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Eliane Radigue im Klub Katarakt

Februar 8, 2012

Eliane Radigue in Hamburg, 20. Januar 2012 (Foto: GZ)

Eliane Radigue – Naldjorlak I-III (2005-08)
(Klub Katarakt 33, Kampnagel K6, 20.01.2012)

Mit Eliane Radigue war beim Klub Katarakt, einem viertägigen Festival für aktuelle zeitgenössische Musik, diesmal eine eher unbekannte Pionierin der modernen experimentellen (elektronischen) Musik zu Gast. Ähnlich wie vor genau einem Jahr dem Komponisten Rhys Chatham ein langer Abend gewidmet war, wurde diesmal das dreiteilige Stück „Naldjorlak“ in Anwesenheit von Eliane Radigue (* 24.01.1932) in voller Länge aufgeführt.

Auch diesmal gab es ein Podiumsgespräch mit der Komponistin und zwei der aufführenden MusikerInnen Charles Curtis und Carol Robinson unter Moderation von Robert Engelbrecht. Dabei betonte Eliane Radigue, daß man über die Musik eigentlich nicht zu viel reden, sondern sie sinnlich erfahren sollte – „The music speaks for itself“. Somit ist auch dieser Text hier nur eine hilflose Notiz.

In den 1960er Jahren war Eliane Radigue Assistentin erst von Pierre Schaeffer und dann auch von Pierre Henry. Später experimentierte sie mit Synthesizern und mittels Tonbändern oder Mikrophonen generiertem Feedback. Filigrane Klanggebilde, die Fingerspitzengefühl beim Hantieren mit den Gerätschaften erfordern – eine falsche Bewegung am Potentiometer kann alles zum Kollaps bringen. Seit über zehn Jahren arbeitet sie lieber mit akustischen Instrumenten und ambitionierten Musikern zusammen. Nicht-elektronische Musikinstrumente bieten ein umfangreicheres Klangspektrum, das ihrer Vorstellung, die sie im Kopf bzw. Bauch davon hat, am nächsten kommt. Und offensichtlich ist Eliane Radigue glücklich, mit MusikerInnen wie Charles Curtis (Violoncello), Carol Robinson und Bruno Martinez (jeweils Bassetthorn) arbeiten zu können, für die sie dieses Stück schrieb bzw. das sie mit ihnen zusammen erarbeitete. Am Anfang gab es wohl nur den Titel und eine Bleistiftzeichnung. Und offensichtlich gibt es keine traditionelle Partitur zu diesem Stück, höchstens eine Art Handlungsanweisung bzw. ein Konzept, wie sich der Interpret von einem Ereignis zum nächsten bewegen soll. Denn der Klang, der sich bei der Aufführung aus dem Gespielten ergibt, kann man nicht ausformulieren und ist wie eine „chemische Reaktion“ von Musiker, Instrument und Raum. Dabei gibt es für die Musiker keine Freiheit und schon gar nicht zur Improvisation.

Vor Beginn der ca. dreistündigen Aufführung (inkl. einer Pause) wurde man gebeten, sein Mobiltelefon auszuschalten, nicht zu fotografieren, das Trinken während der Aufführung zu unterlassen sowie den Saal nicht zu verlassen, und wenn doch, dann bitte nicht durch die Tür durch die man eingelassen wurde. Offensichtlich vertraute man dem Publikum nicht, dem Werk und den Musikern den gebührenden Respekt zu zollen. Oder hatte man die Befürchtung, daß ein Kohlendioxid-Molekül, womöglich einem alkoholischen Getränk entweichend, das filigrane Klangebilde hätte zerstören können? Für die Pause wurde ein Kasten Wasser für das Publikum bereitgestellt – selbstverständlich stilles Wasser.

Das Publikum, für das Stühle, aber auch ein paar Meditationsmatten (?) bereitgestellt wurden, lauschte also mucksmäuschenstill den leisen Tönen, die im ersten Teil dieser Trilogie von einem einzigen Cello stammen. Mit dem Bogen wurden Haltetöne gestrichen und so Schwingungen erzeugt, die durch die sich ergebenden Unter- und Obertöne und Resonanzen etc. schimmerten und sich ständig veränderten. Plötzlich waren Sachen zu hören, die gar nicht gespielt wurden, sich einfach wie ein Trugbild ergaben. Zuerst wurden die Saiten des Cello bespielt, dann der Saitenhalter, der Korpus und schließlich der Stachel. Faszinierend, welche Klänge da so entstehen. Besonders erstaunt war ich von den unerwarteten Resonanzen als der Saitenhalter bearbeitet wurde. Das gleiche Konzept wurde auch im zweiten Teil für zwei Bassetthörner (gespielt von Carol Robinson und Bruno Martinez) umgesetzt, im dritten Teil spielten die Hörner dann mit den Cello zusammen. Leise, filigrane, medita-tiefe Musik, so leise, daß man hinein lauschte, während die Außenwelt in den Konzertsaal herein klapperte.

Immer wieder ein Erlebnis, so ein Klub Katarakt Konzert.

PS: Ein paar Tage nach diesem Konzert feierte Eliane Radigue ihren 80. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!

GZ,
08.02.2012

Für Leute, die es genauer haben möchten, gibt es hier ein kurzes Portrait der Komponistin zu sehen:
A Portrait of Eliane Radigue (2009)

Das oben erwähnte Podiumsgespräch wurde bereits während des Konzertes in der Sendung für Zeitgenössische Musik namens Klingding auf Radio FSK gesendet und kann hier angehört werden:
www.archive.org/klingding
(ab der ca. 35. Minute geht es um Eliane Radigue, das gut halbstündige Podiumsgespräch in englischer Sprache beginnt ab ca. Minute 41).
Seit 14.02.2012 gibt es dieses Gespräch auch als Video – und zwar auf dem Vimeo-Kanal vom Verband für aktuelle Musik Hamburg

Ein Interview mit Eliane Radigue, von Jorinde Reznikoff geführt in französischer Sprache, wurde am 26.01.2012 in der Neopostdadasurrealpunkshow (ebenfalls auf Radio FSK in Hamburg) gesendet. Dieses steht hier online  zur Verfügung:
www.archive.org/ItvElianeRadigue
Nachtrag vom 29.02.2012:
Und nun steht auch ein editierter Mitschnitt oben erwähnter Neopostdadasurrealpunkshow inklusive der deutschsprachigen Übersetzungen online zur Verfügung:
Eliane Radigue Interview (20.01.2012)

Rhys Chatham im Klub Katarakt

Januar 24, 2011

Rhys Chatham Portrait-Konzert
(Klub Katarakt 32, Kampnagel Music Hall, 20.01.2011)

Schon super, wenn man auf ein Konzert eines Komponisten geht, den man  noch garnicht kennt, aber sich trotzdem sofort in dessen Sound heimisch fühlt. So geschehen am vergangenen Donnerstag beim Konzert mit Rhys Chatham, dessen Name mir vorher nicht präsent war. Dabei wurden Werke von ihm auch auf dem amerikanischen Label Table Of The Elements veröffentlicht und der allseits bekannte Glenn Branca war Mitglied der Band, die 1977 „Guitar Trio“ konzertant aufführte.

Dieses Portrait-Konzert war dreigeteilt: zuerst verschiedene Kompositionen für elektrische Gitarren, E-Bass und Schlagzeug, dann ein Gespräch mit dem Komponisten und abschließend ein Frühwerk für zwei riesige chinesische Gongs.

Im Gespräch kamen auch biographische Eckpunkte zur Sprache. Chatham (geboren 1952)  studierte u.a. bei Morton Subotnick und La Monte Young und stimmte zum Broterwerb Cembalos. Im Alter von 24 Jahren ging er das erste mal in seinem Leben auf ein Rock-Konzert – ausgerechnet zu den Ramones im CBGB‘s. Das beeinflusste ihn derart, dass er fortan Werke für elektrische Gitarren schrieb.

An besagtem Donnerstag wurde auch die Komposition „Guitar Trio“ aus dem Jahr 1977 gespielt, allerdings in einer 30 Jahre später überarbeiteten Version namens „G3“ mit insgesamt 10 Gitarristen. Zu einer fast schon krautrockigen Rhythmusgruppe spielen die Gitarristen obertonreiche Sounds, die den Effekt haben, dass man mehr hört als eigentlich gespielt wird. Stellenweise konnte man fast schon Gesangsstimmen erahnen. Allen Sonic Youth-Fans dürfte dieser Sound mehr als bekannt vorkommen (kein Wunder – man kennt sich in Downtown New York). Offensichtlich hat Rhys Chatham nicht nur den damaligen New Yorker No Wave beeinflußt.

Zuvor wurde „Die Donnergötter“ (1985/86) aufgeführt, eine – im Gegensatz zu den anderen Stücken – komplett ausnotierte Komposition, die noch strukturierter anmutete und mit nur 6 Gitarren auskam. Der Titel ist, so wurde erzählt, einem Konzert-Review (im Stern!?) eines Auftritts von Chatham auf dem Moers Festival entlehnt.

Als Zugabe wurde „The Out Of Tune Guitar, No. 4“ (2008) dargeboten, ein relativ statisches Stück in pythagoräischer Stimmung. Aufführende waren jeweils das Boyds Elektro Gitarren Orchester mit Rhys Chatham himself als Dirigent und auch mitspielendem Gitarristen.

Nach dem Komponistengespräch und entsprechender Pause wurde im Saal nebenan noch „Two Gongs“ (1971) aufgeführt. Zwei PerkussionistInnen halten sehr lange (ich habe nicht auf die Uhr geguckt, aber eine Stunde könnte es gewesen sein) jeweils einen großen Gong permanent in Schwingung. Dabei entstehen Sounds, die man von einem Perkussionsinstrument nicht unbedingt erwarten würde: flächige, sich ständig verändernde Klänge, die stellenweise sehr laut und noisy daherkommen. Auch hier wieder ein Experiment mit Obertönen. Und irgendwie auch Vorbild für seine späteren E-Gitarren-Stücke.

Faszinierend.

Auch auf youtube wurde dieser Konzertabend dokumentiert:

Rhys Chatham & Boyds Elektro Gitarren Orchester
(live Hamburg 20.01.2011)
G3 (die letzten 5 Minuten)
G3 (Finale)
Die Donnergötter Teil 1
Die Donnergötter Teil 2