interessant geworden, die man seit über 20 Jahren liebt und / oder schätzt und die man bereits ‚damals‘ hätte live erleben sollen: Defunkt, Robert Wyatt, David Thomas, Fred Frith und schließlich The Residents. Letztere hatten mit Jazz nun wirklich noch nie etwas am Augapfel.
Anfang der 80er Jahre schufen Defunkt ihren eigenen Sound von Funk Rock, der anfangs durchaus dem damaligen No Wave nahe stand. Über zwanzig Jahre später formierten einige wenige Mitglieder aus den Anfangsjahren mit Musikern, die in den frühen 90er Jahre hinzu gestoßen sind, als DEFUNKT BIG BAND. Die Bläser wurden personell deutlich aufgestockt. Und irgendwie kam es mir so vor, als ob die beiden Bowie-Brüder Joseph und Byron es vorzogen, ihre teilweise jüngeren Mitmusiker spielen zu lassen und sich lediglich auf das singen oder das Dirigieren der Truppe zu beschränken. Trotzdem funkte und rockte das Zelt am späten Nachmittag.
Apropos Dirigieren: auf so einem Festival kann man ja die verschiedensten Varianten des Dirigierens beobachten. Besonders wichtig schien diese Tätigkeit bei DR. NERVE gewesen zu sein, die zusammen mit dem SIRIUS STRING QUARTET auf der Bühne standen. Zuerst gab sich das Sirius String Quartet kammermusikalisch, aber schon bald gesellten sich die Musiker von Dr. Nerve hinzu und boten dann eine Achterbahnfahrt, vom Streichquartett-Klang ausgehend über Free Jazz zum Artrock mit einem Kurzbesuch beim Heavy Metal. Was stellenweise free klang war allerdings wohl auskomponiert. Wie es sich für einen Mathematiker wie Nick Didkovski gehört, ist die Musik von Dr. Nerve sehr durchstrukturiert. Nichts wird dem Zufall überlassen. Zuerst dirigierte Didkovski selbst – mit vollem Körpereinsatz und geballter Faust. Aber als er dann selbst zur Gitarre griff, musste abwechselnd jeder Musiker, der gerade eine kurze Spielpause hatte, das Metrum anzeigen. Nur nicht aus dem Takt kommen! Trotzdem eine energiegeladene, abwechslungsreiche Darbietung, immer wieder von den scharfen Bläsersätzen durchschnitten oder von Nicks heavy Gitarre geerdet. Sein relativ kurzes Gitarrensolo gegen Ende der Performance wurde auch prompt vom Publikum mit einem Szene-Applaus belohnt.
Wobei wir zu einem der widerwärtigsten Rituale auf einen Jazzfest gekommen sind: Die Unsitte des erfahrenen, langjährigen Festival-Publikums, eine solistische Leistung unbedingt laut beklatschen zu müssen. Dass dabei so manch interessantere, nachfolgende leisere Übergangspassage übertönt wird, leuchtet diesen Leuten nicht ein. Ebensowenig, dass selbstgefälliges, virtuoses Rumgewixe musikalisch vollkommen uninteressant ist.
Bei SUPERSILENT habe ich mich gefreut, dass endlich mal auf der Hauptbühne vier Musiker zusammen (!) improvisieren. Und zwar nicht um ihre Solos nacheinander runter zu nudeln, sondern um Klanglandschaften entstehen zu lassen, die ästhetisch dem Ambient oder gar dem Clicks+Cuts-Sound näher stehen als dem Jazz. Schlagzeug, Keyboards und Trompete wurden elektronisch verfremdet und fügten sich zu einem kompakten Konglomerat zusammen, das in zwei Teilen dargeboten wurde. An einer Stelle klang es für mich kurz mal so, als wollten die vier Norweger den Sound von Sigor Ros veralbern. Aber das habe ich mir sehr wahrscheinlich nur eingebildet. Als der Schlagzeuger einmal etwas kräftiger auf die Felle schlug, wurde dies vom Publikum gleich für ein Solo gehalten und eifrig beklatscht. Unglaublich!
Auf der Hauptbühne fanden solch interessanten, zeitgemäßen Darbietungen leider selten statt. Experimentiert wurde fast nur innerhalb der vormittäglichen Projekte, z.B. in der abseits der Zeltstadt durchgeführten „electric lounge“. Hier wurde unter der konzeptionellen Leitung von Frank Schulte live und unter Einbeziehung moderner elektronischer Mittel kollektiv improvisiert. Wobei hier unterschiedlichste Künstler aus verschiedenen Ländern und Generationen drei Tage lang zusammen arbeiteten. Reine Samplingkünstler trafen hier auf Musiker, die Gitarre oder Cello als Basis ihrer Klangerzeugung verwenden. Dank Schulte fand alles innerhalb eines fest gefügten Zeitplanes statt. Jeder wußte, wann er mit wem zusammen im Duett improvisieren und wann wieder mal alle zusammen ans Werk gehen sollten. Das war dann wirklich kurzweilig, auch wenn man insgesamt drei Stunden (unterbrochen von zwei Pausen) Musikern wie Gry Bagoien, Jakob Kirkegaard, Lorenzo Brusci, Andreas Bosshard, David Shea, Anne Krickeberg oder Fred Frith zuhörte. Erstaunlich vor allen die kollektiv improvisierten Drones!
Ein paar Stunden später improvisierte FRED FRITH dann schon wieder solo auf der Hauptbühne des Festivals. Und es ist immer noch interessant und spannend zu sehen, wie Frith mit Hilfe seiner Gitarre, verschiedenster Alltagsgegenstände (aus den Bereichen Heimwerk und Küche) sowie einiger nachgeschalteter elektronischer Geräte seine Soundscapes entstehen lässt. Dabei kommt er ohne grundlegende Überraschungen aus, unterschreitet seinen gewohnten Qualitätsstandard allerdings nicht.
Das Projekt SOUPSONGS war ganz und gar der Musik von Robert Wyatt gewidmet. Wyatt war zwar nicht persönlich präsent, steht aber voll hinter diesem Projekt um Annie Whitehead, wie man in den liner notes zu deren Live-Doppel-CD nachlesen kann. Nach dem etwas gewollt wirkenden World-Music-Meets-Jazz-Projekt Tukki empfand ich diese song-orientierte, typisch englische Musik besonders erfrischend. Stellenweise driftete die zum Teil aus alten Weggefährten von Robert Wyatt bestehenden Band geringfügig ins überambitioniert-jazzige ab. Aber das ist zu verzeihen. Schließlich stellten solch herrlichen Musiker wie Julie Tippetts, Lol Coxhill oder Ian Maidman ihr Können ansonsten ganz in den Dienst der Wyatt’schen Songs. Hierbei ergab sich ein schöner Querschnitt durch drei Jahrzehnte der neueren Pop-Musikgeschichte.
In eigener Sache war DAVID THOMAS unterwegs. Unterstützt wurde er hier keineswegs von Pere Ubu sondern von den TWO PALE BOYS, die mit Gitarre, Trompete und Electronics die Basisarbeit für seine Songs erledigten. Thomas sang, spielte ab und zu Akkordeon oder stieß in ein Blasinstrument. Zwischendurch nahm er immer wieder mal einen Schluck Cognac aus dem Flachmann (!) oder griff zum Bierglas. Bei David Thomas weiß ich allerdings nicht so recht, ob man diesen Mann mit Übergewicht und Alkoholproblemen bemitleiden oder sich einfach nur an seinen in urbaner Bluesstimmung gehaltenen Songs erfreuen soll. Irgendwie befremdlich.
Am Ende des letzten Festivaltages präsentierten dann THE RESIDENTS ihre erste Digital Video Disc „Icky Flix“. Wobei streng genommen kaum etwas neues auf diesem Speichermedium geboten wird. Denn die Residents haben die neuen Möglichkeiten der DVD sofort erkannt und die Gelegenheit genutzt, um Videos aus den letzten drei Jahrzehnten darauf zu veröffentlichen. Gleichzeitig wurde die Musik zu diesen Filmen neu eingespielt, um sie im zeitgemäßen Dolby Surround Sound wiedergeben zu können. Wer einen DVD-Player sein Eigen nennt, kann sogar zwischen altem und neuem Soundtrack wählen. Wer sich die CD-Version von „Icky Flix“ zulegt, muss sich allerdings mit dem Stereo-Mix der neu eingespielten Musik begnügen. Tja, so ist das Leben.
Live boten die Residents – wie hätte man es anders erwartet – eine perfekt inszenierte Show. Auf einer Leinwand über der Bühne wurden die Filme gezeigt, während auf der Bühne die vier Residents zusammen mit zwei Gäste hinter silbergrau bespannten Paravents ihre vorwiegend elektronische Musik zum besten gaben. Nur der mit einer skurrilen Maske versehene Sänger sowie die plakativ geschminkte und eine großen Perücke tragende (Gast-) Sängerin trauten sich während der Show hinter ihrem Sichtschutz hervor. Die anderen Musiker zeigten sich dem Publikum seltener und waren – wie es sich für diese kalifornische Kultband gehört – vermummt. Nach etwa 90-minütiger Show wurde noch ein viertelstündiger Zugabeblock ohne Videoeinspielungen gegeben. Die zum Teil von weit her angereisten Fans konnten zufrieden sein.
Auch insgesamt durfte man zufrieden mit diesem Moers Festival sein – zumindest wenn man sich den Luxus erlaubte, einfach großzügig auf Programmpunkte zu verzichten, bei denen es klar war, dass sie ins traditionelle (beispielsweise Gianluigi Trovesi und die WDR Big Band; Jeri Brown Quartet) oder ins pseudo-folkloristische (z.B. die beiden kubanischen Bands am Samstagabend oder die African Dance Night Sonntag nachts) abdriften würden. Wenn schon das Festival die Beschränkung auf das Wesentliche nicht leisten kann (wie sollte es auch?!?), muss man halt selbst sein Programmgestalter sein. Und das war dann (für mich) ganz okay so.
GZ,
Juni 2001
(geschrieben für Bad Alchemy 38).
Wir werden immer weiter gehen
(95 Minuten, Dokumentarfilm, Deutschland, 2012)
Am vergangenen Sonntag habe ich es doch noch geschafft für einen Film auf das Berliner Musikfilmfestival In-Edit zu gehen. Es lief nochmal der Eröffnungsfilm „Wir werden immer weiter gehen“ von George Lindt und Ingolf Rech, der sich „Berlin und Hamburg als Epizentren deutscher Musikproduktion“ (so zu lesen in der Ankündigung) widmet.
Im Vorspann wird diese Dokumentation als Kaleidoskop betitelt – aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich hier eher um ein Sammelsurium kurzer Schnipsel aus der Indie Rock Pop Szene besagter Städte handelt. Es fängt recht gut gelaunt mit kurzen Interviewpassagen und Konzertmitschnitten der Berliner Rockgruppe Stereo Total an. Und viele weitere Live- und Gesprächsmitschnitte folgen. Rocko Schamoni (Motion, Little Machine, Studio Braun, Fraktus), Schorsch Kamerum (Die Goldenen Zitronen), Christiane Rösinger (Lassie Singers, Britta), Dirk von Lowtzow (Tocotronic) oder Alec Empire (Atari Teenage Riot) tauchen beispielsweise auf, aber auch die Betreiber von Clubs wie dem Tresor in Berlin oder der Tanzhalle in Hamburg, Plattenläden wie Michelle Records oder Mr Dead & Mrs Free, Plattenlabel wie Buback, Zickzack, Vielklang (auch ein Studio) oder Kitty-yo und sogar ein Berliner CD-Presswerk oder ein Hamburger Gitarrenfachgeschäft. Und Nikel Pallat, der früher bei Ton Steine Scherben mit von der Partie war (und in irgendeiner WDR-Talkshow anno 1971 einen Tisch mit der Axt malträtierte sowie mit der Würzburger Jazzrockband Munju eine Solo-LP aufgenommen hat) zeigt wie es beim Indigo-Vertrieb im Lager und Versand zugeht. So wie diese Aufzählung pendelt auch der Film zwischen den Orten. Die Sequenzen wirken auf mich zumeist mehr oder weniger zufällig aneinandergereiht. Kaleidoskop halt. Das macht den Film aber nicht besonders spannend, die Filmemacher gehen einfach immer weiter in die Breite. Und der Fan geht mit.
Leider wird nie konkret dokumentiert, aus welchem Jahr die Bilder stammen. Als Uli Rehberg in seinem Plattenladen Unterm Durchschnitt, den er bis ca. 2003 in Hamburg betrieb, auftaucht, wird schnell klar, dass es sich hier vorwiegend um Material aus den frühen Nuller-Jahren handelt. Gegen Ende des Films wird in Schwarzweiss schnell noch der aktuelle Stand – „10 Jahre später“ – nachgereicht. Viele machen immernoch Musik, manche haben Kinder, einige sind am Theater gelandet oder schreiben Bücher, weil man mit Musik ja kein Geld mehr verdienen kann.
Eine schöne Überraschung war für mich das Auftauchen von eben erwähntem Uli Rehberg (aka Ditterich von Euler-Donnersperg, Dr. Kurt Euler), einem herrlichen Kauz, der so manche launige Meinungsäußerung von sich gab, mit einem Kind auf dem Arm. Über diesen Mann sollte mal jemand einen Dokumentarfilm machen. Unvergessen sein Label Walter Ulbricht Schallfolien und die Pelzwurstlieder! Auf sein Buch – er arbeitet angeblich an einem Industrial-Roman (?) – darf man gespannt sein.
Ein Buch zu diesem Film gibt es übrigens bereits, aber ich kenne es noch nicht.
GZ,
04. / 08.11.2012