
Wiederveröffentlichung aus 10.16 Megazine 12, 01/1989:
Norbert Schwefel in Interview
Schwefel alias Norbert Schwefel wird inzwischen als zukünftiges Teenie-Idol der Independent-Szene (scheußlicher Begriff!) hochstilisiert. Mit seinem neuen, rockigen Album hat er auch die Chance, einigermaßen viele Platten verkaufen zu können, was durch seine Tour im Winter 88/89 wohl auch kräftig unterstützt wurde. Vor seiner Tournee durch den deutschsprachigen Raum hatten wir Gelegenheit, bei Weißbrot und Sekt (Schwefel’s alkoholischem Lieblingsgetränk) der Marke Oppmann ein nettes Plauderstündchen mit dem zukünftigen Star aus Mannheim zu verbringen. Dabei fing bei Norbert alles so harmlos an:
„Irgendwann kam ein Freund zu mir und meinte, daß er Gitarre spielen lernen will. Darauf antwortete ich ‚O.K., ich will das auch lernen‘ und bin zu meiner Mutter und hab gesagt, daß ich eine Gitarre haben will. Dann sagte sie: ‚Oh gut, kannst eine Gitarre haben‘. Einen Tag später kommt der Typ wieder und meint – er hat nämlich keine gekriegt – ‚Ich mach des doch nicht, hab keine Lust mehr‘. Und dann hatte ich natürlich auch keine Lust mehr, mußte es aber lernen, weil ich eine Gitarre bekommen hatte. Naja, so hat’s eben angefangen.
Dann hab ich auch früh (mit 14/15) eigene Musik gemacht und die erste richtige Band, mit der wir Auftritte gemacht haben, hatten wir zur NDW-Zeit. …
Und da war auch das Problem: Bei einer Band sind z.B. vier Leute und diese vier Leute müssen irgendwie zusammenbleiben und einer ist auf den anderen angewiesen und meistens klappt das halt nicht so. Die Musik, die ich machen wollte, ging meistens nicht mit einer Band und dann hab ich mir halt gedacht, daß ich mit dem Scheiß aufhöre und alleine was mache. Und so hab ich irgendwann angefangen, fast ganz alleine Cassetten zu machen. Dann bin ich irgendwann zu dem Saxophonisten Martin Buchholz gestoßen und zu Mirko Krüger (vom Amigo-Label). Und dann haben wir zu zweit, Martin und ich, die erste Platte ‚Schizophrenic Party‘ gemacht.“
Die ‚Schizophrenic Party‘ geht in fünf Stücken ab, in denen Schwefel Elemente der 70er und 80er Jahre verbindet und eine eigene, gelungene Mischung aus Rock, Jagger, Bauhaus, Punk und Pop kreiert und den Hörer außerdem noch mit herrlichen Gitarrensounds und passenden Rhythmus- und Synthlinien erfreut. Und Martin Buchholz veredelt mit seiner Klarinette und seinem Saxophon diese fünf Songs zu wahren Pop-Perlen. Aber woher ist eigentlich der Text von ‚This Is For‘, der ist doch wortwörtlich von einem Bauhaus-Cover geklaut?!
„Ja, so isses.“
Und warum hast Du das nicht angegeben?
„Och, das war glaub ich irgendwie nicht nötig, denn Du kriegst ja Gemagebühren dafür, wenn du ihn als eigenen Text angibst…. Das ist halt so eine Sache. Bei ‚Schizophrenic Party‘ waren die Texte für mich noch nicht so wichtig. Ich hab das gelesen, fand es geil, da machst mal was draus. Der Text ‚Metropolis‘ war eigentlich auch nicht von mir, den habe ich zusammen mit einer Frau gemacht. Mit der Zeit kommst du halt ‚rein in die Sache und jetzt werden die Texte auch immer wichtiger für meine Musik, seit ‚Champagne Champagne And The Golden Rain‘ und ‚Hot In Hong Kong‘.“
‚Metropolis‘ war Schwefels zweite Mini-LP, die im Vergleich zum Vorgänger etwas düsterer ausgefallen ist, was gerade zu dem vom gleichnamigen Film inspirierten Titel-Track recht gut paßt, der sechs Minuten lang durch die Großstadt groovt, vorbei an futuristischen Sehenswürdigkeiten. Auf der B-Seite findet sich neben einer Coverversion des T.Rex-Songs ‚Visions Of Domino‘, die außer dem Gitarrenriff recht wenig an Marc Bolan erinnert, auch noch ein getrageneres Liebeslied mit schönen Akkordeonklängen.
‚Champagne Champagne And The Golden Rain‘ ist schließlich Schwefels popigstes Werk, auf dem auch wieder stärker Saxophon eingesetzt wird, nachdem auf ‚Metropolis‘ etwas sparsamer umgegangen wurde. Jedesmal ist anders und seine im Oktober 1988 erschienene erste Langspielplatte ist wesentlich rockiger als seine drei vorherigen Minis/Maxis zusammen, was einfach daran liegt, daß sie mit der Band eingespielt wurde, mit der Norbert Schwefel dann auch auf Tournee ging.
„Wir spielen jetzt schon seit zirka einem Jahr zusammen. Ich mach die Songs, Text, Harmonien und alles, spiele der Band das vor und dann versuchen wir, es zusammen zu arrangieren. Das ist unheimlich schwierig. Die drei ersten Platten hab ich halt fast alleine gemacht und wenn du dann eine Band suchst, die jedes Teil, das du gespielt hast, nachspielt, geht das meistens in die Hose. Und jetzt haben wir probiert, daß wir einfach erst die Band hatten und live zusammen arrangiert und versucht haben, es so wie wir es spielen auch auf Platte zu kriegen. Und so können wir auf der Tour dementsprechend spielen, wie die ‚Hot In Hong Kong‘ klingt.“
Und willst Du in Zukunft weiter in diese Rock-Richtung gehen?
„Ich kann mir nicht vorstellen, wenn die ‚Hot In Hong Kong‘ ein Mordserfolg wäre, jetzt drei ‚Hot In Hong Kong‘-LP zu machen. Ich bin eigentlich ein Typ, der gern viele verschiedene Instrumente einsetzt, immer wieder mal was anderes. Ich kann mir schon vorstellen, daß die nächste Platte vom Arrangement her wieder ganz anders aussieht, vielleicht mit afrikanischen Trommeln oder so ähnlich. Aber darüber habe ich mir noch keine allzu großen Gedanken gemacht.“
Das Saxophon-Riff auf ‚Secret Eyes, Silver Moon‘ erinnert an die Titelmelodie von Raumschiff Orion………
„Das isses auch. Das war so eine Idee, diese Titelmelodie in ein Uptempo-Stück einzuflechten. Man darf das alles nicht so ernst nehmen. Es gibt Bands, die sehen das unheimlich verbissen; aber bei mir muß es immer irgendwie auch ein bißchen locker und lustig sein – wenn man so ernsthaft und verbissen ist, wirkt das oftmals aufgesetzt.“
Willst Du von Deiner Musik leben, wenn Du schon so viel Zeit investierst?
„Klar, auf jeden Fall. Ich leb ja eigentlich jetzt schon davon – aber nur schlecht, weil ich nichts anderes außer Musik mache. Ich mache keine Jobs mehr, ich hab absolut die Schnauze voll davon. Ich hab sechs Jahre als Gärtner gearbeitet; das hat mich irgendwie frustriert und hab dann einfach damit aufgehört. Ich hab’s immer gesehen: andere haben auch nicht gearbeitet und irgendwie leben die immer noch. Du brauchst einfach mal Mut dazu.“
Kümmerst Du dich eigentlich um Politik?
„Ich bin ein absolut unpolitischer Mensch; ich interessiere mich nicht dafür, wir stellen’s immer ab. Ich mach’s auch nicht in meinen Texten, ich kann’s einfach nicht ab. Ich lebe irgendwo in einer (Phantasie-) Welt, die absolut unpolitisch ist. Das törnt mich immer ab, wenn ich das sehe.“
Singst Du deswegen auch Englisch?
„Nein, das hat damit nichts zu tun. Als ich so 10 Jahre alt war, da war ich ein absoluter Karussell- Fan und habe mir aus irgendwelchem Kram, Sesseln ein Karussell gebaut. Und dazu mußte ich auch immer den entsprechenden Sound kriegen und hab dann Langwelle im Radio eingestellt und da kam immer so englische Musik und das hat mich so angemacht. Dann hab ich auch angefangen zu singen; es war zwar kein Englisch, aber es hat so geklungen. Und so bin ich einfach damit aufgewachsen. Ich könnte mir zwar vorstellen, deutsche Texte zu schreiben, aber ich kann mir nicht vorstellen, sie zu singen.“
Welche Musik hörst Du eigentlich?
„T.Rex, Alan Vega, Suicide, Bryan Ferry, Prince. In der Independent Szene gefällt mir nur noch ganz wenig und ich interessiere mich auch gar nicht mehr so stark dafür. Wenn dann mal eine neue Prince- oder Bryan Ferry-Platte rauskommt, fahr ich darauf ziemlich ab.“
Und was hältst Du von Deinem Label-Kollegen Turkish Delight?
„Ich find es total hart, es kommt genau zur richtigen Zeit: Ofra Haza und so. Und er macht das halt jetzt im Independentbereich. Ich find es auf jeden Fall nicht schlecht, aber es fällt mit schwer, es wirklich zu hören. Bei der ersten Platte find ich das erste Stück spitze, das geht total geil los und dann flacht es teilweise in Lärm ab. Bei der neuen Maxi ist das ähnlich. Es ist halt ‚was vollkommen anderes. Er mag z.B. auch meine Musik überhaupt nicht und findet das total ätzend.“
Ja. Und sonst, gibt’s noch ‚was…?
„Ach ja! Ach ja! Die neue Schwefel-LP kommt auch als Compactdisc heraus mit wahrscheinlich zwei Bonustracks aus der ‚Champagne Champagne And The Golden Rain‘ – Zeit. Das eine Stück besteht nur aus Klavier, Tapes, Gesang, Bratsche und Cello. Und als zweites kommt noch der vierte Part von ‚Vertigo‘.“
Wieviel CDs laßt Ihr denn machen?
„Nur eintausend. Von der LP dreitausend Erstauflage, glaub ich. Das ist das, was wir an Maxis verkauft haben. Mir schwebt als Ziel irgendwas von sechstausend vor.“
Sechstausend Exemplare sind ja eigentlich gar nicht so viel…
„Ja, mit sechstausend geht’s dann schon langsam los, das sind von EfA schon die größeren Sachen. Dieser Philip Boa hat ja auch nur zehn/zwölftausend Platten verkauft. (…) Die EfA meint ja auch ‚Nachfolger von Philip Boa‘ und so. Bei der EfA ist das auch so eine Sache; die kriegen da Platten, verkaufen 1000 Stück und das interessiert sie überhaupt nicht, die machen überhaupt nichts dafür. Wenn sie dann mal merken ‚O.K.!‘, dann machen sie was. Jetzt haben sie gemeint, mit der ‚Hot In Hong Kong‘, da machen wir was – bei den anderen drei Platten hat Mirko wirklich die Promotion ganz alleine gemacht. Ab dreitausend wird’s für die erst interessesant.“
Bleibt uns nur zu hoffen, daß Schwefels Musik so oder so interessant bleibt.
This interview was edited and rearranged by mr.boredom
Das Original-Layout kann man sich hier als PDF ansehen.
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Schwefel-Discographie:
Cassetten:
– „The Dancing Partner“ (C-60, reissued as Amigo-Cassette 4)
– „Detailed“ (C-40 mit Demos und zuvor unveröffentlichtem Material, Amigo-Cassette 2)
Desweiteren verschiedene Cassetten-Sampler-Beiträge, u.a. auf:
– „Nichts ist sicher – Nuvox hat gesammelt“ (IndepenDance)
– „C-87 Space-Pop-Compilation“ (Amigo-Cassette 1)
Scheiben:
– „Schizophrenic Party“ (5-Track-12″, Amigo 501)
– „Metropolis“ (3-Track-12″, Amigo 502)
– „Champagne Champagne And The Golden Rain“ / „Decisions“
(2-Track-7″, Amigo 704)
– „Champagne Champagne And The Golden Rain“ (5-Track-12″, Amigo 504)
– „Hot In Hong Kong“ (9-Track-LP bzw. 11-Track-CD, Amigo 555)