Posts Tagged ‘Medienkunst’

30 Jahre freiwillig in einer Schachtel

Februar 17, 2011

F.S.K. – Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Mode & Verzweiflung Produkt
(3CD-Box, 1980 bis 2009, Disko B)

Schon irgendwie lustig, wenn eine Band mit auf Buback-Label-Tournee geht um ihre bei Disko B erschienene Anthologie der 30-jährigen Bandgeschichte zu präsentieren. Ihr letztes selbstbetiteltes Album war 2009 ihr Debut für Buback. Von da an geht „Freiwillige Selbstkontrolle ist ein Mode & Verzweiflung Produkt“ – so der Name dieser CD-Box – zurück bis ins Jahr 1980, als ihre erste 7″EP auf ZickZack erschien. Diese Compilation ist chronologisch sortiert und beginnt mit Songs aus ihrer frühen Post-Punk-New-Wave-Phase. Anschließend bekommen sie den Blues und interessieren sich eher für amerikanische Musik, allerdings für solche, die von Europa nach Übersee wanderte und holen diese wieder zurück. Das berühmte Transatlantic Feedback also. Da wird der Blue Yodel und die Pennsylfawnisch Schnitzelbank wieder nach Germany gebracht oder alte G.I.-Songs reinterpretiert. Ungereimtheiten und Missverständnisse inbegriffen.

Offensichtlich fließt in die Musik von F.S.K. immer das ein, für was man sich als Band so gerade interessiert. Das sind nicht nur Musikangelegenheiten  (inkl. der Amon Düül-Diskographie), sondern auch Fragen der Philosophie, Gender Trouble und queere Lebensaspekte.

So hat Thomas Meinecke auch zwei Compilations mit solcher in Texas vorgefundener Musik zusammengestellt („Texas Bohemia“ und „Slow Music“, Trikont, 1994/96), ein Hörspiel („Texas Bohemia“, Bayerischer Rundfunk, 1993) produziert und einen Roman geschrieben („The Church of John F. Kennedy“, edition suhrkamp, 1996). Schön nachvollziehbar ist dieses Interesse auch an den Radio-Sendungen, die Thomas Meinecke nachts für bayern2radio macht (und dort sowohl Techno a la Underground Resistance oder Dopplereffekt als auch R&B von Tweet auflegte). Und seine Bücher sind eh ein Parallel-Universum zu F.S.K. – wer „International“ hört, findet in „Tomboy“ das passende Buch dazu.

Nach einer Übergangsphase, in der die Rhythmusbox gegen einen echten Schlagzeuger eingetauscht wurde und man mit David Lowery (von Camper van Beethoven bzw. Cracker) unterwegs war, erschien 1996 eine 12″ mit vier rein instrumental angelegten Tracks. Das war überraschend bei so einer diskursiv-textlastigen Band – aber auch irgendwie zeitgemäß in den Jahren als der sogenannte Post-Rock modern wurde und Techno sowieso. Auf den darauf folgenden Platten hat F.S.K. nach und nach seine Sprache wieder gefunden. Und mit ihrer bereits erwähnten selbstbetitelten Platte knüpften sie dann wieder etwas mehr an ihre wavige Anfangszeiten an. Soweit die Ultrakurzversion dieser Bandgeschichte.

Das letzte Lied dieser Compilation – „Stimme“ – stammt von einem Peter Weibel-Tribute-Album („Der Künstler als junger Hund“, intermedium, 2009) und verweist auf die hörspiel- und medienkünstlerischen Projekte der Band. So hat F.S.K. auch die velvetundergroundeske Musik zur Hörspiel-Produktion „Bambiland“ von Elfriede Jelinek (Regie: Karl Bruckmaier, Bayerischer Rundfunk, 2005) beigesteuert. Davon abgesehen sind Michaela Melián (u.a. mit „Föhrenwald“) und Thomas Meinecke auch solo bereits als Hörspielautoren immer wieder in Erscheinung getreten.

Diese CD-Box ist also eine Zeitreise durch das Werk einer der interessantesten deutschen und deutschsprachigen Nebenerwerbs-Pop-Gruppen (Meinecke ist ja u.a. als Autor unterwegs, Melián als bildende Künstlerin, Wilfried Petzi als Photograph, Justin Hoffmann als Dozent und Kurator, Carl Oesterhelt aka Carlo Fashion als Komponist) und wird durch ein 76-seitiges Büchlein mit vielen Bandfotos und einer diskursiven Abhandlung von Didi Neidhart über F.S.K. ergänzt. Auf einem Faltblatt gibt es noch einen englischsprachigen Text von Franc Myles über die Band zu lesen, dessen Vorderseite die Worte „Heute Disco / Morgen Umsturz / Übermorgen Landpartie“ zieren, die Losung der 1978 gegründeten Zeitschrift „Mode & Verzweiflung“, als deren musikalischer Arm Freiwillige Selbstkontrolle fungiert (und wer will kann diese Losung auch im großen Format DIN B0 ordern). Als kleiner Gimmick liegen der Box noch drei kleine Zahnstocher-Flaggen bei, passend zum Song „Flagge verbrennen (Regierung ertränken)“.

Prädikat wertvoll.

 

Das unsichtbare Monument

Dezember 5, 2010

Michaela Meliáns Memory Loops

Am 23. September 2010 wurde das virtuelle und dezentrale Denkmal „Memory Loops – 300 Tonspuren zu Orten des NS-Terrors in München 1933-1945“ der Künstlerin Michaela Melián offiziell in Betrieb genommen. Nach umfangreicher Recherchearbeit hat Melián, die seit 30 Jahren auch mit der Band Freiwillige Selbstkontrolle unterwegs ist, 300 Audio-Miniaturen in deutscher und 175 in englischer Sprache erarbeitet, die jeweils zu einem bestimmten Ort in München das Schicksal einzelner Menschen während des NS-Regimes erzählen. Diese Dateien kann man mittels einer Website, auf der die entsprechenden Tonspuren in einem stilisierten Stadtplan verortet werden, auswählen, downloaden und zu Tracklists zusammenstellen. Man kann sich aber auch Abspielgeräte in verschiedenen Münchner Museen ausleihen oder an 60 beschilderten Orten per Telefon die passenden Tracks abrufen. Für den Bayerischen Rundfunk, Abteilung Hörspiel- und Medienkunst, wurden fünf lange Memory Loops (zu jeweils ca. 55 Minuten) produziert, die im Herbst 2010 gesendet wurden und ebenfalls als kostenlose Downloads zugänglich sind.

Machart und Ästethik der Memory Loops lehnen sich an Michaela Meliáns Werk „Föhrenwald“ aus dem Jahr 2005 an. Die individuellen „Geschichten“, aus Archivmaterial und Interviews herausdestilliert, werden von Sprechern mit ruhiger, leiser Stimme gelesen und Kinder tragen behördliche Anordnungen und andere offiziellen Verlautbarungen vor. Unterlegt wird dies mit ambienten, reduzierten Loops, die manchmal von Klaviertönen akzentuiert werden. Nichts lenkt vom Thema ab. Durch den Bezug der jeweiligen Hörstückchen zu einzelnen Orten des damaligen Geschehens wird das Gedenken an diese üble Zeit aus seiner Abstraktion geholt und geerdet. Auch für Nicht-Münchner ist das alles mehr als hörenswert und sehr interessant.

PS: Interessant finde ich übrigens auch, daß sich die Stadt München zu so einem flächendeckenden Denkmal durchringen konnte – während das ebenfalls dezentrale Gedenk-Konzept der Stolpersteine meines Wissens dort immernoch nicht genehmigt wurde…

Nachtrag:
Im Mai 2012 wurde Memory Loops für den „Grimme Online Award SPEZIAL“ nominiert.
Siehe: Grimme.

Die Website:
www.memoryloops.net

Die Memory Loops beim Bayerischen Rundfunk:
www.br-online.de

 

Tipp: Michaela Melián live in Hamburg, 29.07.10

Juli 25, 2010

Am 25. Mai 1991 mit Freiwillige Selbstkontrolle in Weikersheim

Konzert-Tipp:

Donnerstag, 29. Juli 2010, 21 Uhr:
MICHAELA MELIÁN
Dockville Kunst / Recreation Ausstellungsprogramm,
Reiherstieg Hauptdeich, Hamburg-Wilhelmsburg

Das Dockville Festival 2010 (13. bis 15. August) wirft seine Schatten voraus – ab 29.07.2010 gibt es schon ein Kunst-Programm mit Ausstellungen, Performances und Konzerten.

Dort wird am oben genannten Termin MICHAELA MELIÁN „ein elektro-akustisches Solo-Konzert auf Olaf Nicolais Arbeit ‚Landschaft‘“ geben. Olaf Nicolai ist der Bruder von Carsten Nicolai (Raster-Noton). Und Michaela Melián ist ebenfalls eine bildende Künstlerin, die man vielleicht eher als Bassistin der Band Freiwillige Selbstkontrolle (bzw. F.S.K. / FSK) kennt, die 1980 ihre erste 7“-EP veröffentlichte und seitdem verschiedenste stilistische Phasen durchgemacht hat (New Wave, Transatlantic Feedback, Instrumental-Musik…).

Vor sechs Jahren erschien ihre erste Solo-Platte „Baden-Baden“, 2007 folgte „Los Angeles“. Mit Unterstützung ihres Band-Kollegen Carl Friedrich Oesterhelt (aka Carlo Fashion) entstand hier reduzierte, pulsierende elektronisch wirkende Musik, die allerdings nicht rein elektronisch produziert wurde. Michaela Melián spielt ja auch Bass und Cello, singt aber eher selten – z.B. auf den beiden Roxy Music-Cover-Versionen, die ihre Solo-Alben jeweils abschließen. Ähnlich faszinierende Musik gibt es auch in der Installation (und gleichzeitig Hörspiel) „Föhrenwald“ zu hören, in der die Geschichte dieser 1937 erbauten Mustersiedlung und späteren Durchgangslagers thematisiert wird. Am 23. September 2010 startet ihr Werk „Memory Loops“, ein virtuelles Denkmal mit „300 Tonspuren des NS-Terrors in München“.

Aber am kommenden Donnerstag freuen wir uns erstmal auf ein Konzert von Michaela Melián.

PS: Schade, dass Michaela Melián an diesem Abend dann doch verhindert war.

Weiterführende Links:

Dockville Kunst Programm
Konzertankündigung

Memory Loops

Die Einsamkeit Des Amokläufers

Juni 20, 2010

Hörspiel-Tipp für heute nachts:
Deutschlandradio Kultur, 21.06.2010, 00:05 Uhr:
Lorenz Lorenz – Die Einsamkeit des Amokläufers

1982 hat der damals in München lebende Lorenz Lorenz bei Molto Menz (Du Bist So Gut Zu Mir) ein Büchlein mit „trivialen Kurzgeschichten“ veröffentlicht: „Die Einsamkeit Des Amokläufers“. Ich kann mich an eine Zündfunk Pop Sunday-Sendung erinnern, in der Lorenz Lorenz damals aus diesem Buch las, dazu wurde Musik von Public Image Limited, Burundi Black, Hans Albers u.v.m. gespielt. Das war eine sehr amüsante Sache. Es ging u.a. um Boy-meets-Girl, seltsame Auftritte usw. usf.

Unvergessen seine fast schon dadaistische Performance „Das Dreiminuten-Ei“ in einer TV-Revue, zusammen mit seinem Saxophon. Ei! Ei! Ei!

Irgendwann danach fuhr er mit dem Fahrrad durch China und berichtete im Zündfunk davon.

27 Jahre später hat der Westdeutscher Rundfunk unter der Regie von Thomas Wolfertz ein Hörspiel aus diesem 1980er-Jahre-Stoff produziert, auf welches ich nun sehr gespannt bin.

Weitere Infos auf der Seite vom Deutschland-Radio:
www.dradio.de/dkultur

typische Scheiße und nie gehörte musik

April 27, 2010

Various Artists:
Das Dieter Roth oRchester spielt kleine wolken, typische Scheiße und nie gehörte musik
(CD, intermedium rec. 026, 2007)

„Das Dieter Roth oRchester spielt kleine wolken, typische Scheiße und nie gehörte musik“ hatte anno 2006 seine Ursendung auf Bayern2Radio, wo die Hörspiel- und Medienkunst liebevoll gehegt und gepflegt wird. Dabei handelt es sich bei dieser Hommage an den bildenden Künstler Dieter Roth eher um eine Compilation liedhafter Interpretationen dessen literarischer Ergüsse, herausgegeben von Wolfgang Müller und Barbara Schäfer. Roth war auch auf dem schriftstellerischen Gebiet überproduktiv. Diese CD stellt also eher ein Album von Neu-Interpretationen dar und kein Hörstück im eigentlichen Sinne. Die Idee hierzu stammt vom ebenfalls bildenden Künstler und Island-Fan WOLFGANG MÜLLER (alias Úlfur Hródólfsson, ex Die Tödliche Doris) der das Roth-Buch „Frühe Schriften und typische Scheiße“ irgendwann in einem Berliner Wühltisch für 3 Mark entdeckte. Und damit wohl auch seine Geistesverwandtschaft – war der ebenfalls in Island wirkende Dieter Roth nicht auch irgendwie ein, äh, genialer Dilettant, ein Bruder im Geiste? Für sein Projekt holte sich Müller u.a. Unterstützung bei alten Bekannten wie Brezel Göring und Françoise Cactus (Stereo Total, Wollita), bei seinem Bruder MAX MÜLLER sowie dessen Band MUTTER, aber auch bei KHAN, TRABANT (aus Island) oder NAMOSH. Wolfgang Müller, der solo zu trivialem Electro-Pop neigt, steckt wiederum hinter dem WALTHER VON GOETHE QUARTETT und den beiden schwulen Stoffpuppen ARMAND & BRUNO, die sich mit der Häkelpuppe WOLLITA angefreundet hatten als diese als sexistisches (Nicht-) Kunstwerk von der Berliner Boulevard-Presse angefeindet wurde (zu diesem Thema ist übrigens ein Taschenbüchlein mit 3“CD im Martin Schmitz Verlag erschienen). Überraschenderweise ließen sich die Texte von Dieter Roth auch zu wunderbaren Popsongs formen. Die Beiträge von STEREO TOTAL oder WOLLITA sind in dieser Hinsicht zwei Meisterwerke. ANDREAS DORAU schafft es leider nicht daran anzuknüpfen, ihm gelingt trotzdem ein für ihn typisches Electro-Groove-Stück. Überhaupt klingen viele Tracks typisch für ihre Erzeuger. Offensichtlich lassen diese Texte hierzu genügend Spielraum – im Gegensatz zu gängigen Musik-Tribute-Projekten. GHOSTDIGITAL (ein Projekt eines ehemaligen Sugarcubes-Musikers) erinnern mich irgendwie an Therofal von The Blech im bassbetonten Elektronikkleid, welches bei mir wiederum Assoziationen an Werke von Goebbels/Harth aus den 1980ern erweckt. Nach 17 Beiträgen nicht ganz so vieler Künstler gibt es als Zugabe mit „doit again“ noch ein verschroben groovendes Stück von MOUSE ON MARS. Insgesamt gilt: typische Scheiße, interessant aufgearbeitet!

(geschrieben im Oktober 2007 für Bad Alchemy 55)

Séance Vocibus Avium

März 28, 2010

Wolfgang Müller – Séance Vocibus Avium
(CD / 7“-EP mit Buch, Fang Bomb, 2008)
(Hörspiel, Bayerischer Rundfunk, 2008)

Dieser Mann ist gut zu Vögeln, das pfeifen die Spatzen vom Dach. Seit Jahren interessiert sich der Berliner Künstler Wolfgang Müller für allerlei Vogelgezwitscher. Nicht nur Blaumeisen, Kurt Schwitters singende Stare oder gar Riesenalken haben sich in seinem Werk niedergeschlagen – in Büchern, Hörspielen, Skulpturen oder in Form eines in Bronze gegossenen Meisenknödel.

Müllers ornithologisches Interesse geht sogar soweit, dass er für „Séance Vocibus Avium“ den Versuch unternommen hat, Vogelrufe nicht mehr existierender Vogelarten anhand schriftlich überlieferter Beschreibungen zu rekonstruieren. Dabei haben ihn wiedermal ein paar Freunde geholfen und kurze Nachempfindungen eingespielt – u.a. Justus Köhnke, Annette Humpe,  Frieder Butzmann, Max Müller, Françoise Cactus & Brezel Göring (aka Stereo Total), Khan und Namosh. Diese elf in Umgebungsgeräusche eingebetteten Vogelrufe sind auf einer bei Fang Bomb erschienenen 7“-Schallplatte versammelt, zu der auch ein Büchlein mit kurzen Erläuterungen und Skizzen der verstorbenen Vogelarten gehört. Diese tierischen Lautäußerungen klingen ab und zu durchaus skurril und am Ende sogar fast schon erschreckend.

Aber diese kurzen Klangbeispiele sind natürlich nicht alles. Denn eigentlich sind sie Bestandteile des Hörspiels „Séance Vocibus Avium“, das 2008 für den Bayerischen Rundfunk realisiert wurde. Momentan wird es auch online als Podcast zum kostenlosen Download bereitgestellt. Hier werden dem werten Publikum von Claudia Urbschat-Mingues im ruhigen Tonfall mehr oder weniger wissenschaftliche Erläuterungen zu den jeweiligen ausgerotteten Vogelarten verlesen. Aber Wolfgang Müller spielt mit diesen Texten noch etwas herum und bildet daraus erläuternde Assoziationsketten. Da kommt man schon mal ins Schmunzeln. In der 44. Minute muss sogar die kühle Sprecherin kurz lachen.

Dieses Hörspiel wurde übrigens mit dem Karl-Sczuka-Preis 2009 beehrt, eine Auszeichnung, die Asmus Tietchens ja auch schon zuteil wurde.

PS:
Am 05. Mai 2010 wird dieses Hörspiel auf Deutschlandradio Kultur wiederholt – um 21:33 Uhr.

Gehörlose Musik

Februar 21, 2010

Wolfgang Müller: Gehörlose Musik – Die Tödliche Doris in gebärdensprachlicher Gestaltung
(DVD mit Buch in einer hübschen Schachtel,
Edition Kröthenhayn
, 2006)

Wolfgang Müller ist nicht nur ehemaliges Gründungsmitglied der Westberliner Künstlergruppe Die Tödliche Doris – man könnte ihn auch als deren Nachlassverwalter bezeichnen. Denn diese Band gab es – so will es das Konzept – nur sieben Jahre lang, von 1980 bis 1987. Anfangs nahm ich sie nur als Musikgruppe wahr, erst im Laufe der Zeit entpuppten sich die „Genialen Dilletanten“ von Die Tödliche Doris für mich als Künstler, die auch Filme und Videos fabrizierten und sonstige Ausdrucksmöglichkeiten der bildenen Kunst durchexerzierten. Der Verleger und Vortragsreisende Martin Schmitz kann davon ein Lied singen. Die bei ihm erschienenen Bücher über Die Tödliche Doris sind empfehlenswert.

Bereits in den frühen 1980er Jahren kam Wolfgang Müller in Berlin mit einzelnen Gehörlosen in Berührung, die offensiv mit Hörenden kommunizeren wollten. In einem Super8-Film von Die Tödliche Doris wird bereits 1984 ein tauber Schlagzeuger gezeigt. Dieses Interesse schlug sich 1994 auch in „hörspiel/unerhört“ nieder, einer Produktion für den Bayerischen Rundfunk (zusammen mit Holger Hiller). Ein paar Jahre später, am 27.11.1998, wurde die auf dieser DVD dokumentierte Performance „Gehörlose Musik – Die Tödliche Doris in gebärdensprachlicher Gestaltung“ im Prater der Berliner Volksbühne aufgeführt. Dargeboten werden alle 13 Stücke, die auf der 1981 erschienen Langspielplatte „Die tödliche Doris“ (ZickZack, ZZ 123) veröffentlicht wurden. Wolfgang Müller sitzt ganz links auf der Bühne (ist aber nicht im Bild zu sehen) und bedient den Plattenspieler, während Andrea Schulz und Dina Tabbert, in dunkler Kleidung, Text und Musik gebärden. Das sieht dann weder nach Tanz noch nach Pantomime aus sondern ist eine Sache für sich. Manchmal teilen sich die beiden Dolmetscherinnen scheinbar die textliche und musikalische Ebene. Letzenendes ist diese gebärdensprachlicher Gestaltung nicht nur eine Interpetation sondern vor allem eine Übersetzung in eine andere Sprache – die ich weder verstehe noch beherrsche. Das Material von Die Tödliche Doris erfährt somit eine Transformation in eine andere Welt, die einem Hörenden besonders seltsam vorkommt, wenn man den Ton abstellt.

In einem auf dieser DVD ebenfalls enthaltenen, ca. 15-minütigen Interview erklärt Wolfgang Müller dann noch näheres zu den Hintergründen dieses ungewöhnlichen Unterfangens.

PS:
Noch ein Hinweis für Fans der Hörspiel- und Medienkunst:
Am 11. April 2010 findet auf der Welle von Bayern 2 Radio die Ursendung des neuen Hörspiels von Wolfgang Müller statt: „Learning Mohawk in fifty-five minutes“.

Fantas Schimun in Stereo

Januar 16, 2010

Fantas Schumi Cover

FANTAS SCHIMUN
Variationen über die Freiheit eines anderen /
Der Himmel ist blau – Ein Alptraum in Stereo

(DoLP, ZickZack, ZZ 2026)

Zuerst erscheint mir der Name dieser aus Wien stammenden Künstlerin unbekannt. Aber dann kommt mit dem vierten Titel ein Wiedererkennen: „Ich bin bis auf weiteres eine Demonstration“ war anno 2003 der Titelgeber einer ZickZack-Compilation. Auf selbigem Label ist nun eine Doppel-LP erschienen, die sich deutlich zweiteilt. Auf den Plattenseiten drei und vier wird eine Art Hörspiel dargeboten, in dem es um Liebe, Eifersucht und einen der ersten Billigflüge zum Mars geht. Bestechend schön die Nebeneffekte der in der Tonhöhe künstlich veränderten Stimmen. Unterbrochen wird diese medienkünstlerische Heimarbeit immer wieder durch songartige Stücke – wobei „Eia weia weg“ bereits auf einem weiteren ZickZack-Sampler zu finden war. Abgeschlossen wird dieses Werk durch „Herztropfen für‘s All“, einer Cover-Version des S.Y.P.H.-Songs „Nur ein Tropfen“. Das war nun also vermutlich der aus älteren Zeiten stammende Bonus zum eigentlichen Album. Während das Hörspiel und die Samplerbeiträge ungezwungen experimentell anmuten, wirken die neueren (?) Stücke eher wie urbane Folk Songs. Über Loops von beispielsweise Vogelgezwitscher und Bahnlärm oder rückwärts laufenden Spuren singt Fantas Schimun zur akustischen Klampfe in englischer und deutscher Sprache – und läßt sich dabei ab und zu gerne von elektrischem Gitarrenlärm stören. Das ist stellenweise herzzerreißend schön, z.B. bei „Everythings’s Far“ oder „Forget Her“. Und der instrumentale Titelsong „Variationen über die Freiheit eines anderen“ erinnert fast ein bißchen an das Penguin Cafe Orchestra. Keine Platte aus einem Guss, eher ein Sammelsurium, aber sympathisch und mit sehr schönen Perlen! Eine EP nur mit den englisch gesungenen Titeln (inkl. „Bon Tempi“) könnte ein Verkaufsschlager auf dem Mars werden.

(geschrieben am 14.01.2010 für Bad Alchemy 65)