Archive for the ‘DVD’ Category

Step Across The Border

Januar 19, 2012

Fred Frith – Step Across The Border
(Deutschland, 1990, ca. 85 Minuten)

Der Schwarzweißfilm „Step Across The Border“ ist nicht direkt ein Musikfilm über den Gitarrenvirtuosen Fred Frith, sondern  eher eine improvisierte Collage aus Material, das die beiden Regisseure Nicolas Humbert und Werner Penzel auf ihrer gemeinsamen Reise mit Frith durch die halbe Welt auf Celluloid belichtet haben. Werner Penzel hat übrigens auch schon vor zehn Jahren (oder noch etwas früher) die Welttournee der Ethnorockformation Embryo in seinem 16mm-Film „Vagabundenkarawane“ dokumentiert. „Step Across The Border“ spielt zwar auch an verschiedensten über die ganze Welt verstreute Orte (New York, Tokyo, Schottland, Leipzig fallen mir jetzt spontan ein), ist allerdings kein Werk, das man als Dokumentar- oder Experimentalfilm abtun kann. In den eineinhalb Kinostunden sieht man Fred Frith mit den verschiedensten Leuten musizieren, man hört Statements von ihm, aber z.B. auch von Arto Lindsay. So mancher gibt in der U-Bahn Philosophisches zum besten, die Butterfly-Theorie wird erklärt oder ein Märchen wird von drei verschiedenen Menschen simultan erzählt. Immerwieder tauchen Fortbewegungsmittel wie Zug, U-Bahn, Auto oder Motorrad auf, man scheint ständig unterwegs zu sein. Brücken, Häuser, Felder und vieles mehr zieht vorbei. Und zwischendurch kann man Fred Frith von seinen verschiedensten Seiten sehen. Zum einen als wild improvisierenden Freistilmusiker und zum anderen als ruhigen Interviewpartner oder als den netten Onkel, der mit einem kleinen Kind und einer Harmonika spielt. Und wenn er mit seinen abgehackten Bewegungen den Dirigenten mimt, wird es sogar witzig. Oder: Fred Frith kauft in einem Supermarkt Haushaltswaren, Erbsen und ähnliches Zeug ein – anschließend sehen wir ihn wie er mit den eben eingekauften Dingen in der Küche seine homemade Tischgitarre bearbeitet…..

Die Musik, die in diesem Film als Soundtrack verwendet wurde, ist zu einem großen Teil von bereits erschienenen Fred Frith-Platten her bekannt. Allerdings sind auf der DoLP/CD teilweise Versionen, wie sie im Film nicht zu hören sind. Und wenn mich nicht alles täuscht, gibt es den auf dem Soundtrack-Album enthaltenen, titelgebenden Song („The Border“ von Skeleton Crew) garnicht im Film zu hören. Hervorzuheben sind zwei schöne Songs, bei denen Fred Frith seine Finger ziemlich heraushielt. Nämlich „After Dinner“ mit Haco (Piano und Stimme) und „Morning Song“ von Iva Bittova und Pavel Fajt. Ansonsten hört man viel Musik mit Frith solo sowie Bands oder Projekten wie Massacre, Skeleton Crew bzw. mit Musikern z.B. von Zamla usw. usf. Der interessierte Hörer kann in einem ausführlichen Beiblatt mit Discographie und Besetzungslisten der einzelnen Songs selbst das Gewirr der Frith‘schen Kollaborationen erforschen. Und als Einstieg in die nicht nur improvisierte Welt des Herren Frith ist diese DoLP/CD wunderbar geeignet. Abwechslungsreiche 70 Vinyl- bzw. 85 Filmminuten werden auf jeden Fall geboten. Freilich nichts für ’normale‘ Musik- und Filmkonsumer. Aber auch nicht nur ausschließlich für Fans!

(Der Soundtrack erschien bei Recommended Records Schweiz und sollte über EFA in jedem guten Laden erhältlich sein. In Deutschland kann man ihn via Mailorder auch bei Recommended No Man’s Land, Dominikanergasse 7, Postfach 110449, D-8700 Würzburg bestellen).

Guido Zimmermann,
1991

Dieser Text wurde zuerst im Oktober 1991 in Ausgabe 16 des 10.16 Megazine veröffentlicht und beim Digitalisieren am 19.01.2012 nur leicht editiert.

Der Film erschien 2003 bei Winter & Winter auf DVD (mit 12 Bonus Tracks).
Der Soundtrack wurde 2002 in Form einer CD auf Fred Records / ReR Megacorp wiederveröffentlicht.

Gehörlose Musik

Februar 21, 2010

Wolfgang Müller: Gehörlose Musik – Die Tödliche Doris in gebärdensprachlicher Gestaltung
(DVD mit Buch in einer hübschen Schachtel,
Edition Kröthenhayn
, 2006)

Wolfgang Müller ist nicht nur ehemaliges Gründungsmitglied der Westberliner Künstlergruppe Die Tödliche Doris – man könnte ihn auch als deren Nachlassverwalter bezeichnen. Denn diese Band gab es – so will es das Konzept – nur sieben Jahre lang, von 1980 bis 1987. Anfangs nahm ich sie nur als Musikgruppe wahr, erst im Laufe der Zeit entpuppten sich die „Genialen Dilletanten“ von Die Tödliche Doris für mich als Künstler, die auch Filme und Videos fabrizierten und sonstige Ausdrucksmöglichkeiten der bildenen Kunst durchexerzierten. Der Verleger und Vortragsreisende Martin Schmitz kann davon ein Lied singen. Die bei ihm erschienenen Bücher über Die Tödliche Doris sind empfehlenswert.

Bereits in den frühen 1980er Jahren kam Wolfgang Müller in Berlin mit einzelnen Gehörlosen in Berührung, die offensiv mit Hörenden kommunizeren wollten. In einem Super8-Film von Die Tödliche Doris wird bereits 1984 ein tauber Schlagzeuger gezeigt. Dieses Interesse schlug sich 1994 auch in „hörspiel/unerhört“ nieder, einer Produktion für den Bayerischen Rundfunk (zusammen mit Holger Hiller). Ein paar Jahre später, am 27.11.1998, wurde die auf dieser DVD dokumentierte Performance „Gehörlose Musik – Die Tödliche Doris in gebärdensprachlicher Gestaltung“ im Prater der Berliner Volksbühne aufgeführt. Dargeboten werden alle 13 Stücke, die auf der 1981 erschienen Langspielplatte „Die tödliche Doris“ (ZickZack, ZZ 123) veröffentlicht wurden. Wolfgang Müller sitzt ganz links auf der Bühne (ist aber nicht im Bild zu sehen) und bedient den Plattenspieler, während Andrea Schulz und Dina Tabbert, in dunkler Kleidung, Text und Musik gebärden. Das sieht dann weder nach Tanz noch nach Pantomime aus sondern ist eine Sache für sich. Manchmal teilen sich die beiden Dolmetscherinnen scheinbar die textliche und musikalische Ebene. Letzenendes ist diese gebärdensprachlicher Gestaltung nicht nur eine Interpetation sondern vor allem eine Übersetzung in eine andere Sprache – die ich weder verstehe noch beherrsche. Das Material von Die Tödliche Doris erfährt somit eine Transformation in eine andere Welt, die einem Hörenden besonders seltsam vorkommt, wenn man den Ton abstellt.

In einem auf dieser DVD ebenfalls enthaltenen, ca. 15-minütigen Interview erklärt Wolfgang Müller dann noch näheres zu den Hintergründen dieses ungewöhnlichen Unterfangens.

PS:
Noch ein Hinweis für Fans der Hörspiel- und Medienkunst:
Am 11. April 2010 findet auf der Welle von Bayern 2 Radio die Ursendung des neuen Hörspiels von Wolfgang Müller statt: „Learning Mohawk in fifty-five minutes“.

Irène Schweizer

Februar 7, 2010

A Film by Gitta Gsell
(Reck Filmproduktion / Intakt DVD 121)

Der Titel verrät es schon: hier handelt es sich um einen Dokumentarfilm über die Jazz-Pianistin – und nicht zu vergessen Schlagzeugerin – Irène Schweizer (*1941). Weltpremiere hatte dieser Film im Herbst 2005 in Luzern, am gleichen Oktober-Wochenende als Schweizer innerhalb der Konzertreihe ‚Director‘s Choice‘ zu einem Solo-Konzert ins Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) eingeladen war, das von Radio DRS 2 live übertragen wurde. Eine Würdigung ihres langjährigen musikalischen Wirkens, dem meinem Empfinden nach im großen Konzertsaal des KKL mehr Hochkultur- als Jazzfans beiwohnten. Trotzdem gab es lang anhaltende Standing Ovations – das würde in der Roten Fabrik nicht so schnell passieren, obwohl man ihre Musik an letzterem Ort vermutlich ernsthafter zu würdigen weiß.

Der Film zeichnet in einer geschickten Montage von jetztzeitnahen Interviews mit der Künstlerin und ihren Wegbegleitern (Musiker, Verleger, Freunde), altem Archivmaterial und neuen Live-Aufnahmen ein Portrait einer der wichtigsten PianistInnen der europäischen improvisierten Musik. Durch Studenten, die im Gasthof ihrer Eltern musizieren, kommt Irène im Alter von 12 Jahren mit Dixieland-Jazz in Berührung. In den 1960er Jahren gewinnt sie mit ihrem Irène Schweizer Trio den ersten Preis bei einem Amateur Jazzfestival, zusammen mit Mani Neumaier und Uli Trepte. Die 70er Jahre sind auch in der Schweiz eine wilde, vom politischen Aufbruch geprägte Zeit. Schweizers Musik radikalisiert sich – eine Reaktion auf die politische Lage. „So eine brutale Zeit erfordert brutale Musik“, sagt dann auch Jost Gebers (vom FMP) in die Kamera. In diese Zeit fällt auch Schweizers Engagement in Musikerkooperativen und der Emanzipationsbewegung sowie der Homosexuellen Frauengruppe (HFG). All dies wird nicht streng chronologisch erzählt, so werden die Verbindungen zwischen den „alten Zeiten“ und dem Hier & Jetzt deutlich gemacht. Mit dem Perkussionisten Louis Moholo, den sie in den Sechzigern als Mitglied der im Zürcher Club Africana gastierenden Blue Notes kennenlernt, geht sie 2003 auf Südafrika-Tour. Diese wird auch in diesem Film dokumentiert. Mit den durchaus schönen Afrika-Bilder (und auch den Schwimm- und Unterwasserbildern zu anderen Gelegenheiten) schweift die Kamera leider etwas vom musikalischen Thema ab. Mit der Formation Les Diaboliques, die aus der 1977 gegründeten Feminist Improvising Group hervorging, ist sie heute noch unterwegs – und irgendwie wirken Irène Schweizer, Maggie Nicols und Joëlle Léandre so als wären sie eine Freundinnen-Band.

Aber ich möchte jetzt nicht alles nacherzählen, was in diesem Film in kompakten 75 Minuten auf kurzweilige Art und Weise dargelegt wird. Ergänzend befinden sich auf dieser DVD noch zwei Live-Mitschnitte. Einmal Irène Schweizer zusammen mit Hamid Drake und Fred Anderson auf der Bühne des Jazzfestival Willisau 2004 (22 Minuten) sowie ein Jahr zuvor mit Han Bennink live im Moods Zürich (34 Minuten). Diese DVD sei nicht nur Intaktlos-Freaks empfohlen. Schließlich ist sie auch genau das Richtige für Leute wie mich, die andernorts als „Spätgeborene“ beschimpft werden. Und bitte nicht warten bis der Film irgendwann mal auf den Frequenzen der unterstützenden Sender Schweizer Fernsehen DRS oder 3Sat ausgestrahlt wird …

PS: Als Soundtrack zu diesem Film und als Irène Schweizer-Kennenlern-Album sei hier noch mal die in Bad Alchemy Nr. 48 auf Seite 32 so rigoros besprochene CD „Portrait“ (Intakt 105) erwähnt.

(geschrieben am 06. Juni 2006 für Bad Alchemy 51)

Über: Manafon / Amplified Gesture

Januar 18, 2010

Manafon

David Sylvian: Manafon / Amplified Gesture
(CD + DVD, Samadhisound, 2009)

In den letzten Jahren hatte ich David  Sylvian etwas aus den Augen verloren. Als ich vor Erscheinen seines aktuellen Album hörte, dass er nun mit vielen bad alchemistisch einschlägig bekannten Improvisateuren zusammenarbeitet, spitze ich die Ohren – und wunderte mich etwas darob. Was man allerdings gar nicht tun muss, wenn man weiß, dass Sylvian vor ein paar Jahren für „Blemish“ mit Derek Bailey kollaborierte. Auch schon kurz nach seiner Zeit bei der New Wave Band Japan waren auf den Platten von David Sylvian immer wieder interessante Gäste zu hören, beispielsweise Holger Czukay oder Jon Hassell. Auf „Manafon“ sind nun Musiker vertreten, die man u.a. von Ensembles wie AMM und Polwechsel kennt oder aus sich ständig wechselnden musikalischen Partnerschaften. Obwohl ich Name-dropping nicht mag, sollten diese erwähnt werden. Mit von der Partie sind Tetuzi Akiyama, Werner Dafeldecker, Christian Fennesz, Franz Hautzinger, Sachiko M, Marcio Mattos, Michael Moser, Toshimaru Nakamura, Evan Parker, Keith Rowe, Joel Ryan, Burkhard Stangl, John Tilbury und Otomo Yoshihide.
Für seine aktuellen Platte wurden Sessions dieser Impro-Musiker aufgezeichnet und anschließend von David Sylvian – mit Hilfe von Fennesz – bearbeitet, neu zusammengesetzt und editiert. Da knistert, fiept, bruzzelt und schmurgelt es, dass es eine wahre Freude ist. Ruhig, reduktionistisch. Echte Zuhörmusik. Über allem schwebt David Sylvian, der sich mit seiner rezitierenden Stimme – und auch mit Gitarre und Elektronik – nicht in die Riege der Improvisateure einreiht und somit ein bisschen die Sicht auf deren leise Töne versperrt. Seine Stimme drückt „Manafon“ sein Markenzeichen auf und macht dieses Album so zu einem typischen David Sylvian-Werk.

rowe

Parallel zu „Manafon“ entstand auch ein Film, der wohl als Making-of geplant war, aber am Ende zu einer „Introduction to free improvisation: practitioners and their philosphy“ wurde. „Amplified Gesture“ nennt sich dieser Dokumentarfilm von Phil Hopkins in schöner schwarz/weiss-Ästhetik. In sieben Kapiteln erzählen Musiker, die auch auf „Manafon“ zu hören sind (Dafeldecker, Fennesz, Sachiko M, Moser, Nakamura, Parker, Rowe,Tilbury, Yoshihide), aber auch John Butcher und Eddie Prévost davon, wie sie zur Musik und zur freien Improvisation kamen, über ihr Verhältnis zu ihren Instrumenten, der Interaktion mit ihren Mitmusikern, dem Publikum und der Architektur sowie ihren immerwährenden Antrieb zu improvisieren. Die Interviews führte Nick Luscombe. Ein Kapitel ist den Pionieren AMM gewidmet, die Mitte der 1960er Jahre mit ihren Gruppenimprovisationen anfingen. Damals wurde die Gitarre flach auf den Tisch gelegt, präpariert und malträtiert. Jahrzehnte später reduzierten andere Musiker ihr Mischpult zum no-input-mixing-desk (Nakamura) oder ihren Sampler zum Sinuswellengenerator (Sachiko M) um neue Möglichkeiten zu erforschen. Und gerade die alte Garde wundert und freut sich, dass improvisierte Musik von so vielen jungen Musikern betrieben wird, dass man garnicht mehr hinterher kommt, die neuen Talente unter die Lupe zu nehmen.
Der ca. einstündige Film „Amplified Gesture“ wurde zusammen mit der Surround Sound Version des Albums (wer braucht denn sowas?) auf DVD veröffentlicht – allerdings nur als Bestandteil der bereits ausverkauften „Manafon“-Deluxe Edition, die aus zwei schön gestaltete, dünnen Büchern im Schuber besteht. Der „Amplified Gesture“-Band enthält neben einem kurzen Vorwort des The Wire-Autors Clive Bell auch kleine Portraits – in Wort und Bild –  der im Film zu Wort kommenden Musiker.
Also die Augen offen halten – vielleicht wird dieser Film ja mal irgendwann irgendwo öffentlich aufgeführt!

(geschrieben im November 2009 für Bad Alchemy 65)