Eine kleine Anzeige (im Format 73 x 50 mm) in der westdeutschen Musikzeitschrift „Spex – Musik zur Zeit“, Nr. 12, Dezember 1984, auf Seite 43, für den guten Abzug.
Posts Tagged ‘Neue Deutsche Welle’
Guter Abzug (Werbung)
Juni 16, 2014Festival der guten Taten
Februar 28, 2014Kino aus der Kassette
Februar 28, 2014Geburtstag nicht vergessen!
Januar 26, 201450 Jahre Andreas Dorau Gala
(Various Artists, Bi Nuu, Berlin, 25.01.2014)
Am gestrigen Samstag fand im Berliner Bi Nuu die „50 Jahre Andreas Dorau Gala“ statt – eine Woche zuvor wurde so eine Show bereits in Hamburg veranstaltet. Denn an einem 19. Januar erblickte Andreas Dorau das Licht der Welt. Aber das war nicht der einzige Grund so eine Sause zu starten – vor kurzem erschienen gleich zwei Dorau-Alben – ein neues und eine Compilation – und da muss man schon mal auf die Pauke hau’n.
Der überaus bunte Abend wurde von einem Mann namens Markus von Schwerin an der akustischen Gitarre musikalisch eröffnet, bevor Andreas Dorau selbst die Bühne erklomm und als Trio, zusammen mit Tim Lorenz am Laptop und einem Schlagzeuger, bewährte Tracks der letzten zwei, drei Dekaden spielte.
Dann schneller Wechsel, statt Laptoper plötzlich Die Liga der gewöhnlichen Gentleman auf der Bühne, zusammen mit Dorau und einer Gastsängerin zwei Songs der neuen Platte „Aus der Bibliothèque“ darbietend: über das Flaschenpfand und die Bücherhalle im Hamburger Hühnerposten.
Zwischendurch durfte Maurice Summen (Die Türen) ein paar Songs zum Original-Dorau-Playback singen.
Stereo Total wirkten so als wären sie nur mal kurz auf den Sprung vorbeigekommen und spielten „Telefon“ so wie es nur Françoise und Brezel tun (für diesen Song fühlten sich in Hamburg Egotronic zuständig).
Hobby-Ornithologe und Texter so manchen Dorau-Liedes Wolfgang Müller (ex Die Tödliches Doris) sang rührend dilletantisch seine Version von „Blaumeise Yvonne“ und erschien später nochmals als Gastsprecher bei „Das Eis“.
Justus Köhncke präsentierte einen Smart Phone Minimal Electro Slow Motion Remix von „Fred vom Jupiter“ sowie seine Version von „Wasserstoff“, endlich wieder ein Stück aus dem aktuellen Album, das, wie er erwähnte, wohl im Möbel Olfe entstand.
Der Plan, in dessen Ata Tak Studio Dorau’sche Frühwerke aufgenommen wurden, nahmen sich die Freiheit, zwei Songs umzudichten. Da wird aus der Tante in Texas der Onkel aus Tonndorf und aus „Fred vom Jupiter…“ wird „Andreas Dorau ist ’ne coole Sau…“. Bei diesem Geburtstagsständchen tauchten sogar zwei der originalen Marinas auf. Als Abschluss des Auftritts von Der Plan – mit Diashow historischer Dorau-Fotos und selbstgemalten Masken – spielen sie noch „Alte Pizza“ – trotzdem lecker und tatsächlich trat diese ehemals Düsseldorfer Band erstmals seit Jahrzehnten anlässlich dieser Hamburg-Berliner Gala in Originalbesetzung auf.
Bevor am Ende der musikalische Staffelstab an DJ Penis übergeben wurde, gab der elektronische Andreas Dorau im zweiten Teil seines Konzerts noch mal richtig Gas. Furios bot er Lieblingslieder dar, auch seinen Zweit-Hit „Girls In Love“. Und als letzte Zugabe wurde schnell noch einmal Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen (teilweise ex Superpunk) auf die Bühne gescheucht um ein zweites Mal den Ohrwurm vom neuen Album zu rocken. „Fli Fli Fla Fla Flaschenpfand…“.
GZ,
26.01.2014
Doris 2013
Dezember 13, 2013Das Jahr 2013 war ein gutes Jahr für Doris. Das Jahr 2013 war durchaus ein gutes Jahr für die längst tote Die Tödliche Doris. Das Jahr 2013 war ein wirklich gutes Jahr für die Künstlergruppe Die Tödliche Doris (1980 bis 1987).
Anfang des Jahres erschien das kleine, aber dicke Buch „Subkultur Westberlin 1979 – 1989„, in dem Doris omnipräsent und mit dem Urheber Wolfgang Müller (ex Die Tödliche Doris und auch irgendwie Nachlassverwalthervongoethe dieser Band) gerne auf Lesereise ist – vor ein paar Wochen gastierte er damit beispielsweise in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg zu Berlin.
Posthum erschien mit der Maxi-Single „Stopp (Der Information) (Vollendet von Namosh 2012)“ (Squoodge Records, SR 17.102), auch noch ein fulminanter Elektro-Hit, wie ihn Doris damals nie alleine hingekriegt hätte.
Im Text der erwähnten Vollendung heißt es: „Im Indie-Plattenladen steht ein Mädchen rum / sie ist perfekt gekleidet und sie ist nicht dumm / ihr Name ist Christine, ich find sie supertoll / sie kauft sich diese Platte…“ – vielleicht eine Liebeserklärung an Christine Sun Kim, mit der Elfenforscher Wolfgang Müller anno 2013 die gehörlose Konzeptkunstdoppelsingle „Ranging From Panning To Fanning“ (Squoodge Records, SR 17.99) veröffentlicht hat?
Auch das noch: Das Berliner Musikliebhaberlabel Mauerstadtmusik veröffentlich mit „Losspielen“ (MM 011, K’01) in Zeiten der digitalen Cloud eine analoge Cassette mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen der guten alten Dame Doris. Limited Edition versus internetter Allzeitverfügbarkeit.
Und dann bedankt sich Elke Käthe Kruse (ex Die Tödliche Doris) auf ihre Weise in der Zwinger Galerie für ihre Zeit mit Doris oder so (ich selbst habe diese Ausstellung noch nicht gesehen) – noch zu besichtigen bis 18. Januar 2014 in Berlin-Schöneberg.
In der Tat ganz schön viel Action für eine längst zu Grabe getragenen Pöst Pünk Bänd Künstlergrüppe.
GZ,
13.12.13
Blechluft 6
Juni 16, 2012Günter Sahler – Lass und über Musikkontexte reden
(Taschenbuch, Edition Blechluft 6, 2012)
Hier wird keine heiße Luft verbreitet und kein Blech geredet. Hier geht es um die neuere Historie deutscher experimenteller Musik, deren Urheber, den verwendeten elektronischen Mitteln (vom Theremin bis Laptop-Software) und Speichermedien (von Noten über CompactCassetten – die ja auch den Umschlag dieses Buchs zieren – bis hin zur mp3-Datei und der Cloud).
In Interviews erzählen Musiker wie Asmus Tietchens, Hans Castrup (von den Poison Dwarfs, einer Cassetten-Band der frühen 1980er Jahre, die anno 2012 ein neues Album veröffentlicht hat), Ulli Putsch (S.Y.P.H.), Markus Detmer (Staubgold-Label-Macher und Musiker bei Klangwart), Tom Scheutzlich (Mutter) oder Torstn Kauke (Superstolk) und andere, wie ihre Musik entsteht bzw. entstand. Diese Gespräche sind nicht säuberlich in einzelne Kapitel unterteilt sondern werden mit Zitaten anderer Künstler oder technischen Texten collagiert. Da treffen Erlebnisberichte auf Technikgeschichte, Hardware auf Software, Stockhausen auf Punk Rock. Und auch Damo Suzuki schaut auf einen Sprung vorbei. Es werden die Nischen der deutschen Popkultur ausgeleuchtet – erfreulicherweise auch in der vermeintlich düsteren Provinz. Für diesen Verdienst sollte man dem Editor Günter Sahler eine Ehrenurkunde überreichen.
GZ,
13.06.2012
Das Buch kann man hier bestellen:
www.blechluft.de.vu/
Vier Männer und ein Pokerspiel
April 17, 2012DREIDIMENSIONAL – Vier Männer und ein Pokerspiel
(C45, Schuldige Scheitel Tapes, sch-sch 003, 1983)
Ein neues Jahr, ein neues Tape von DREIDIMENSIONAL (das zweite). Zur Cassette gibts ein nettes Beiheft mit Comic und sonstigem, beides auf ein besprühtes Pappstück aufgeklebt; nett gemacht.
DREIDIMENSIONAL sind vier junge Jungs aus Berlin. Ihr erstes Tape („Der kulturbefördernde Füll“) klang noch ziemlich dilettantisch, „Vier Männer und ein Pokerspiel“ ist nicht mehr so kaputt/chaotisch; ist direkt schon fast perfekt und schön geraten. 12 Songs gibts da, davon konnte man „Fleißig sein“ und „Nur besoffen“ schon auf dem 2. und 3. Irresampler hören.
Am Anfang ihrer neuen Cassette wird man gleich mit einem kurzem, funkigem Stück verwöhnt, das in synthetischem Geblubber sein Ende findet. Aber später gibts dann auch noch einen punkigen Song, mit 95 Sekunden der kürzeste. Im allgemeinen ist DREIDIMENSIONALs Musik eigentlich ’schön‘ ausgefallen. Vor allem, wenn die Woolworthorgel ertönt. Und überhaupt. Bei „Auf dem Weg nach Landshut“ gefällt mir die Gitarre so gut. Das schönste und längste Lied ist das letzte; da paßt irgendwie alles zusammen. Orgel/Bass/Gitarre/Gesang. wow! Auch genial gelungen ist ihre Version von „My bonnie is over the ocean“, dem sie den nötigen Schwung zum Stimmungshit verschaffen.
Kaputt und dilettantisch ist DREIDIMENSIONAL echt nicht mehr. Ich hoff nur, daß sie in Zukunft dann nicht total und zu schön werden; das kann nämlich gefährlich werden. Schön ist nur, wenns nicht zu schön wird. Und das schafft DREIDIMENSIONAL ziemlich gut. Also mir gefällt dieses Tape absolut gut (kaufen!!).
Zu haben bei Schuldige Scheitel Tapes / Mirkotz Krüger, Adresse auf Seite 19!
dom
Dieser Text stammt ebenfalls aus dem 3. Heft des Würzburger Fanzines Oi Oi Oi! (später 10.15 bzw. 10.16 Megazine), erschienen am 28. Februar 1984. Urheber: Guido Zimmermann
Holger, Alexander, Evan und Paul
April 14, 2012Gestern (am 13.04.2012) gab es im Lichtmeß-Kino im Rahmen der 9. Dokumentarfilmwoche Hamburg zwei relativ kurze, wunderbare Musikfilme zu sehen. Erst einer über Holger Hiller und dann ging es weiter mit dem Schlippenbach Trio. Free Jazz nach Samplingkunst.
Wie es sich für ein Festival gehört, waren die beiden FilmmacherInnen anwesend und ließen sich zu ihren Werken von der Moderatorin und dem Publikum befragen.
Oben im Eck – Holger Hiller
(Janine Jembere, Musik-Dokumentation, 34 min., 2012)
Kurz vor Weihnachten 2011 war Holger Hiller (*1956) mit seiner alten Band Palais Schaumburg, die er nach der ersten LP verlassen hatte, live zu bewundern. Und jetzt hat dieser Film über ihn Premiere. Schöner Zufall!
Hier nähert sich Janine Jembere (*1985) an Hiller an, die dessen Musik nicht von früher kennt sondern erst in einem Seminar damit in Kontakt kam. Ein Jahr bevor Hillers Solo-Album „Oben im Eck“ auf Mute erschien wurde sie in Magdeburg geboren. Daher kommt dieses Portrait erfreulicherweise ohne nostalgische Schwelgereien aus. Aufnahmen aus der Jetztzeit, z.B. von Proben mit zwei Musikerinnen, werden kombiniert mit Archivmaterial – Ausschnitte aus der Fernsehrevue „Dreiklangsdimensionen“ beispielsweise oder dem Video von Ohi Ho Bang Bang u.v.m.
Anhand von Privat-Fotos zeigt Hiller seine Stationen auf: Hamburg, London, Berlin. Es gibt keine Interviews und keine Fakten aus dem Off – im ganzen Film ist fast nur die Stimme von Holger Hiller zu hören, beim Proben, Bilderzeigen, Instruktionsvideogucken und Verlesen für diesen Film selbst geschriebener Texte. Für frei gesprochene Interviews war er wohl nicht zu haben, da er sicher sein wollte, daß keine Ungenauigkeiten verbreitet werden. Das ganze beginnt am Berliner Hauptbahnhof (vermute ich jetzt mal), Hiller auf der Rolltreppe und Jembere im Aufzug, dazu ein Ausschnitt aus dem wunderbaren Hörspiel „Little Present“, in dem er den Besuch bei seinem vierjährigen Sohn in Tokio akustisch verarbeitet hat. Am Ende betritt Holger Hiller zwar zusammen mit den beiden bereits erwähnten Musikerinnen eine Bühne in Paris, dann wird die Leinwand schwarz, Abspann.
Die Palais Schaumburg-Reunion ist hier übrigens kein Thema, die Dreharbeiten waren wohl schon abgeschlossen als diese Idee aufkam. Ein wunderbarer Film über einen wirklich interessanten Künstler.
Diese empfehlenswerte Doku entstand übrigens als Abschlussfilm an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) und wird zusammen mit 12 anderen Abschlussfilmen am 26. April 2012 im Metropolis Kino gezeigt.
Aber das Wort Hund bellt ja nicht
(Bernd Schoch, Musik-Dokumentation, 48 min., 2011)
Bernd Schoch (*1971) ist u.a. auch Dozent an eben erwähnter HFBK und war 2009 auf dem Unerhört! Musikfilm-Festival mit „Slide Guitar Ride“ über Bob Log III vertreten.
Jetzt hat er sich den Spaß erlaubt, drei Free Jazzer abzulichten: Alexander von Schlippenbach (*1938, Piano), Evan Parker (*1944, Saxophon) und Paul Lovens (*1949, Schlagzeug). Unter der Firmierung Schlippenbach Trio machen diese Herren jeden Winter eine Tour und an vier aufeinanderfolgenden Jahren wurden ihre Konzerte in immer dem selben Jazzclub in Karlsruhe (Schoch kommt offensichtlich aus dieser Gegend) aufgenommen. Fast wäre es ein Triptychon geworden – jedem der drei wird eine längere Sequenz gewidmet. Die Mitmusiker sind nur zu hören. Als Zuschauer ist man so nah an ihnen und ihren Instrumenten dran, daß man die Personen fast schon nicht mehr sieht. Da gleiten Finger über Tasten, ein Schweißtropfen perlt herab, man glaubt fast selbst im Schlagzeug zu sitzen. Man kann die Konzentration spüren mit der diese Musik entsteht und sehen, wie ein Musiker auch erstmal hineinhört bevor er weiterspielt. Die drei Herren sind nie gleichzeitig im Bild zu sehen und es gibt auch keine langweilige Totale. Statt Interviews gibt es von jedem der Drei ein Statement zu ihrer Musik und den Ritualen auf ihrer Reise zu hören. Diese dienen als Zwischenspiel und Trennung der dann doch vier Konzertsequenzen. „Aber das Wort Hund bellt ja nicht“ ist somit weder eine klassische Doku noch ein herkömmlicher Konzertfilm sondern fast schon selbst Musik. Alles ist im Fluß. Und wie bei einem guten Konzert hätte ich gerne ab und zu mal die Augen geschlossen um mehr zu hören. Aber das wäre ziemlich doof gewesen bei einem so sehenswerten Film!
Nie erreicht
März 26, 2012Neulich im Fanzine-Archiv: Da schaue ich ein paar Din A5-Hefte durch und stolpere über diese Collage, zu finden auf der Rückseite von „Sid Lupo und der Giftzwerg – der erste New Wave Comic der Welt“, welcher mich seinerzeit zusammen mit der ersten Cassette der Poison Dwarfs erreichte (C-10 , 1981, Eigenverlag). Plötzlich fühle ich mich wegen der pyramidalen Kopfbedeckung an das aktuelle Video dieser mehr als verzichtbaren Remmidemmi-Band aus Hamburg erinnert – nur mit dem Unterschied, daß die Pyramiden heutzutage im Bewegtbild eingesetzt werden und nicht nur den Kopf sondern auch noch das Gesicht bedecken.
„Oft kopiert – nie erreicht“.
Zufall.
PS:
Laut einem Kommentar von Poison Dwarfs-Mitglied Hans Castrup stammt die Gestaltung von Helmut Westerfeld – „Der ‚andere‘ Poison Dwarf von Anfang bis 1983. Späterer Skalp-Mitgründer…“
(Facebook, 02.04.2012, 15:48 Uhr)
Die Tödliche Doris lebt!
März 14, 2012Wir erinnern uns: Noch 1985 wurde in Ochsenfurts Kulturszene rund um den Spi-Trust dem „Tötliche Doris-Kult“ mit größter Begeisterung gefrönt. Kaum eine Ausgabe von Student POGO INFO erschien, in der nicht irgendwelche Anspielungen, Zitate, News oder Erläufterungen zu/über/von Doris versteckt waren. Ralf und Robert (inzwischen als Weber & Schuster besser bekannt) fuhren nach Zagreb um Doris zu besuchen und drehten „Lichtschwindel“. Ein Film der viele Fragen offen läßt: Warum konnten die beiden die Kamera nicht ruhig halten? Hatten sie kein Stativ? Besteht Kunst wirklich darin unverständlich/metapysisch daher zu plaudern?
Antworten auf derlei Fragen gibt die Existenz/Das Vorbild der „Tötlichen Doris“. R. Schuster fühlte sich damals stets von Doris beeinflußt, fast schien es ihm, als sei eine geistige Symbiose zwischen ihm und der Berliner Dilletantenband entstanden, als hätte sich durch das Medium ihrer Schallplatten, Texte, Bilder etc… eine persönliche Übereinstimmung ergeben. Wenn Doris sang: „Heizkörper, Lüftungsgitter, Türklinke“ (Aus: „Der Tod ist ein Skandal“), dann glaubte R. Schuster in diesen drei Worten, die einzig wahre Metapher für das Leben auf diese Welt zu erkennen! Warum? Weil er und Doris sie für sich allein zu haben schienen. Die Freude am Intimen! Doris‘ Texte und Musik sind so ausgefuchst und hintergründig, daß man 99,9 % der Bevölkerung nur ein Schmunzeln des Unverstandes abringen kann, und wie schön ist es doch, zu dem privilegierten 0,1 % zu gehören. Doch genug der Vorrede!
Trotz aller damaligen Bemühungen traf R. Schuster nie auf sein verehrtes und ständig gepriesenes Vorbild, bis er den Entschluß faßte, alt genug zu sein, um selbst Vorbild zu werden. Dabei lief ihm Doris rein zufällig über den Weg.
Ich hielt mich bereits seit über drei Wochen in Berlin auf, wegen eines sehr profanen Anlasses: Ich mußte ein Praktikum für die Uni absitzen, aber das natürlich nur tagsüber, abends konnte ich versuchen, das zu finden, was Berlin zur Metropole macht. Bekannt ist über die Grenzen Berlins hinaus, daß der Abend frühestens um elf beginnt, und deshalb saß ich an fraglichem Tag total angelascht daheim und wäre am liebsten ins Casablanca Ochsenfurt gegangen, aber da ich mich in 1000 Berlin 30 befand, war mir dies verwehrt und es galt zu warten bis man sich als versierter Szenekenner auf die Straße trauen darf. Schließlich latschte ich los, Richtung Disco. Das ist zwar nichts besonderes, fast peinlich, aber man ist ja im fortpflanzungsfähigen Alter und die Berliner Frauen schneiden im Vergleich mit Ochsenfurt in Vielfalt und Anzahl sehr gut ab. Durch einige langweilige Irrungen und Wirrungen (wegen Ortsunkundigkeit), landete ich aber anstatt in der Disco im LOFT, wo die MEAT PUPPETS gerade kurz vor der Zugabe angelangt waren. Obwohl ich eine excellente Mini-LP der MEAT PUPPETS daheim hatte (harter Punk abseits der leidigen Hardcore-Klischees) erkannte ich sie nicht, dachte es handle sich um irgendwelche Berliner-High-Speed-Heavy-Metal-Freaks und blieb nur, weil es nichts kostete und genügend interessante Frauen im Publikum verteilt standen. Außerdem lehnte Nikolaus Utermöhlen, seines Zeichens Tödliche-Doris-Multiinstrumentalist am Bühnenrand, aber fiel mir nicht sofort auf und ich war mir natürlich auch nicht sicher, ob er es wirklich sei, schließlich kannte ich ihn nur von Fotos und sein Gesicht ist das fränkische Allerweltsgesicht schlechthin, Chameritz (Aufenthaltsort unbekannt), Edwins Onkel (Gaukönigshofen) und Holger (Michelfeld) sehen ihm sehr ähnlich. Wolfgang Müller meinte später sogar, ich würde ebenfalls so aussehen, aber das mußte ich von mir weisen. Ich hatte sowieso genug damit zu schaffen, daß mir Nikki in seinen Umgangsformen vertraut, eigentlich ähnlich war. Auf meine schlichte Frage, ob er zur tödlichen Doris gehöre, antwortete er mit ebenso schlichtem ja, und gestand, daß ihm mein Film und mein Name geläufig waren. Dann hatten wir uns nichts essentielles mehr zu sagen. Beiderseitige Versuche ein Gespräch in Gang zu bekommen, versiegten immer wieder nach ein- oder zweimaligem Frage-Antwort-Zyklus. Aber mir schien, als erübrige sich jede Frage, denn ich hatte mich ausführlich genug mit den künstlerischen Äußerungen der tödlichen Doris auseinandergesetzt, um glauben zu können, die Personen, die dahintersteckten zu einem gewissen Grad zu kennen. Die Teile im Mosaik, die noch fehlten, waren die Art sich zu kleiden, die Art zu reden, mit Leuten umzugehen, nicht aber, was konkret gesagt wurde, und es passte alles haarscharf in das Bild, das ich mir gemacht hatte, übertraf es sogar noch, als Nikki, kaum hatten wir uns auf den Weg in eine Kneipe gemacht, einfiel, daß er mit dem Fahrrad ins Loft gefahren sei, und ein pofeliges, rostiges Dreigangfahrrad herbeischleppte. Mir als Auto-Hasser bereitete das größte Genugtuung, zumal Berlin sowieso in Autos erstickt. Auto zu fahren ist eine einzige Qual, trotzdem sieht man erschreckend wenig Fahrradfahrer. Liegt vielleicht daran, daß die schönen Szeneklamotten darunter leiden könnten oder die elementarste Aufgabe von Kleidungsstücken, den Körper vor Kälte zu schützen, nicht ausreichend erfüllen. Bei uns auf dem Land höre ich ständig, man bräuchte ein Auto, weil die Dörfer so weit auseinander liegen, aber in der Großstadt scheint es andere Ausreden zu geben, die den Gebrauch des Autos rechtfertigen. Nikki führte mich in eine Kneipe nahe der Potsdamer Straße (Nutten ahoi!), in der alle von der tödlichen Doris zwecks Broterwerb [arbeiten. Es handelt sich] um einen ehemaligen Puff mit genialkitschigem Inventar wie Pornobilder in Barockrahmen, Kronleuchter mit Funkelglühbirnen und angenehmen Künstler-Publikum, z.B. Wolfgang Müller, Dilletanten-Mastermind und Doris-Sänger/Texter. Er erkannte mich fast von allein und begann sofort zu erzählen (mit der unverwechselbar üblen Stimme, die man von den Platten her gewohnt ist) und steckte dabei seinen Kopf meistens so nach vorne, daß ich dachte, er wolle die Pickel auf meiner Nase genauer anschauen. Tabea hätte eigentlich auch an dem Abend kommen wollen, meinte er, aber es sei ihr nicht gut. Schade, sie und Käthe hätten gerade noch gefehlt, aber man kann nicht alles haben. Im Lauf des Abends erfuhr ich auch so eine ganze Menge; Die Aufnahmen für die neue Platte sollten wenige Tage später beginnen, diesmal nur mit synthetischen Instrumenten „…. wird echt unpersönlich. Die haben da sogar diese sechseckigen Trommeln…“. Diese sechseckigen Dinger (genannt Simmons-Drums, danach verzehren sich alle provinziellen Pseudoprofis) könnte man, schlug Wolfgang vor, aus Pappdeckel nachbauen und auf der Bühne als Performance kaputt machen. Obwohl nur als spontane Idee formuliert, zeigt sich Doris‘ typische Anmache: Die Attacke auf den gutbürgerlichen, guten Geschmack. Die Hifi-HighTech-Kultur ist gerade recht um sie lächerlich zu machen. Zu Jahresende wird sich die tödliche Doris auflösen. Natürlich nur zum Schein, denn „wir sind immer noch die besten Freunde!“. Die Auflösung soll, soweit ich es verstand, nur dem Zweck dienen, das Konzept noch mehr zu erweitern, weg vom Bandimage, stärkeres Engagement auf anderen Gebieten. Dabei aktivierte Doris schon immer Grenzbereiche, musikfremde Darstellungsformen.
Projektnamen wie Fotodokumentararchiv, Naturkatastrophenballet, die tödliche Doris als Kontaktvermittlung lassen erahnen, wie vielfältig ihr Repertoire an Ausdrucksformen ist. Aber nicht nur vielfältig, vor allem schräg und unverdaulich war sie zu allen Zeiten. In einem Super-8-Dokumentarfilm über das SO 36 sah ich einem ihrer frühen Auftritte: Als Geräuscherzeuger stand ein pfeifender Teekessel auf einer Heizplatte und beides auf der Bühne. Nikki lockte dazu der Gitarre irgendwelche abscheuerregenden Töne und Wolfgang schrie hysterisch: „Kavaliere, Kavaliere, reiten die Welt in den Abgrund“. Eine leere Bierbüchse traf ihn dabei direkt an der Stirn. Ein Bild für die Götter. Inzwischen geht es auf Doris‘ Auftritten sicherlich nicht mehr so punkig/anarchistisch zu. Doris ist ein etabliertes Kunstphänomen für die intellektuelle Schickeria der ganzen Welt. Sie spielte im „Museum for Modern Art“ in Amerika, in Japan ist die letzte LP in den Charts und demnächst steht Moskau auf dem Tourprogramm. Aber angeblich ist das auch nicht immer aufregend. „Es gibt nichts neues mehr!“ zitierte ich von Doris‘ erster Maxi und man gab mir Recht. Wolfgang vertraute mir an, daß er bald 30 wird, aber außer, daß er mit den Schultern zuckte, wußte er nicht, was man davon halten soll. Grund genug sich um die alltäglichen Dinge zu kümmern. Jemand holte noch eine Runde Budweiser und er erzählte mir, wie Tabea Blumenschein im Zoo das Zwergflußpferd gestreichelt und den Schuhschnabel aus seiner arrogant/stoischen Ruhe aufgeschreckt hätte. Dann gab es noch einige Details zwischen Nikki und Wolfgang zu besprechen, die sich auf das Studio und die Aufnahmen bezogen. Sehr bedeutend war es nicht, wie sie sich unterhielten, aber ich wußte schießlich, daß es sich bei diesen beiden betont gewöhnlich gekleideten Menschen um die „mit Abstand intelligentesten Köpfe unter den genialen Dilletanten“ handelte, wie KONKRET bereits ’81 aufgrund der ersten 12-Inch treffend erkannte. „Der Schönheit Stimme aber redet leise und schleicht sich nur in aufgeweckte Gemüter“, hing als schlauer Spruch in dem Musiksaal meiner Schule an der Wand, Goethe oder einer von denen hat das irgendwann einmal formuliert. Aber mit dem aufgewecktsein war es bei mir nicht mehr allzuweit her, die Uhr zeigte bereits zwei. Zu erzählen hatte ich nichts, und Fragen fielen mir auch keine mehr ein, zumal ich sowieso keine Lust auf das Frage-Antwort-Spiel verspürte. Also ging ich heim, um sieben würde der Wecker klingeln, wegen der alleralltäglichsten Arbeit.
Ralf Schuster,
1987
Original Layout:
Framed Dimension D-Sign, 1988
Dieser Text stammt aus Heft No. 11 des 10.15 Megazine, vermutlich im Mai 1988 in Würzburg erschienen.
Anmerkungen von GZ:
Autor Ralf Schuster ist auch Musiker (Schlagzeug, Akkordeon u.v.m.) und Filmemacher (Super-8, Video, Kurzfilme und Cottbus-Krimis etc.), stammt aus Ochsenfurt und lebt seit etlichen Jahren in Cottbus.
Beim SPI-Trust handelte es sich um einen Zusammenschluß verschiedener Bands einiger Musiker aus Ochsenfurt wie Rassenhass oder Die Mesomere Grenzstruktur. Aus dieser Szene ging sowohl das mit dem Scharfrichterbeil prämierte Duo Schuster & Weber hervor als auch die Filmproduktion MultiPop. Als Zentralorgan fungierte das meist aus acht DIN A5-Seiten zusammenkopierte Student POGO INFO.
Das Casablanca in Ochsenfurt ist immernoch ein Programmkino mit angeschlossener Kneipe.
Bei der von Ralf Schuster beschriebenen Berliner Kneipe dürfte es sich um das Kumpelnest 3000 gehandelt haben.
Das Original gibt es hier als PDF:
Ralf_Schuster_Die_Tödliche_Doris_lebt