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Geschichten

Mai 30, 2017

A Million Mercies – Elektrische Geschichten von Glaube, Liebe und Verachtung
(LP/CD + Heft, Hausmusik, HM 082, 2017)

Seit den 1990er Jahren veröffentlicht Wolfgang Petters (ex Fred Is Dead) seine Musik unter dem Namen A MILLION MERCIES. Bereits im Februar 2017 erschienen diese „Elektrische Geschichten von Glaube, Liebe und Verachtung“ auf seinem Hausmusik-Label in verschiedenen Formaten. Die LP wird in einem per Hand beschrifteten und beklebten Cover unter die Leute gebracht. Ergänzt wird das alles durch ein 16-seitiges Heft in dem nicht nur die Texte abgedruckt sind sondern auch Zeichnungen bzw. Gemälde von Florian Thomas.

Der etwas lang gewordene Album-Titel deutet bereits das Konzept dieser Platte an. Hier werden Geschichten von damals erzählt bzw. verarbeitet. Es geht um alte Familiengeheimnisse, Krieg, Flucht und das Leben in der neuen Heimat. Was damals anno 1997 bei Fred Is Dead in einem Song angedeutet wurde („… wir sind als Flüchtlingskinder geboren in der amerikanischen Zone,  unsere Großeltern haben ihre Möbel verloren, wir haben keine Traditionen …“) füllt nun ein ganzes Album.

Musikalisch bewegt sich A Million Mercies hier zwischen Krautrock und Americana, kammermusikalischer Folklore und Countrymusik. Mal wird gefiddelt, mal der Rhythmus monoton nach vorne getrieben, schräge Bläser kommen ebenfalls vor – genauso wie von Johnny Cash inspirierte Gitarren (der, wie wir spätestens dank Fred Is Dead wissen, seine erste Gitarre in Landsberg am Lech gekauft haben soll). Gesungen wird ausschließlich in deutscher Sprache, manchmal klingt Petters‘ Stimme etwas brüchig, was nur unterstreicht wie wichtig und persönlich diese Platte für ihn sein muss. Unter den musikalischen Helfern sind hier übrigens auch Martin Lickleder und Claudia Kaiser zu hören, die vor über zehn Jahre mal in der ebenfalls Münchner Band Moulinettes spielten.

Als digitalen Bonus gibt es am Ende noch einen loungig-clubbigen Keckson-Remix des Eröffners „Abend“. Aber mein persönliches Lieblingslied dieser Platte heißt „Senior“, ein krautig nach vorne treibender Siebenminüter mit herrlich schrägen Bläserpassagen.

GZ,
30.05.2017

Always the movies

März 25, 2013

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Broken Radio – It’s Only Fool’s Gold
(CD / DL, Hausmusik, hm78, 2013)

Es gibt viele kaputte Empfangsgeräte. Dieses Broken Radio gehört zu Klaus Patzak, der schon auf etlichen Samplern des Labels Hausmusik vertreten ist und auch Berührungspunkte mit dem Frühwerk von Fred Is Dead und den Borrowed Tunes hat.

Broken Radio kommt zwar aus Oberbayern, aber macht ortsunabhängig eher amerikanische Musik, vielleicht alternative Americana, vielleicht Slow Music, irgendsowas, Genres sind eh nur Schall und Rauch. Und warum sollte solche Musik nicht dort produziert werden, wo Johnny Cash seine erste Gitarre gekauft hat (wie wir aus dem Song „(Wir sind in der amerikanischen Zone geboren) Heimat“ von Fred Is Dead wissen) und das erste Album von Spoke alias Calexico veröffentlicht wurde. Gleiche Firma hat nun „It’s Only Fool’s Gold“ herausgebracht.

Hinter Broken Radio steht Klaus Patzak, der – bis auf eine Ausnahme – alle Songs dieses Albums geschrieben und aufgenommen hat. Trotz Homerecording klingt das alles keineswegs nach Demo-Tape. Vielmehr sind detailverliebte, sauber aufgenommene Arrangements zu hören. Da lohnt es sich, diese CD auch mal in Ruhe mit einem guten Kopfhörer anzuhören. Geige, Klavier oder Bläser (beispielsweise) setzen Glanzpunkte während Schlagzeug, Bass und Orgel die Basis für diese Songs bilden und Gitarre oder Pedal Steel für Country-Stimmung sorgen. Unglaublich, dass dies das Werk einer einzelnen Person sein soll, die auch vor dem Einsatz dezenter Elektronik nicht zurück schreckt.  Die ruhige, tiefe Stimme erzählt von Leben(skampf) in dieser „big old crazy world“, von Heimat, (vergangener) Liebe und der Suche nach Glück und so.

Auch wenn diese Songs beim ersten Hören eher etwas lasch daher kommen (das meine ich überhaupt nicht negativ), können sich einzelne zu beharrlichen Ohrwürmern entwickeln – bei mir derzeit z.B. „Western Movies“ oder „El Dorado“. Und irgendwie macht es auch nichts, dass der kürzeste dieser 12 Song schon über vier Minuten lang ist. Denn der Klang ist so angenehm ausgefeilt, dass man gerne darin schwelgt.

Großes Kino!

Reinhören: It’s Only Fool’s Gold

Video: Lay Your Guns Down

GZ,
24.03.2013

Musik um zu leben

Februar 20, 2012

A Million Mercies – Wir sind elektrisch
(CD / LP-Box mit CD / Download, Hausmusik, HM 77, 2011)

Als mir DJ St.Micha 69 im letzten Dezember erzählte, daß es wieder einen Hausmusik-Online-Shop gibt, bei dem man auch noch die im Herbst 2011 erschienene, neue Platte von A Million Mercies bestellen kann, war ich hocherfreut. „Wir sind elektrisch“ ist seit seinen Beiträgen zur 2006 erschienenen Compilation „You Can’t Always Listen To Hausmusik But…“ (zwei Kollaborationen mit Broken Radio bzw. Calexico) Wolfgang Petters erstes musikalisches Lebenszeichen. Zwischendurch ging sein Hausmusik-Vertrieb dank nicht zahlender, internationaler Kundschaft den Bach runter, was ihn nicht davon abhielt, später mit Hausmunik einen Laden für Platten und Kaffeespezialitäten zu eröffnen. Und jetzt wurde das Hausmusik-Label für sein zweites Solo-Album wiederbelebt.

Für Fans gibt es dieses Album auch in einer limitierten Box mit LP und CD sowie einem großformatigen Siebdruck-Heft, für das der Johnny Cash-Biograph Franz Dobler die Liner Notes schreiben durfte. Die Vinyl-Ausgabe verdeutlicht die beiden Pole dieses Albums: Die ersten acht Songs sind eher akustisch und ruhiger, während es auf Seite 2 dann verstärkt und elektrifiziert zugeht. Die Beats werden lauter, der Titelsong rockt los und plötzlich gibt es mit „Speed“ sogar einen Synthie-Pop-Kracher aus der 80er-Jahre-Disco. Für „Reich die Hand“ wird die Musik aus dem blauäugigen Velvet Underground entliehen. Insgesamt überwiegt aber dieses auf nicht nur akustischer Gitarre basierende Singer/Songwriter-Dingens, das manchmal dezent von Elektronik und Sampling unterstützt wird. Das weckt bei mir stellenweise Assoziationen an die Fellow Travellers oder Leonard Cohen. Oder an Hausmusik-Freunde wie Calexico, was nun wiederum kein Wunder ist – denn deren Kontrabassist Volker Zander spielt neben anderen befreundeten Musikern auf einigen Stücken mit. Einmal geigt Martin Lickleder (Jeep Beat Orchestra, Suzie Trio, Moulinettes) und sogar Familienmitglieder tauchen immer wieder auf. Überhaupt ist dies eine sehr persönliche Platte. In „Man Behind The Drumkit“ verarbeitet er den Tod seines musikalischen Weggefährden Thomas Ganshorn (Fred Is Dead, Broken Radio). Und Wolfgang Petters findet dazu den passenden Ton, unterstützt mit Klangfarben von Akkordeon und Klarinette. Eingerahmt wird das Ganze von „Servabo“, einmal in englisch und einmal vorwiegend in deutsch. Überhaupt singt Wolfgang Petters (Fred Is Dead, Village Of Savoonga) mit seiner Nicht-Sänger-Stimme vorwiegend englisch, aber auch deutsch und italienisch.

Die Musik von A Million Mercies ist offensichtlich aus dem Leben gegriffen. Und das macht sie so einzigartig.

Diese Platte gefällt mir immer besser.

mrboredom
19.02.2012

Hörprobe auf Soundcloud:
„Come Sei Bella“

*****

Diskografie:

  • This Is Not Your Home / Matador (10″, 1994)
  • Elektrizität –  (hält dich in Bewegung) (LP, 1996)
  • A Million Mercies & Alles Wie Gross – 5 hours / Essen ist wichtig (7″, 1997)
  • Wir sind elektrisch (LP/CD, 2011)

Sampler-Beiträge:

  • „Jump Right Through The Window“ auf „Hausmusik“ (1991)
  • „Disobediance“ auf „Flederhausmusik“ (1994)
  • „Essen ist wichtig“ auf „Festplatte“ (1996)
  • A Million Mercies & Alles Wie Gross – „Essen Ist wichtig“ auf „Zur Hölle Mama – Perlen deutschsprachiger Popmusik #3“ (1998)
  • „Duck And Crawl“ auf „Do You Think That I’ll Be Different When You’re Through?“ (2001)
  • Broken Radio / A Million Mercies – „One Way Trip“ und A Million Mercies / Calexico – „Freunde“ auf „You Can’t Always Listen To Hausmusik But…“ (2006)

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