Erinnerungsstücke in Form verschiedener Aufkleber an die 12., 13. und 14. Leipziger Jazztage 1987 –1989.
Mehr zu lesen gibt es hier:
Stefan Hetzel über die 12. Jazztage Leipzig 1987
mr.boredom über 5 Tage DDR
Erinnerungsstücke in Form verschiedener Aufkleber an die 12., 13. und 14. Leipziger Jazztage 1987 –1989.
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Max Müller – Alt Und Schwul
(Tape, C30, Mauerstadtmusik, MM012, 2013)
MM wie Mauerstadtmusik, MM wie Max Müller. Bei diesem Tape handelt es sich um eine Wiederveröffentlichung von Material, das im Jahr 1987 in einer Kreuzberger Wohnung mit einfachen Mitteln aufgenommen und als Kassette unter Freunde gebracht wurde. Thomas Pargmann, der Mauerstadtmusik-Macher (MMM), hat sich sogar die Mühe gemacht, mit den alten Bändern in ein Studio zu gehen und dieses Tape neu zu mastern. Dabei kam eine mehr als ordentliche Klangqualität heraus.
Ja, das ist wirklich eine Wiederveröffentlichung einer Musikkassette als Musikkassette, kein Vinylsammlerspekulationsobjekt (mit dem Motto „first time on vinyl“) und einen Downloadcode hierfür gibt es auch nicht. Die Musik wird in der Tonträgerform neu präsentiert, in der sie zuerst veröffentlicht wurde. Aber wer hat den heutzutage noch ein Cassettenabspielgerät zu Hause, höre ich so manchen fragen. Garnicht mal so wenige, vermute ich. Vintage Audio ist doch en vogue. Und nachdem für Vinylfetischisten ein Record Store Day ausgerufen wurde, fand in diesem Jahr erstmals ein Cassette Store Day statt, allerdings mit null teilnehmenden Läden in Germany. Davon abgesehen: wer kein Tapedeck in seinem Haushalt beherbergt, ist meines Erachtens sowieso zu bemitleiden. Aber kommen wir zurück auf dieses Tape mit der schönen Bestellnummer MM 012.
Zu hören sind hier 12 Miniaturen, vermutlich mit Hilfe eines Vierspurtapedecks entstanden sowie Instrumenten wie Rhythmusmaschine, Keyboards, Effektgeräte, Gitarre und natürlich Max Müllers Stimme, die man auch von der Band Mutter kennt. Die Aufnahmen klingen rauh und ungehobelt, Störgeräusche wie das Klacken der Aufnahmetaste sind Bestandteil der Stücke. Es schrammelt und scheppert. Wer die Single „Wir steh’n hier jeden Tag“ / „Sie ist aus Holland“ (1989 erschienen auf Die Tödliche Doris Schallplatten) kennt, kann sich ungefähr eine Vorstellung machen, wie das hier klingt. Zwei Titel haben es auch schon auf die Compilation-CD „Max Müller“ (1995 erschienen auf Die Eigene Gesellschaft) geschafft, u.a. „Zweiter Weihnachtsfeiertag“, eines der besten (Nicht-) Weihnachtslieder ever.
Einige Songs sind Portraits von Menschen mit Tendenz zum Scheitern, sogar in einem Instrumental geht es um ein Scheusal. „Ein seltsamer Tag“, ebenfalls instrumental, klingt als hätte Der Plan den Soundtrack für einen Endzeitfilm auf Demo-Tape skizziert, strange und skurril.
Auf dem ursprünglichen – und auf dem Cover dieser CompactCassette abgebildeten – Mastertape wurde handschriftlich die imaginäre Bestellnummer „Humor 001“ aufgebracht, was in der Tat von einem speziellen Humor zeugt, auch wenn dieses Tape das Gegenteil einer Witzkassette darstellt.
Für mich eine der interessantesten und besten Wiederveröffentlichungen des sich zu Ende neigenden Jahres 2013.
GZ
Wolfgang Müller: Subkultur Westberlin 1979 – 1989
Freizeit
(Fundus Philo Fine Arts, 580 Seiten, ISBN 978-3-86572-671-1)
Wolfgang Müller hat wiedermal ein Buch geschrieben. Diesmal nicht über Elfen und auch kein kunstgeschichtlicher Zukunftsroman, sondern eine kleinformatige aber umfangreiche Hardcover-Ausgabe über Freizeit im Westberlin der 1980er Jahre. Der Titel grenzt das Thema ziemlich exakt ein: „Subkultur Westberlin 1979 – 1989“, was den Hobby-Ornithologen nicht daran hindert, diese zeitliche Eingrenzung in alle Richtungen zu überschreiten. Der Ex-Wolfsburger Müller berichtet über damalige Lokalitäten, Menschen, Künstler, Musiker, Filmemacher und deren Aktionen. Dabei berichtet Wolfgang Müller auch gerne über einen gewissen Wolfgang Müller, wie er z.B. im Risiko zusammen mit vielen anderen Leuten performt. Er kennt all die für die New Wave und Post Punk Bewegung wichtigen Läden und weiss darüber in kurzen Abschnitten zu berichten, allerdings nicht ohne abzuschweifen. Man erfährt immer wieder kurz, was aus diesen oder jenen Personen Jahre später geworden ist. Auch Vorfahren des sogenannten Genialen Dilletantismus werden beleuchtet. Von Oswald Wiener im Exil zu Sarah Wiener ist es nur ein paar Jährchen weit.
Als Noch-Nicht-Ganz-Berliner, der erst seit ein paar Monaten ausgerechnet in Ostberlin lebt, kann ich natürlich nicht beurteilen, wie korrekt und allumfassend der Müller’sche Blick auf das damalige Westberlin ist. Jeder Mensch hat seine eigene Wahrnehmung und Wirkungskreis, so dass so ein Buch nie den Anspruch auf objektive, allumfassende Wahrheit haben kann. Klar, dass hier insbesondere die Dilletanten und auch schwulesbi_schtrans*e Aspekte durchaus im Vordergrund stehen. Das ist Teil des Müller’schen Kosmas. Und dann ist da natürlich noch Die Tödliche Doris, die Band oder besser Künstlergruppe, in welcher der Buchautor damals tätig war. Müller lässt es sich nicht nehmen, in diesem Rahmen ausführlich ÜBER DORIS zu erzählen. Es kommt sogar vor, dass das Wort an Doris direkt übergeben wird. Obwohl es im wunderbaren Martin Schmitz Verlag bereits mehrere empfehlenswerte Bücher über Musik, Kunst und Filme von Die Tödliche Doris gibt, erzählt Müller hier nochmal deren Historie in eigenen Worten und setzt sie in Kontext zur damaligen berlinischen Freizeitkultur. Das ist ein bisschen doriszentrisch, aber durchaus interessant.
Dass es keine eindeutige Wahrheit gibt, zeigt der Missverständnisforscher Müller exemplarisch an Martin Kippenbergers Dialog mit der Jugend. Als Kippi für ein paar Monate das SO36 unter sich hatte, wurde er von Ratten-Jenny mit einem zerbrochenen Glas malträtiert, nachdem er sie aus dem Lokal entfernen wollte. So legt sie es in einen für „Subkultur Westberlin“ geführten Interview dar. Davon abweichend gibt es mindestens zwei weitere Versionen der gleichen Gegebenheit, die diese sogar an andere Orte verlegt. Man weiss also nicht, was man glauben soll. Und war das SO36 nicht gerade für seine fliegenden Bierdosen bekannt? Apropos Dosenbier: dank Doris und Bierfront haben es solche Dosen bis auf die Documeta in Kassel gebracht. Auch so etwas lernt man bei der Lektüre dieses drucktechnischen Erzeugnisses.
Offensichtlich hat Wolfgang Müller mit vielen verschiedenen Leuten über die damalige Zeit gesprochen. Im umfangreichen Anhang tauchen viele Verweise auf Gespräche und elektronischen Schriftverkehr mit dem Autor auf.
Trotz viel Doris erfährt man viel über die damalige, spezielle insuläre Situation der Westberliner. Wer einen objektiven Zeitreiseführer erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich aber auch für Wolfgang, Doris, Geniale Dilletanten und so interessiert und offen für Abschweifungen sowie Querverbindungen ist, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt.
GZ,
27.02.2013
mr.boredom – Sehe ich alles zu schwarz?
(aus der ersten Ausgabe des Fanzines C.H.O.O.S.E – Independent Art, Erscheinungstermin unbekannt, vermutlich 1987).
C.H.O.O.S.E – Independent Art wurde von Burkhard Järisch (damals in Böblingen und schon seit längerem in Berlin lebend) herausgegeben, der auch die Fanzines Minimum Rocknroll und Flex! zu verantworten hatte. Während Flex! ganz dem US Hardcore Punk verschrieben ist, war C.H.O.O.S.E eine Sammlung von Gedichten, Kurzgeschichten, Collagen, Comic Strips und grafischen Experimenten verschiedenster Urheber. Meines Wissen sind nur zwei Ausgabe dieses ‚Zines erschienen.
Danke an Stefan Hetzel, der mich neulich während eines Videotelefonats an dieses fast vergessene Fanzine erinnert hat!
Wir erinnern uns: Noch 1985 wurde in Ochsenfurts Kulturszene rund um den Spi-Trust dem „Tötliche Doris-Kult“ mit größter Begeisterung gefrönt. Kaum eine Ausgabe von Student POGO INFO erschien, in der nicht irgendwelche Anspielungen, Zitate, News oder Erläufterungen zu/über/von Doris versteckt waren. Ralf und Robert (inzwischen als Weber & Schuster besser bekannt) fuhren nach Zagreb um Doris zu besuchen und drehten „Lichtschwindel“. Ein Film der viele Fragen offen läßt: Warum konnten die beiden die Kamera nicht ruhig halten? Hatten sie kein Stativ? Besteht Kunst wirklich darin unverständlich/metapysisch daher zu plaudern?
Antworten auf derlei Fragen gibt die Existenz/Das Vorbild der „Tötlichen Doris“. R. Schuster fühlte sich damals stets von Doris beeinflußt, fast schien es ihm, als sei eine geistige Symbiose zwischen ihm und der Berliner Dilletantenband entstanden, als hätte sich durch das Medium ihrer Schallplatten, Texte, Bilder etc… eine persönliche Übereinstimmung ergeben. Wenn Doris sang: „Heizkörper, Lüftungsgitter, Türklinke“ (Aus: „Der Tod ist ein Skandal“), dann glaubte R. Schuster in diesen drei Worten, die einzig wahre Metapher für das Leben auf diese Welt zu erkennen! Warum? Weil er und Doris sie für sich allein zu haben schienen. Die Freude am Intimen! Doris‘ Texte und Musik sind so ausgefuchst und hintergründig, daß man 99,9 % der Bevölkerung nur ein Schmunzeln des Unverstandes abringen kann, und wie schön ist es doch, zu dem privilegierten 0,1 % zu gehören. Doch genug der Vorrede!
Trotz aller damaligen Bemühungen traf R. Schuster nie auf sein verehrtes und ständig gepriesenes Vorbild, bis er den Entschluß faßte, alt genug zu sein, um selbst Vorbild zu werden. Dabei lief ihm Doris rein zufällig über den Weg.
Ich hielt mich bereits seit über drei Wochen in Berlin auf, wegen eines sehr profanen Anlasses: Ich mußte ein Praktikum für die Uni absitzen, aber das natürlich nur tagsüber, abends konnte ich versuchen, das zu finden, was Berlin zur Metropole macht. Bekannt ist über die Grenzen Berlins hinaus, daß der Abend frühestens um elf beginnt, und deshalb saß ich an fraglichem Tag total angelascht daheim und wäre am liebsten ins Casablanca Ochsenfurt gegangen, aber da ich mich in 1000 Berlin 30 befand, war mir dies verwehrt und es galt zu warten bis man sich als versierter Szenekenner auf die Straße trauen darf. Schließlich latschte ich los, Richtung Disco. Das ist zwar nichts besonderes, fast peinlich, aber man ist ja im fortpflanzungsfähigen Alter und die Berliner Frauen schneiden im Vergleich mit Ochsenfurt in Vielfalt und Anzahl sehr gut ab. Durch einige langweilige Irrungen und Wirrungen (wegen Ortsunkundigkeit), landete ich aber anstatt in der Disco im LOFT, wo die MEAT PUPPETS gerade kurz vor der Zugabe angelangt waren. Obwohl ich eine excellente Mini-LP der MEAT PUPPETS daheim hatte (harter Punk abseits der leidigen Hardcore-Klischees) erkannte ich sie nicht, dachte es handle sich um irgendwelche Berliner-High-Speed-Heavy-Metal-Freaks und blieb nur, weil es nichts kostete und genügend interessante Frauen im Publikum verteilt standen. Außerdem lehnte Nikolaus Utermöhlen, seines Zeichens Tödliche-Doris-Multiinstrumentalist am Bühnenrand, aber fiel mir nicht sofort auf und ich war mir natürlich auch nicht sicher, ob er es wirklich sei, schließlich kannte ich ihn nur von Fotos und sein Gesicht ist das fränkische Allerweltsgesicht schlechthin, Chameritz (Aufenthaltsort unbekannt), Edwins Onkel (Gaukönigshofen) und Holger (Michelfeld) sehen ihm sehr ähnlich. Wolfgang Müller meinte später sogar, ich würde ebenfalls so aussehen, aber das mußte ich von mir weisen. Ich hatte sowieso genug damit zu schaffen, daß mir Nikki in seinen Umgangsformen vertraut, eigentlich ähnlich war. Auf meine schlichte Frage, ob er zur tödlichen Doris gehöre, antwortete er mit ebenso schlichtem ja, und gestand, daß ihm mein Film und mein Name geläufig waren. Dann hatten wir uns nichts essentielles mehr zu sagen. Beiderseitige Versuche ein Gespräch in Gang zu bekommen, versiegten immer wieder nach ein- oder zweimaligem Frage-Antwort-Zyklus. Aber mir schien, als erübrige sich jede Frage, denn ich hatte mich ausführlich genug mit den künstlerischen Äußerungen der tödlichen Doris auseinandergesetzt, um glauben zu können, die Personen, die dahintersteckten zu einem gewissen Grad zu kennen. Die Teile im Mosaik, die noch fehlten, waren die Art sich zu kleiden, die Art zu reden, mit Leuten umzugehen, nicht aber, was konkret gesagt wurde, und es passte alles haarscharf in das Bild, das ich mir gemacht hatte, übertraf es sogar noch, als Nikki, kaum hatten wir uns auf den Weg in eine Kneipe gemacht, einfiel, daß er mit dem Fahrrad ins Loft gefahren sei, und ein pofeliges, rostiges Dreigangfahrrad herbeischleppte. Mir als Auto-Hasser bereitete das größte Genugtuung, zumal Berlin sowieso in Autos erstickt. Auto zu fahren ist eine einzige Qual, trotzdem sieht man erschreckend wenig Fahrradfahrer. Liegt vielleicht daran, daß die schönen Szeneklamotten darunter leiden könnten oder die elementarste Aufgabe von Kleidungsstücken, den Körper vor Kälte zu schützen, nicht ausreichend erfüllen. Bei uns auf dem Land höre ich ständig, man bräuchte ein Auto, weil die Dörfer so weit auseinander liegen, aber in der Großstadt scheint es andere Ausreden zu geben, die den Gebrauch des Autos rechtfertigen. Nikki führte mich in eine Kneipe nahe der Potsdamer Straße (Nutten ahoi!), in der alle von der tödlichen Doris zwecks Broterwerb [arbeiten. Es handelt sich] um einen ehemaligen Puff mit genialkitschigem Inventar wie Pornobilder in Barockrahmen, Kronleuchter mit Funkelglühbirnen und angenehmen Künstler-Publikum, z.B. Wolfgang Müller, Dilletanten-Mastermind und Doris-Sänger/Texter. Er erkannte mich fast von allein und begann sofort zu erzählen (mit der unverwechselbar üblen Stimme, die man von den Platten her gewohnt ist) und steckte dabei seinen Kopf meistens so nach vorne, daß ich dachte, er wolle die Pickel auf meiner Nase genauer anschauen. Tabea hätte eigentlich auch an dem Abend kommen wollen, meinte er, aber es sei ihr nicht gut. Schade, sie und Käthe hätten gerade noch gefehlt, aber man kann nicht alles haben. Im Lauf des Abends erfuhr ich auch so eine ganze Menge; Die Aufnahmen für die neue Platte sollten wenige Tage später beginnen, diesmal nur mit synthetischen Instrumenten „…. wird echt unpersönlich. Die haben da sogar diese sechseckigen Trommeln…“. Diese sechseckigen Dinger (genannt Simmons-Drums, danach verzehren sich alle provinziellen Pseudoprofis) könnte man, schlug Wolfgang vor, aus Pappdeckel nachbauen und auf der Bühne als Performance kaputt machen. Obwohl nur als spontane Idee formuliert, zeigt sich Doris‘ typische Anmache: Die Attacke auf den gutbürgerlichen, guten Geschmack. Die Hifi-HighTech-Kultur ist gerade recht um sie lächerlich zu machen. Zu Jahresende wird sich die tödliche Doris auflösen. Natürlich nur zum Schein, denn „wir sind immer noch die besten Freunde!“. Die Auflösung soll, soweit ich es verstand, nur dem Zweck dienen, das Konzept noch mehr zu erweitern, weg vom Bandimage, stärkeres Engagement auf anderen Gebieten. Dabei aktivierte Doris schon immer Grenzbereiche, musikfremde Darstellungsformen.
Projektnamen wie Fotodokumentararchiv, Naturkatastrophenballet, die tödliche Doris als Kontaktvermittlung lassen erahnen, wie vielfältig ihr Repertoire an Ausdrucksformen ist. Aber nicht nur vielfältig, vor allem schräg und unverdaulich war sie zu allen Zeiten. In einem Super-8-Dokumentarfilm über das SO 36 sah ich einem ihrer frühen Auftritte: Als Geräuscherzeuger stand ein pfeifender Teekessel auf einer Heizplatte und beides auf der Bühne. Nikki lockte dazu der Gitarre irgendwelche abscheuerregenden Töne und Wolfgang schrie hysterisch: „Kavaliere, Kavaliere, reiten die Welt in den Abgrund“. Eine leere Bierbüchse traf ihn dabei direkt an der Stirn. Ein Bild für die Götter. Inzwischen geht es auf Doris‘ Auftritten sicherlich nicht mehr so punkig/anarchistisch zu. Doris ist ein etabliertes Kunstphänomen für die intellektuelle Schickeria der ganzen Welt. Sie spielte im „Museum for Modern Art“ in Amerika, in Japan ist die letzte LP in den Charts und demnächst steht Moskau auf dem Tourprogramm. Aber angeblich ist das auch nicht immer aufregend. „Es gibt nichts neues mehr!“ zitierte ich von Doris‘ erster Maxi und man gab mir Recht. Wolfgang vertraute mir an, daß er bald 30 wird, aber außer, daß er mit den Schultern zuckte, wußte er nicht, was man davon halten soll. Grund genug sich um die alltäglichen Dinge zu kümmern. Jemand holte noch eine Runde Budweiser und er erzählte mir, wie Tabea Blumenschein im Zoo das Zwergflußpferd gestreichelt und den Schuhschnabel aus seiner arrogant/stoischen Ruhe aufgeschreckt hätte. Dann gab es noch einige Details zwischen Nikki und Wolfgang zu besprechen, die sich auf das Studio und die Aufnahmen bezogen. Sehr bedeutend war es nicht, wie sie sich unterhielten, aber ich wußte schießlich, daß es sich bei diesen beiden betont gewöhnlich gekleideten Menschen um die „mit Abstand intelligentesten Köpfe unter den genialen Dilletanten“ handelte, wie KONKRET bereits ’81 aufgrund der ersten 12-Inch treffend erkannte. „Der Schönheit Stimme aber redet leise und schleicht sich nur in aufgeweckte Gemüter“, hing als schlauer Spruch in dem Musiksaal meiner Schule an der Wand, Goethe oder einer von denen hat das irgendwann einmal formuliert. Aber mit dem aufgewecktsein war es bei mir nicht mehr allzuweit her, die Uhr zeigte bereits zwei. Zu erzählen hatte ich nichts, und Fragen fielen mir auch keine mehr ein, zumal ich sowieso keine Lust auf das Frage-Antwort-Spiel verspürte. Also ging ich heim, um sieben würde der Wecker klingeln, wegen der alleralltäglichsten Arbeit.
Ralf Schuster,
1987
Original Layout:
Framed Dimension D-Sign, 1988
Dieser Text stammt aus Heft No. 11 des 10.15 Megazine, vermutlich im Mai 1988 in Würzburg erschienen.
Anmerkungen von GZ:
Autor Ralf Schuster ist auch Musiker (Schlagzeug, Akkordeon u.v.m.) und Filmemacher (Super-8, Video, Kurzfilme und Cottbus-Krimis etc.), stammt aus Ochsenfurt und lebt seit etlichen Jahren in Cottbus.
Beim SPI-Trust handelte es sich um einen Zusammenschluß verschiedener Bands einiger Musiker aus Ochsenfurt wie Rassenhass oder Die Mesomere Grenzstruktur. Aus dieser Szene ging sowohl das mit dem Scharfrichterbeil prämierte Duo Schuster & Weber hervor als auch die Filmproduktion MultiPop. Als Zentralorgan fungierte das meist aus acht DIN A5-Seiten zusammenkopierte Student POGO INFO.
Das Casablanca in Ochsenfurt ist immernoch ein Programmkino mit angeschlossener Kneipe.
Bei der von Ralf Schuster beschriebenen Berliner Kneipe dürfte es sich um das Kumpelnest 3000 gehandelt haben.
Das Original gibt es hier als PDF:
Ralf_Schuster_Die_Tödliche_Doris_lebt
VEB FREE JAZZ
IMPORT/EXPORT
KOMBINAT LEIPZIG
12. JAZZTAGE IN LEIPZIG [1987]
Jazz in der DDR – gewiß keine problemlose Symbiose. Dennoch hat sich dort eine ernstzunehmende, wenn auch oft noch lokal beschränkte Szene etabliert. Kristallisationspunkt ist dabei die Metropole Leipzig, im vergangenen September Schauplatz der 12. Jazztage.
Im Arbeiter- und Bauern-Staat führt der Weg zu wirksamer Öffentlichkeitsarbeit über die Eingliederung in bereits bestehende gesellschaftliche Institutionen. Auch der 500 (!) Mitglieder starke „Jazzklub Leipzig“ ist eine Sektion des „Kulturbundes der DDR“. Was uns im Westen allerdings nur nach Beschneidung eines erforderlichen Freiraumes riecht, ist Garant dafür, alljährlich das neben Warschau und Prag wohl bedeutendste Jazz-Festival Osteuropas auf die Beine zu stellen. Beim Durchlesen des diesjährigen Aufgebots mochte man freilich leicht enttäuscht sein: Die ganz großen, international zugkräftigen Namen fehlten, lediglich der amerikanische Posuanist Woody Shaw mit seinem Quartett versprach auf den ersten Blick internationales Niveau. Abgesehen natürlich von DDR-Größen wie etwa Conny Bauer (Posaune) oder dem Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer – beide übrigens Vertreter jener unbequemen 68er Free-Jazz-Generation, deren entscheidender Einfluß auf die ostdeutsche Szene westliche Strömungen zweitrangig werden ließ. Frei Improvisiertes ohne modischen Schnickschnack galt und gilt den Leipziger Fans immer noch als ultima ratio ihrer Avantgarde. Deutlich wurde dabei vor allem eines: trotz vielfältiger Einflüsse aus dem Ausland haben sich diese Free-Jazzer der ersten Stunde ihre eigenartig expressiv-kompromißlose Handschrift bewahrt. Schlagendstes Beispiel: das Duokonzert Sommer/Bauer. Wer einmal erlebt hat, wie das ungeschlachte Schlagzeugtier „Baby“ Sommer brüllend und krachmachend über die Bühne tobt, während der eher zerbrechlich wirkende Conny Bauer, zuckende Arabesken blasend, nervös von einem Bein aufs andere tritt, erkennt plötzlich die wahren kreativen Potentiale dieser Musik, die leider nur allzu oft durch destruktive „Kaputtspieler“ in ihr Gegenteil verkehrt wurden.
Altwilde
Brennende Aktualität gewinnt der Leipziger Gig, vergleicht man ihn mit der Musik des internationalen Improvisationsprojekts „Last Exit“ des New Yorker Bassisten Bill Laswell. Röhrt da nicht auch so ein westdeutscher Free-Jazz-Opa namens Peter Brötzmann ins Horn? – Warten wir’s ab: vielleicht hat die improvisierte Musik nur im Osten überwintert, um als neue?! alte?! Avantgarde in amerikanischen Plattenstudios eines Tages fröhliche Urständ zu feiern . . .
Bis dahin ist es allerdings ein weiter Weg – und ob längst auf die Fünfzig zugehende Kulturdenkmale diesen noch zurücklegen können, bleibt zweifelhaft. Größere Hoffnung darf man da wohl beim experimentellen Nachwuchs hegen, der sich in Leipzig vor allem in Gestalt zweier Formationen westlicher Provenienz präsentierte.
Jung, Brom, Fett
Das Schweizer Trio „Brom“: Drei finster-kahlrasiert dreinblickende Jünglinge wuchteten so erfrischend verbeulte Eisentonnen über die Bühne, daß einige der hartgesottene Jazzer im Publikum, offenbar vom Phänomen Punk nicht angetan, den Saal verließen. Wagten es diese unbedarften Alpenländler doch, wave-orientierte Rhythmen in ihr Konzept einfließen zu lassen. Neben seiner Metall-Bearbeitung (die „Einstürzenden Neubauten“ lassen grüßen) überzeugte ein Thomas Meier vor allem am rotzigen Tenorsax, während Fredi Flückiger, äußerlich eine Mischung aus Stefan Remmler und John Lurie, für den sicherlich originellsten Schlagzeugsound dieses Festivals sorgte: schräges Voodoo-Getrommel und ein unstet pulsierender Swing voll unterkühlter Energie ließen die Stimmung in aufgeklärteren Teilen des Publikums steigen.
Junge Wilde, Teil 2: „Fat“ aus Kanada. Wieder ein Trio, wieder provokative Stilvermischungen. Diesmal waren vor allem Fingerhütchen, Miniradios, Gummibälle und Vibratoren am Werk – heraus kam so etwas wie gefälschter Free-Jazz, frei nach dem Motto: lerne, wie man Krach macht, und gründe eine Band. Die Grenzen zwischen Genialität und Dilettantismus waren bekanntlich schon immer fließend. „Fat“ verwischte sie gänzlich. Trotzdem: wie Gitarrist Erich Rosenzweig, dutzendemale die gleiche Nonsens- Phrase spielend, unverschämt grinsend in die gequälte Masse starrte – das hatte sowas . . . angenehm Sadomasochistisches. Schwamm drüber.
Die interessanteste Nachwuchsformation Ost stellten die Gastgeber selbst. „Leipzig Workshop“, eine illustre Ansammlung lokaler Größen unter Leitung des erfahrenen Saxophonisten Manfred Hering, brachte eine durchaus stimmige Melange aus traditionellem Free-Jazz der Sechziger und dumpf-depressiven Drumbeats der Achtziger; Ausweg aus der Sackgasse der „reinen“ Improvisation? Klubinterne Jamsessions nach den offiziellen Konzerten zeigten eindrucksvoll, wie verblüffend viele Talente in dieser erstaunlichen Szene um neue musikalische Ausdrucksformen ringen. Ein intensiverer gesamtdeutscher Musik- und Gedankenaustausch brächte sicher allen Beteiligten neue kreative Impulse. Dem stehen immer noch die Ein- und Ausreisebestimmungen der DDR hemmend entgegen. Eigentlich unverständlich bei dem Renommee, das sich der Jazz mittlerweile bei der SED-Obrigkeit erworben hat. Das „Neue Deutschland“ lobte bereits 1981: „Der Jazz ist aus unserem Musikleben nicht mehr wegzudenken. Die Jazzmusiker aus der DDR erfreuen sich hoher internationaler Wertschätzung.“
Einreisebedingungen zum Davonlaufen
Seltenes Lob von staatlicher Seite; es überwiegen die Probleme, die die Organisatoren alljährlich haben, um ein repräsentativ besetztes Festival auf die Beine zu stellen. Selbst private Briefkontakte in den Westen, die nur zu Konzertbesuchen aufrufen, können nach geltendem DDR- Strafrecht als „unerlaubte Kontaktaufnahme“ mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Und für Musiker aus dem Westen sind Auftritte in der DDR nicht besonders attraktiv: Die Gage gibt’s nur in Ostmark, Musikergepäck erfreut sich der besonderen Aufmerksamkeit des Zolls. Der australische Cellist und Performance-Künstler Jon Rose etwa geriet an den Rand der Verzweiflung, als die Grenzer sein selbstproduziertes Super-8-Filmmaterial vorübergehend beschlagnahmten und erst kurz vor dem Konzerttermin wieder freigaben. Hinzu kam, daß extra ein geeigneter Projektor mühsam aus irgendeinem Winkel des Landes herangekarrt werden mußte, weil die Einfuhr von derlei Geräten verboten und Super-8-Systeme in der DDR normalerweise nicht erhältlich sind.
Haupthindernis der Organisatoren war jedoch wieder einmal die staatliche „Künstleragentur der DDR“ mit Sitz in Ostberlin, ohne deren Einverständnis kein ausländischer Musiker im SED-Staat gastieren kann. Honecker-Besuch hin, deutsch-deutsches Kulturabkommen her: ein Großteil der bundesdeutschen Jazzer, die heuer auf der Wunschliste der Leipziger standen, durften nicht kommen. Der spektakulärste Fall betraf den bayerischen Gitarristen Harald Lillmayer, der Werke zeitgenössischer E-Musik zu Gehör bringen wollte. Bis wenige Tage vor dem Konzert wurde der Augsburger über seine Einreisegenehmigung im Unklaren gehalten. Aus Protest gegen eine solche Behandlung verzichtete Lillmeyer schließlich auf die Teilnahme am Festival. Wie drückte es doch Jazztage-Organisator Immo Fritzsche aus: „Anspruch und Realisierung der Programmgestaltung sind nicht automatisch als Gleichung zu betrachten, sondern stets von den objektiven Bedingungen abhängig.“ So gelesen im Geleitwort zum 1985 erschienenen Report „10 Jahre Leipziger Jazztage“.
Fairerweise sei aber auch gesagt: Nicht nur Musiker aus dem kapitalistischen Westen haben Schwierigkeiten bei der Einreise, auch Künstlern aus „sozialistischen Bruderländern“ werden oft unerklärliche Hinternisse in den Weg gelegt. So glaubten unerfahrene West-Besucher ihren Ohren nicht zu trauen, als im diesjährigen Programm mit der Vokalistin Anna Parghel und dem Posaunisten Liviu Marculescu die ersten Vertreter des zeitgenössischen rumänischen Jazz präsentiert wurden, die die DDR jemals (!) besuchen konnten.
Stars und Kooperations-Mißtöne
Und dennoch: „Es war alles schon viel schlimmer“, ist die einhellige Meinung langjähriger Beobachter der Szenerie. Das Programmheft der ersten Jazztage 1976 beispielsweise verzeichnete ausschließlich DDR-Musiker, auch im folgenden Jahr fand man höchstens vereinzelt Gaststars aus Ungarn, Polen etc. in Leipzig wieder. Erst 1978 gelang es dem bundesdeutschen Alexander von Schlippenbach, ein Gastspiel zu geben. Im folgenden Jahr war dann gar ein Amerikaner, der Drummer Doug Hammond, zu hören. Von da an ging’s steil aufwärts: Illustre Namen der internationalen Szene wie etwa Egberto Gismonti, Albert Mangelsdorff oder Alphonse Mouzon gaben sich ein Stelldichein und trugen zum wachsenden Ansehen der Jazztage bei. Doch trotz nach wie vor steigender Beliebtheit ihres Festivals fühlen sich viele Leipziger Jazzfreunde immer noch etwas isoliert und international, vor allem publizistisch, benachteiligt.
Nicht nur diesbezüglich wäre Unterstützung seitens westdeutscher Jazzclubs da zu wünschen. Warum beispielsweise nicht eine (inoffizielle) Partnerschaft zwischen dem „Jazzklub Leipzig“ und der „Jazzinitiative Würzburg“?!? Bisherige Versuche der Leipziger, Kontakt mit bundesdeutschen Jazzclubs aufzunehmen, scheiterten – man höre und staune – an der Arroganz der hiesigen Vereine.
Text und Fotos: Stefan Hetzel
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 12/1987 der Würzburger Stadtzeitschrift Herr Schmidt.
Zur Wiederveröffentlichung hat der Autor folgende Anmerkungen:
Ich lege Wert auf die Feststellung, dass folgende Teile dieses Textes ohne meine Mitwirkung und ohne mein Einverständnis entstanden:
1. Die Überschrift „VEB Free Jazz Import / Export Kombinat Leipzig“
2. Der Artikelanfang:
„Im Arbeiter- und Bauern-Staat führt der Weg zu wirksamer Öffentlichkeitsarbeit über die Eingliederung in bereits bestehende gesellschaftliche Institutionen. Auch der 500 (!) Mitglieder starke „Jazzklub Leipzig“ ist eine Sektion des „Kulturbundes der DDR“. Was uns im Westen allerdings nur nach Beschneidung eines erforderlichen Freiraums riecht, ist Garant dafür, alljährlich das neben Warschau und Prag wohl bedeutendste Jazz-Festival Osteuropas auf die Beine zu stellen.“
Ich erinnere mich nicht mehr exakt, was ich 1987 über den „Kulturbund der DDR“ geschrieben habe, ganz genau weiß ich jedoch, dass ich ihn nicht als „Garanten“ der Leipziger Jazztage bezeichnet habe! Die Originalpassage ging eher so (sinngemäß):
Alljährlich macht es der „Kulturbund der DDR“ dem Jazzklub Leipzig auf’s Neue so schwer wie möglich, ein Festival auf internationalem Niveau zu organisieren.
Mein sonstiger Text blieb jedoch weitgehend unverändert – dort ist ja noch genügend von den bürokratischen Schikanen der damaligen Obrigkeit die Rede, so dass der mehr als merkwürdige Anfang beim Leser wohl ein wenig in Vergessenheit geraten mag – hoffentlich!
Dennoch schwillt mir bis heute der Kamm, wenn ich an die ganze Angelegenheit denke – da steht dein Name plötzlich unter einem Text, der für die „Eingliederung“ renitenter Jazzer in „bestehende gesellschaftliche Institutionen“ eines „Arbeiter- und Bauern-Staates“ wirbt! Und wir dummen, verblendeten Westler können das mal wieder nur als „Beschneidung von Freiräumen“ verkennen!
Weiterhin: Die Überschrift suggeriert, wenn auch ironisch verbrämt, eine Art „friedlicher Koexistenz“ von offizieller DDR-Kulturpolitik und Free-Jazz-Szene. In Wirklichkeit war der unberechenbare kulturelle Freiheitsdrang der Free Jazzer den Genossen mitunter ein gewaltiger Dorn im Auge (siehe hierzu Bert Noglik im Wikipedia-Artikel „Jazzmusiker in Deutschland“)!
Welcher Teufel ritt die „Herr Schmidt“-Redaktion also im Jahre 1987, den Sinn meines Textes derartig ins glatte Gegenteil zu verkehren? Auf wen musste hier Rücksicht genommen werden?
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Stefan Hetzel,
Januar 2012
Das Original gibt es hier als PDF:
VEB_FreeJazz
Die Deutsche Demokratische Republik scheint ja leider kein besonders populäres Reiseland zu sein und ohne daß man dort ‚drüben‘ Verwandte hat, werden sich nur wenige Bundesbürger in Deutschlands Osten gezogen fühlen. Als wir (Stefan und Guido) allerdings von einem Bekannten, den wir bislang nur von Briefen her kannten, zu den 12. Leipziger Jazztagen [1987] eingeladen wurden, sagten wir natürlich zu. Schließlich war man neugierig auf das andere Teil Deutschlands.
Nachdem wir also am Grenzübergang Hirschberg die ganzen Formalitäten mit den Zollorganen der DDR ohne größere Probleme überstanden und unser Eintrittsgeld plus Verzehrbons (sprich: Visagebühr plus Zwangsumtausch) gezahlt hatten, fuhren wir in Richtung einer kleinen Stadt im Kreis Döbeln, wo wir schon von unserem Bekannten samt Family erwartet wurden, deren Wohnlage recht illuster ist:
Zu dem alten Backsteinhaus, das sich noch in Privatbesitz befindet, gelangt man, indem man am Knast links abbiegt, und wenn man aus den hinteren Fenstern der Wohnung guckt, die sich in einem oberen Stockwerk befindet, kann man in den Hof der Psychiatrie blicken, in dem die Insassen dieser Anstalt hinter den hohen Mauern nachmittags ihre Kreise ziehen; irgendwie fühlte ich mich bei diesem Anblick an den Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ erinnert.
Bei einer Tasse Kaffee kommt man schnell ins Gespräch über dies und jenes und stößt dabei selbstverständlich immer wieder auf den Vergleich von Hier und Drüben. Und dabei fällt auch immer wieder auf, daß unsere Bekannten besser über unsere Verhältnisse informiert sind als wir über deren; Westfernsehen macht’s möglich. Und eigentlich möchte ich jetzt nicht so auf die Unterschiede eingehen, bevor man mir vorwirft, ich wiederhole nur Klischees, die man eh andauernd hören kann. Aber trotzdem bestätigten sich diese Vorstellungen, die man vom Leben in der DDR nun mal hat, allerdings macht man dort halt das beste aus dieser Situation, während man als verwöhnter Außenstehender sich nur wundern mag und sich unwohl fühlt. Man hilft sich hier halt mehr untereinander aus, indem man z.B. Kinderkleidung austauscht und sich gegenseitig beim Wohnungsrenovieren hilft. Denn auch an Handwerker kommt man nicht so leicht heran, vor allem weil anscheinend diese alle die Hauptstadt der DDR Berlin zur 750-Jahre-Feier aufmöbeln mußten. Es lebe das Prestige. Scheint überall das Gleiche zu sein…….
Dresden
Am zweiten Tag unseres 5-Tages-Aufenthalts machten wir uns auf, um Dresden anzugucken. Wir fahren also auf der Autobahn ins ‚Tal der Ahnungslosen‘ ein, da so genannt wird, weil es dort (rund um Dresden) nicht möglich ist, West-Sender zu empfangen. Nur im luxuriösesten Hotel Bellevue soll dies dank Verkabelung möglich sein, erzählt man sich. In Dresden, der Stadt der Kunst und Kultur und heute auch der Industrie, gibt es viele alte Bauwerke, u.a. aus dem Barock, zu sehen. Eines der berühmtesten Bauten ist ‚Der Zwinger‘, der der Würzburger Residenz nicht unähnlich ist; nur macht es die Industrieluft dem Gebäude nicht gerade leicht. Nicht unweit davon findet sich im Innenstadtbereich, der viel gepflastert ist, die Semper-Oper, die noch vor garnicht langer Zeit renoviert und mit modernem Anbau versehen worden ist. Nach ein paar weiteren Schritten kommt man schon auf die brühlsche Terrasse, die sich in Höhe der Anlegestelle der Weißen Flotte die Elbe entlang zieht, von der man allerdings noch durch eine Brüstung und eine Straße getrennt ist. Hier hat sich vor genau 250 Jahren Graf Brühl einen Garten mit etlichen Bäumchen anlegen lassen und heute läuft dort jedermann umher, wo sich jetzt in den alten Gebäuden, in deren Dachrinnen Grünzeug rankt, Museen und Vorlesungssäle befinden. In der Altstadt kann man also viele Sehenswürdigkeiten anschauen, während man zu Fuß im Innenstadtbereich spazieren geht und in Richtung Stadtrand die Leuchtreklame des VEB Kombinat Robotron auf einem Hochhaus erblicken kann. Über die Georgi-Dimitroff-Brücke kommt man in den Neubaubezirk von Dresden, wo man Hotels, eine moderne Prachteinkaufstraße und Gaststätten findet. Es lebe der Beton.
Dessau
Die restlichen Tage wollten wir in Leipzig verbringen, wo uns eben die 12. Leipziger Jazztage hinzogen und wo am Donnerstag-Abend, unserem dritten Tag in der DDR, auch das erste Konzert stattfand. Und so machten wir uns vormittags auf den Weg, allerdings mit einem Abstecher über Dessau, wo wir uns das dortige Bauhaus, in dem u.a. Walter Gropius wirkte, sehen wollten, was eigentlich auch schon das einzig interessante an dieser Stadt für uns darstellte.
Auf Dessaus Straßen machten wir dann auch Bekanntschaft mit der Polizei der Deutschen Demokratischen Republik, als wir nichtsahnend in eine vierspurige Straße einfahren und vor der nächsten Kreuzung auf zwei Polizeibeamte stoßen, die uns fragen, ob wir nicht gesehen hätten, daß diese Straße gesperrt sei, schließlich sei da vorne ein entsprechendes Schild gewesen, das man mißachtet hätte. Darauf knöpfte man uns 20 Mark – natürlich DM, schließlich ist man ja scharf auf harte Devisen – ab und als Stefan fragte, wie man von hier aus zum Bauhaus kommt, erklärte uns der eine Beamte: „Ja, da fahrn’se geradeaus und dann…….“. Wo diese Straße gesperrt gewesen sein sollte, wissen wir uns die vielen Trabis vor und hinter uns bis heute nicht.
Für diese Schlappe entschädigte uns dann aber das Bauhaus, das etwas außerhalb der Innenstadt liegt und schon 1926 erbaut wurde, was man dem Gebäude mit den riesigen Glasflächen und den niedlichen Balkons auf der Rückseite kaum ansehen kann, was zeigt, wie weit die Bauhäusler ihrer Zeit voraus waren. Als wir feststellen mußten, daß ausgerechnet wenn wir hier sind, die Ausstellung über das Bauhaus geschlossen ist, machten wir uns auf ins Zimmer des zuständigen Menschen, mit dem auch Führungen außerhalb der Öffnungszeiten ausgemacht werden können, so versprach es zumindest das Plakat am Eingang. Im besagtem Raum fragten wir dann, ob irgendwie die Möglichkeit bestünde, heute die Ausstellung zu sehen, worauf die freundliche Frau, die dort anzutreffen war, leider antwortete, daß heute zwar eine Führung sei, aber daß hierzu niemand mehr dazu genommen werden könne und spurtete sogleich fort um den zuständigen Herren zu suchen. Nach einer kurzen Weile stand ein junger Ingenieur vor uns, wohl kaum über 30, der anbot uns kurz in der Ausstellung umsehen zu lassen, was wir natürlich begeistert annahmen. In der Ausstellung kann man Skizzen, Fotos, Modelle, erklärende Tafeln sowie Original-Werkstücke bewundern, zu denen unser Ingenieur auch bereitwillig und mit einem gewissen Enthusiasmus unsere Fragen beantwortete. Nachdem seine Mittagspause, die er für uns geopfert hatte, dem Ende entgegen ging, mußten wir dann wieder raus. So war es also kurz aber interessant – und es gibt doch ab und an nette Leute!
Danach suchten wir noch das heutige Gewerkschaftshaus, einen halbrunden Bau, dessen Modell wir auch in der Bauhaus-Ausstellung gesehen hatten und das von Gropius entworfen wurde. Allerdings war dieses Gebäude mit der Zeit schon so zugebaut und zugewachsen, daß man es als Ganzes gar nicht mehr so richtig wahrnehmen konnte und sich mit Details zufrieden geben mußte.
Leipzig
Am Nachmittag kommen wir dann in Leipzig an wo wir bei einem Kumpel unseres Bekannten übernachten konnten, der in der Trabantenstadt Leipzig-Grünau wohnt, wo in einer Neubausiedlung voller Hochhäuser ungefähr so viele Leute leben wie in einer kleinen Großstadt (also so ungefähr 100.000 Menschen). Dieser Stadtteil wurde eigentlich schon vor vier Jahren fertiggestellt, aber immer noch sieht es hier wie auf einer Baustelle aus, weil die Begrünung noch auf sich warten läßt.
Von hier aus kommt man mit der Tram oder der S-Bahn innerhalb einer halben Stunde in die Leipziger Innenstadt, was pro Fahrt nur ein paar Pfennige kostet. Als erstes schauen wir im noblen Interhotel Astoria vorbei, wo einige Organisatoren des Leipziger Jazz-Club in der Vorhalle sitzen, um hier ankommende Musiker zu empfangen. Das bunte Grüppchen von Jazzfreaks machte sich als Kontrapunkt zu dieser von Eleganz strotzenden Halle sehr gut. Als unsere Bekannten, die bei den Jazztagen auch ein bißchen mitorganisierten und deshalb hierhergekommen waren, ihre Sachen erledigt hatten, ging es in die Innenstadt um noch einen Happen essen zu gehen bevor man sich von 19 Uhr 30 bis Halbdrei nachts, acht Stunden lang dem Jazz in seinem ganzen Spektralbereich hingab. Bemerkenswert ist übrigens, daß jedem für kulturschaffendes Engagement ein paar Tage Sonderurlaub zustehen, so daß sich unsere Freunde während der Jazztage um ihre Arbeit nicht kümmern mußten. Praktische Sache, was!
Während wir nachts also Jazzmusikern aus der DDR und BRD, Rumänien, USA, UdSSR, Schweiz, Österreich, Niederlande, Australien, Großbritannien und Japan zuhörten, schauten wir uns nachmittags Leipzig an.
Eines der herausragendsten Bauwerke Leipzigs ist das 91 Meter hohe Völkerschlachtdenkmal, das am Stadtrand von 1889-1913 zum Gedenken der Völkerschlacht im Oktober 1813 erbaut wurde und heute angeblich als Mahnmal für den Frieden dient. Herausragend kann man dieses Denkmal vor allem deshalb bezeichnen, weil es absolut wuchtig ist und über 500 Stufen gelangt man auf die Plattform dieses teutonischen Bauwerks, von wo aus man eine gute Aussicht hat, die bei klarer Wetterlage wunderbar sein muß. Am Völkerschlachtdenkmal hält die Freie Deutsche Jugend auch regelmäßig größere zeremoniellen Meetings ab, wozu aus dem Bassin vor dem Denkmal extra das Wasser abgelassen wird, um einen schönen großen Platz hierfür trockenzulegen.
In der Deutschen Bücherei, die 1913 in Leipzig eröffnet wurde und sich auf das Sammeln von deutschsprachigem Schrifttum des In- und Auslands spezialisiert hat, konnten wir uns eine interessante Ausstellung zur Geschichte der Schrift und der Papierherstellung ansehen, während wir im Musikinstrumenten-Museum der Karl-Marx-Universität alte Instrumente wie Hammerflügel, Cembali, Orgeln oder ein dreigeteiltes transportables Cembalo sowie etliche Blas- und Saiteninstrumente, worunter sich einige obskure Einzelstücke befinden, bestaunen konnten.
Nach solchen interessanten Touren per Tram und Fußsohle durch Leipzig wird man hungrig und wenn man wie unsereins mittags gefrühstückt hat für den geht’s dann gegen Abend ans Mittagessen. Allerdings muß man erst einmal einen Platz in einer volkseigenen Gaststätte ergattern, was zu manchen Stoßzeiten einfach ans Unmögliche grenzt, weil dann plötzlich alle Essen gehen wollen und bis auf die Straße für einen freiwerdenden Platz anstehen. Ein paarmal hatten wir Glück und kamen genau vor dem großen Gedränge und bekamen in einem gut-bürgerlichen Gasthaus einen recht guten Platz an einem Tisch, an dem schon ein Ehepaar und zwei junge Frauen Platz genommen hatten. Als wir meinten, daß letztere aus dem Westen kommen könnten, weil sie eine Kaufhoftüte dabei hatten, wurden wir von unserem einheimischen Begleiter bitter enttäuscht. Daß man hier mit einer Plastiktüte aus dem Westen rumläuft sei eigentlich nichts ungewöhnliches – schließlich kann man Verwandte und Bekannte dort haben – und außerdem könne man es auch an ihrer Sprache hören, daß sie nach Leipzig gehören. So kann der Anschein trügen. Trotzdem scheinen die Leipziger Großstädter (Leipzig hat 559.000 Einwohner) irgendwie ‚westlicher‘ eingestellt zu sein als die Leute in kleineren Städten wie Dresden oder Dessau. Jedenfalls lief in besagtem Lokal andauernd Musik von Modern Talking und C.C.Catch und ähnlich dekadentem Pop vom Band, das wohl bei irgendeinem West-Sender mitgeschnitten wurde.
Am Sachsenplatz, den sich Jugendliche als abendlichen Treffpunkt ausgesucht haben, konnte man auch ein paar Punks entdecken, was natürlich nicht so überraschend ist, wenn man weiß, daß von Leipziger Punks schon längst illegale Mitschnitte von Live-Concert-Feten existieren, die ins westliche Ausland geschmuggelt wurden und auf Tape vertrieben werden. Ich denke da als Beispiel an die L’ATTENTAT-Aufnahmen, die vom SM-Vertrieb in der Schweiz herausgebracht wird.
Als wir dem Polnischen Informations- und Kulturzentrum einen Besuch abstatten, in dem man polnische Volkskunst, Zeitschriften und auch Schallplatten erwerben kann, mache ich auch eine überraschende Entdeckung in dieser Richtung. Hinter der Schallplattentheke fiel mir nämlich ein LP-Cover in einem komischen Grün in die Augen und bei genauerem Hinsehen entziffere ich als erstes den Bandnamen U.K.Subs. Ich ließ mir diese Platte, die sich als ein Punk-Sampler namens „Backstage Pass“ eines polnischen (Jazz-) Labels entpuppte, zeigen und kaufte sie dann, obwohl ich noch im Unklaren war, ob dies wirklich Originalversionen waren, was sich später allerdings bewahrheitete. Das tolle an dieser Platte war zudem noch, daß nicht einmal die gängigen Punk-Hits enthalten sind, sondern auch unbekanntere 77er-Songs zu hören sind. Surprise Surprise.
Was einem Wessi noch penetrant auffällt, ist die Art und Weise wie man hier z.B. Geschäfte benennt. Im Schallplattengeschäft bekommt man eine Papiertüte der volkseigenen Einzelhandelskette mit der Aufschrift „Konsument“. Diese Protzerei mit westlicher Dekadenz ist einfach erstaunlich, merkwürdig und allerdings auch schon wieder amüsant.
Am Sonntagnachmittag geht’s für uns schon ins letzte Konzert der 12. Jazztage. Es hatte geregnet und die Luft war danach erstaunlich klar und gut, was in dieser Industriegegend selten sein soll. Wir machen uns also auf in Richtung Süden und an der Grenze dauert es diesmal beträchtlich länger, weil sonntagabends einfach alle nach Hause wollen. Als wir schließlich nach Rückbank vorklappen, Motorhaube und Kofferraum öffnen wieder in der Bundesrepublik Deutschland sind, haben wir endlich freie Fahrt und man kann wieder mit einer Geschwindigkeit über 100 km/h gen Heimat düsen. Im Radio hören wir noch Nachtsendungen über Laurie Anderson und Psychic TV, von denen wir erst später herauskriegen, daß sie vom DDR-Jugendradio DT 64 ausgestrahlt wurden.
Natürlich waren diese fünf Tage viel zu kurz um die Gegend hier wirklich kennenzulernen. Ich denke, wir kommen wieder.
Hier noch kurz Büchertips und eine Adresse für Leute, die es vielleicht auch mal in die Deutsche Demokratische Republik zieht:
– „Reisen in die DDR“ heißt ein sehr brauchbares Merkblatt des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen (Vertrieb: Gesamtdeutsches Institut, Postfach 12 06 07, D-5300 Bonn 1), das vor allem bei der Reisevorbereitung sehr nützlich ist und das es kostenlos in Reisebüros geben müßte.
– „Reiseatlas mit 60 Autorouten durch die DDR“ ist ein handlicher DDR-Straßenatlas des VEB Tourist Verlag, dessen 232 Seiten 25 Karten und einen umfangreichen Teil an Ortsbeschreibungen enthalten. Kostenpunkt: 12,50 Mark in der DDR. Ich habs allerdings für 13,40 DM in einem Würzburger pseudo-linken Buchladen erstanden, aber trotzdem dürfte es nicht so leicht zu finden sein.
– Zu guter letzt hier noch die offizielle Adresse des Jazz Club Leipzig: Postfach 543, DDR-7010 Leipzig. Hier gibt es auch die Programme zum Festival, das heuer vom 22.-25. September [1988] stattfinden wird.
– über die letzten Jazztage steht übrigens ein Artikel von Stefan Hetzel in der 12/87-Nummer der Würzburger Stadtzeitung „Herr Schmidt“.
mr.boredom,
1987
Fotos: Stefan Hetzel,
September 1987
Original Layout und Fotomontage:
Framed Dimension D-Sign, 1988
Dieser nur sehr wenig überarbeitete Text stammt aus Heft No. 11 des 10.15 Megazine, vermutlich im Mai 1988 in Würzburg erschienen.
Das Original gibt es hier als PDF:
5_Tage_DDR
Der oben erwähnte Artikel von Stefan Hetzel über die 12. Jazztage Leizpig wurde hier wiederveröffentlicht:
VEB Free Jazz