Posts Tagged ‘Otomo Yoshihide’

Kinder, Koks und Krach

April 11, 2011

Mein Unerhört! Musikfilmfestival 2011
(07. bis 10. April 2011, Hamburg, verschiedene Lichtspielstätten)

Gottseidank fand in diesem Jahr das Unerhört! Musikfilmfestival wieder statt, wenn auch in geschrumpfter Form. In Kooperation mit bzw. im Rahmen der Dokumentarfilmwoche Hamburg zeigte Unerhört! acht Filme, von denen ich immerhin fünf gesehen habe. Am Samstag gab es leider Überschneidungen, so dass ich mich gegen „Taqwacore – The Birth of Punk Islam“ und „Benda Bilili!“ entscheiden mußte. Letztgenannter Film erhielt dann auch den Preis für die beste Musikdokumentation 2011. Entschieden hat das eine aus Ruben Jonas Schnell, Holger True und Ale Dumbsky bestehende Jury. Ich habe wohl ein Talent dafür das beste (?) zu verpassen (auch den Film über Youssou N’Dour)…

Eröffnet wurde das Festival mit einem Film über die ehemalige unabhängige Plattenfirma Creation und ihren Mitbegründer Alan McGee, einem drogen-befeuerten Musikverrückten mit dem Gespür für besondere Musik. Creation veröffentlichte im November 1984 die erste Single von The Jesus And Mary Chain (daher der Filmtitel: „Upside Down – The Creation Records Story“) und später so interessante Bands wie My Bloody Valentine, Momus und Felt, aber auch Teenage Fanclub, Boo Radleys  oder Oasis und viele mehr. Die Zeitreise führte von Glasgow über London nach Manchester, von der Gründung bis zum Zusammenbruch und den Einstieg von Sony. Es kommen viele Musiker, aber auch ehemalige Angestellte und Journalisten zu Wort. Alles dicht mit Informationen gefüllt und schnell geschnitten. Schade, dass der Schotte McGee so schlecht zu verstehen ist, aber Regisseur Danny O’Connor und Produzent Mark Gardener (ex Ride), beide bei der Aufführung anwesend, waren sich dessen bewußt und versprachen für die Zukunft Untertitel.

Der Freitag war dem Funk und Soul gewidmet.

Zuerst wurde im B-Movie „Coming Back For More – Finding Sly Stone“ gezeigt. Hier wird einerseits die Geschichte von Sly Stone erzählt, der in den 80ern von der Bildfläche verschwand, und andererseits von holländischen Fans, die ihm nachstellen, erst scheitern, aber am Ende das erste gefilmte Interview mit Sly Stone seit  über 20 Jahren führen. Durch detektivische Geduldsarbeit und dem langsamen Aufbau von Kontakten mit Sly Stones Umfeld konnte man ihn am Ende wirklich finden. Unterstützt wurde der Regisseur Willem Alkema durch zwei Fans, Zwillinge, die ein Buch über Sly Stone in Arbeit haben und auch einen Einblick in dessen musikalischer Biographie geben. Eine teilweise recht amüsante Mischung aus gelebtem Fantum und Musikdokumentation.

Der Titel des zweiten Films am Freitagabend verrät bereits die ganze darin dargebotene Geschichte: „Coals to Newcastle: The New Mastersounds From Leeds to New Orleans“. Die New Mastersounds sind eine Instrumental-Funkband aus Leeds und tragen Eulen nach Athen indem sie nach New Orleans reisen und dort ihre Version amerikanischer Musik darbieten. Anfangs wird die Band vorgestellt, alles nette Typen und teilweise auch Väter, die versuchen Kinder und Musik unter einen Hut zu bringen. Statt die musikalischen Wurzeln in New Orleans herauszuarbeiten mutiert der Film am Ende zu einem Konzertfilm. Fans der Band waren begeistert. Schade nur, dass mir diese Art von Funk schon zu daddelig und muckermäßig ist und mir recht bald auf den Butterkeks ging.

Samstags reiste ich zuerst in den hohen Norden, später nach Japan.

In „Music From The Moon“ ging man zusammen mit dem Hypno Theatre auf Tournee nach Island und Grönland. Eine international zusammengewürfelte Truppe führt Kindern ihr Puppenmusiktheater vor. Dabei erfährt man einiges über die jeweiligen Kulturen, die sich nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Süd nach Nord (zumindest in Grönland) leicht unterscheiden. Man wird in private Wohnungen zu Einheimischen mitgenommen, aber auch zu Konzerten von unbekannten grönländischen und bekannteren isländischen Bands. Man trifft beispielsweise auf Emiliana Torrini und Benni Hemm Hemm. Schöne Landschaftsaufnahmen sind natürlich auch dabei.

Der interessanteste Film in diesem Jahr war für mich „We Don’t Care About Music Anyway“. In einer manchmal postapokalyptisch anmutenden Kulisse – Müllhalden, Schrottplätze, verfallene Häuser, Kellergewölbe – wird harshe experimentelle Musik dargeboten von Musikern bzw. Bands, die auf die Namen Sakamoto Hiromichi, Yamakawa Fuyuki, L?K?O, Numb, Saidrum, Takehisa Ken, Shimazaki Tomoko und Otomo Yoshihide hören (zumindesten letzteren könnte man als Turntableist, Gitarrist und Improvisator kennen). Deren Musik verschmilzt mit den Bildern und den dazugehörigen Umgebungsgeräuschen derart perfekt, dass es eine wahre Freude ist. Zumindest wenn man sich für japanische experimentelle, an Lärm grenzende Musik interessiert. Gitarren, Mischpulte, Sampler, Plattenspieler und auch ein gutbürgerliches Cello werden zweckentfremdet, manipuliert und mit Kontaktmikrophonen ausgestattet. Manchem Künstler genügt auch der eigene Herzschlag als pulsierende Klangquelle. Zwischendurch reden die beteiligten Künstler in einem abgedunkelten Raum über ihre Musik, Arbeitweise, Hintergründe, Umgebung. Oder geben einzeln kurze Statements ab. Und irgendwann bezweifelt einer der Musiker, dass diese Häuser hier in Zukunft, vielleicht in zehn Jahren, noch stehen könnten. Die Rede ist von Tokyo, Japan…

Hinweis: Unerhört! 2011

März 28, 2011

Unerhört! Musikfilmfestival Hamburg
7. bis 10. April 2011

Eigentlich war das 4. Unerhört! Musikfilmfestival für Dezember 2010 geplant und terminiert. Aber da es Probleme mit der Finanzierung gab, wurde dieses Festival auf unbestimmte Zeit verschoben. Nun kooperiert es offensichtlich mit der 8. Dokumentarfilmwoche Hamburg und hat dort acht Musikfilme untergebracht.

Am zweiten Tag der Dokumentarfilmwoche wird dann also das Unerhört! mit dem Film „Upside Down – The Creation Records Story“ eröffnet. Ein Film über dieses interessante englische Label, das seit 1983 Bands wie Felt, Jesus & Mary Chain und My Bloody Valentine, aber auch Primal Scream oder Oasis veröffentlicht hat.

Toll finde ich alleine schon den Titel des Films „We Don’t Care About Music Anyway“ über japanische Klangforschung. Neben mir unbekannten Namen taucht dort auch Otomo Yoshihide auf. Das dürfte also interessant werden.

Weitere Filme befassen sich mit Musikern und Bands wie Sly Stone, Youssou N’Dour und Staff Benda Bilili (aus Kinshasa). Oder mit der Entstehung der muslimischen Punk-Szene.

Heiß und funky wird es wohl bei „Coals to Newcastle“ zugehen, während bei „Music From The Moon“ eher eine Reise durch kühle nordische (Musik-) Landschaften zu erwarten ist.

Die Leute von der Dokumentarfilmwoche haben übrigens noch zwei  weitere Musikfilme im Programm: einen über Die Sterne und einen über den Auftritt von Jimi Hendrix auf Fehmarn.

So schaut der Programmplan vom Unerhört! 2011 aus:

Donnerstag, 07.04.2011,  21:15 Uhr, Metropolis
Upside Down – The Creation Records Story *

Freitag, 08.04.2011, 19:30 Uhr, B-Movie
Coming Back For More – Finding Sly Stone *

Freitag, 08.04.2011, 21:30 Uhr, B-Movie
Coals to Newcastle: The New Mastersounds From Leeds to New Orleans *

Samstag, 09.04.2011, 20:30 Uhr, Lichtmess
Music From The Moon *

Samstag, 09.04.2011, 21:00 Uhr, Metropolis
Benda Bilili!

Samstag, 09.04.2011, 22:30 Uhr, B-Movie
Taqwacore – The Birth of Punk Islam

Samstag, 09.04.2011, 23:00 Uhr, 3001
We Don’t Care About Music Anyway *

Sonntag, 10.04.2011, 21:30 Uhr, 3001
Youssou N’Dour: Rückkehr nach Gorée

Programmdetails siehe hier:
www.unerhoert-filmfest.de
www.dokfilmwoche.com

* wir sehen uns dann voraussichtlich bei diesen mit dem Stern der guten Hoffnung gekennzeichneten Filmen.

 

Über: Manafon / Amplified Gesture

Januar 18, 2010

Manafon

David Sylvian: Manafon / Amplified Gesture
(CD + DVD, Samadhisound, 2009)

In den letzten Jahren hatte ich David  Sylvian etwas aus den Augen verloren. Als ich vor Erscheinen seines aktuellen Album hörte, dass er nun mit vielen bad alchemistisch einschlägig bekannten Improvisateuren zusammenarbeitet, spitze ich die Ohren – und wunderte mich etwas darob. Was man allerdings gar nicht tun muss, wenn man weiß, dass Sylvian vor ein paar Jahren für „Blemish“ mit Derek Bailey kollaborierte. Auch schon kurz nach seiner Zeit bei der New Wave Band Japan waren auf den Platten von David Sylvian immer wieder interessante Gäste zu hören, beispielsweise Holger Czukay oder Jon Hassell. Auf „Manafon“ sind nun Musiker vertreten, die man u.a. von Ensembles wie AMM und Polwechsel kennt oder aus sich ständig wechselnden musikalischen Partnerschaften. Obwohl ich Name-dropping nicht mag, sollten diese erwähnt werden. Mit von der Partie sind Tetuzi Akiyama, Werner Dafeldecker, Christian Fennesz, Franz Hautzinger, Sachiko M, Marcio Mattos, Michael Moser, Toshimaru Nakamura, Evan Parker, Keith Rowe, Joel Ryan, Burkhard Stangl, John Tilbury und Otomo Yoshihide.
Für seine aktuellen Platte wurden Sessions dieser Impro-Musiker aufgezeichnet und anschließend von David Sylvian – mit Hilfe von Fennesz – bearbeitet, neu zusammengesetzt und editiert. Da knistert, fiept, bruzzelt und schmurgelt es, dass es eine wahre Freude ist. Ruhig, reduktionistisch. Echte Zuhörmusik. Über allem schwebt David Sylvian, der sich mit seiner rezitierenden Stimme – und auch mit Gitarre und Elektronik – nicht in die Riege der Improvisateure einreiht und somit ein bisschen die Sicht auf deren leise Töne versperrt. Seine Stimme drückt „Manafon“ sein Markenzeichen auf und macht dieses Album so zu einem typischen David Sylvian-Werk.

rowe

Parallel zu „Manafon“ entstand auch ein Film, der wohl als Making-of geplant war, aber am Ende zu einer „Introduction to free improvisation: practitioners and their philosphy“ wurde. „Amplified Gesture“ nennt sich dieser Dokumentarfilm von Phil Hopkins in schöner schwarz/weiss-Ästhetik. In sieben Kapiteln erzählen Musiker, die auch auf „Manafon“ zu hören sind (Dafeldecker, Fennesz, Sachiko M, Moser, Nakamura, Parker, Rowe,Tilbury, Yoshihide), aber auch John Butcher und Eddie Prévost davon, wie sie zur Musik und zur freien Improvisation kamen, über ihr Verhältnis zu ihren Instrumenten, der Interaktion mit ihren Mitmusikern, dem Publikum und der Architektur sowie ihren immerwährenden Antrieb zu improvisieren. Die Interviews führte Nick Luscombe. Ein Kapitel ist den Pionieren AMM gewidmet, die Mitte der 1960er Jahre mit ihren Gruppenimprovisationen anfingen. Damals wurde die Gitarre flach auf den Tisch gelegt, präpariert und malträtiert. Jahrzehnte später reduzierten andere Musiker ihr Mischpult zum no-input-mixing-desk (Nakamura) oder ihren Sampler zum Sinuswellengenerator (Sachiko M) um neue Möglichkeiten zu erforschen. Und gerade die alte Garde wundert und freut sich, dass improvisierte Musik von so vielen jungen Musikern betrieben wird, dass man garnicht mehr hinterher kommt, die neuen Talente unter die Lupe zu nehmen.
Der ca. einstündige Film „Amplified Gesture“ wurde zusammen mit der Surround Sound Version des Albums (wer braucht denn sowas?) auf DVD veröffentlicht – allerdings nur als Bestandteil der bereits ausverkauften „Manafon“-Deluxe Edition, die aus zwei schön gestaltete, dünnen Büchern im Schuber besteht. Der „Amplified Gesture“-Band enthält neben einem kurzen Vorwort des The Wire-Autors Clive Bell auch kleine Portraits – in Wort und Bild –  der im Film zu Wort kommenden Musiker.
Also die Augen offen halten – vielleicht wird dieser Film ja mal irgendwann irgendwo öffentlich aufgeführt!

(geschrieben im November 2009 für Bad Alchemy 65)