Posts Tagged ‘Punk’

Double A

März 1, 2015

Traglotyd001

Rocket/Freudental vs. Cockbirds – Ich bau Scheiße / Suche Kontakt
(Split-7″, Troglodyt Schallplatten, TRG#001, 2015)

Kaum treffen zwei Musikfreunde zusammen entsteht ein neues Label. Zumindest ist es in diesem Fall so: Auf Troglodyt Schallplatten veröffentlichen die DJs, Künstler und Höhlenmenschen Sackzement & Ole Verstand nichts anderes als Lieblingslieder. Und zwar auf Single-Schallplatten. Jeder darf eine Seite auswählen. Und dann ab ins Presswerk, das die Songs teilweise in schwarzes und teilweise in zufallsfarbiges Vinyl presst. Das erste mal auf 7″. Und garantiert ohne Download Code.

Für die erste Single wurden zwei Indie-Punk-Rock-Oderso-Bands ausgewählt.

„Ich bau Scheiße“ (2004 auf „Die Weisheit wächst auf Bäumen“ bei Pavlek Records erschienen) von Rocket/Freudental erinnert mich irgendwie an S.Y.P.H., vielleicht wegen der Art des vokalen Vortrages, knallt aber ziemlich rauh. Eine glampunkrockige Versager-Hymne.

Auf der anderen A-Seite dann: „Suche Kontakt“ von den Cockbirds (2006 auf dem Album „Superdanke“ bei Staatsakt veröffentlicht) kommt erst als eine Kontaktanzeige vertonender Punk Song daher, die Streicherklänge machen die Tür auf zur Disco und zwischendurch kommt noch Electro mit ins Spiel. Punk Rock, Disco Punk und Electro Punk in einem. Hammer!

Bemerkenswert ist auch das Druckbild auf der Hülle. Das computergenerierte Linienmuster, das auch die Etiketten dieser kleinen Schallplatte wiedergeben, wurde als Linolschnitt, einem Hochdruckverfahren, vom Künstler selbst gedruckt. Also weder in dem für Kleinauflagen so beliebten Siebdruck-Verfahren noch im industriellen Offsetdruck. Mit dem Erwerb dieser 7″ bekommt man nicht nur zwei super Songs, sondern auch ein kleines Kunstwerk geliefert.

Während ich mich noch über die erste Troglotyd-Single freue, ist die zweite schon in Sicht. Dort teilen sich Doc Schoko und Schnuffel Das Total Süsse Eichhörnchen (Was Für Ein Bandname!) eine Scheibe. Die Release-Party findet am 24.04.2015 im Ballhaus Berlin statt – dann wenn dort Doc Schoko vor Attwenger spielt.

GZ,
01.03.2015

Guter Abzug (Werbung)

Juni 16, 2014

GuterAbzug

Eine kleine Anzeige (im Format 73 x 50 mm) in der westdeutschen Musikzeitschrift „Spex – Musik zur Zeit“, Nr. 12, Dezember 1984, auf Seite 43, für  den guten Abzug.

Festival der guten Taten

Februar 28, 2014

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Various – Festival der guten Taten 3
(Cassetten-Fanzine, C60, Hamburg, 1983)

Redaktion: Kai G. und Tim R.

Hinter der Abkürzung Tim R. versteckte sich damals ein gewisser Tim Renner  – nun zukünftiger Berliner Kulturstaatssekretär (wohl ab Ende April 2014).

Kino aus der Kassette

Februar 28, 2014

Kino aus der Kassette 3

Various – Kino aus der Kassette 3
(Cassettenmagazin, C50, Bonn, 1983)

Doris 2013

Dezember 13, 2013

stopp

Das Jahr 2013 war ein gutes Jahr für Doris. Das Jahr 2013 war durchaus ein gutes Jahr für die längst tote Die Tödliche Doris. Das Jahr 2013 war ein wirklich gutes Jahr für die Künstlergruppe Die Tödliche Doris (1980 bis 1987).

Anfang des Jahres erschien das kleine, aber dicke Buch „Subkultur Westberlin 1979 – 1989„, in dem Doris omnipräsent und mit dem Urheber Wolfgang Müller (ex Die Tödliche Doris und auch irgendwie Nachlassverwalthervongoethe dieser Band) gerne auf Lesereise ist – vor ein paar Wochen gastierte er damit beispielsweise in der Staatsgalerie Prenzlauer Berg zu Berlin.

Posthum erschien mit der Maxi-Single „Stopp (Der Information) (Vollendet von Namosh 2012)“ (Squoodge Records, SR 17.102), auch noch ein fulminanter Elektro-Hit, wie ihn Doris damals nie alleine hingekriegt hätte.

Im Text der erwähnten Vollendung heißt es: „Im Indie-Plattenladen steht ein Mädchen rum / sie ist perfekt gekleidet und sie ist nicht dumm / ihr Name ist Christine, ich find sie supertoll / sie kauft sich diese Platte…“ – vielleicht eine Liebeserklärung an Christine Sun Kim, mit der Elfenforscher Wolfgang Müller anno 2013 die gehörlose Konzeptkunstdoppelsingle „Ranging From Panning To Fanning“ (Squoodge Records, SR 17.99) veröffentlicht hat?

Auch das noch: Das Berliner Musikliebhaberlabel Mauerstadtmusik veröffentlich mit „Losspielen“ (MM 011, K’01) in Zeiten der digitalen Cloud eine analoge Cassette mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen der guten alten Dame Doris. Limited Edition versus internetter Allzeitverfügbarkeit.

Und dann bedankt sich Elke Käthe Kruse (ex Die Tödliche Doris) auf ihre Weise in der Zwinger Galerie für ihre Zeit mit Doris oder so (ich selbst habe diese Ausstellung noch nicht gesehen) – noch zu besichtigen bis 18. Januar 2014 in Berlin-Schöneberg.

In der Tat ganz schön viel Action für eine längst zu Grabe getragenen Pöst Pünk Bänd Künstlergrüppe.

GZ,
13.12.13

This is not a love song

Juli 28, 2012

Abbey Road, London, 2003

Das versteh ich nicht. Da fährt Großbritannien (klingt ungefähr so wie Großbeeren) bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2012 seine gesamte Pophistorie auf, von Kinks über Beatles bis hin zu wasweissichauchimmer und sogar die Sex Pistols und The Clash sind mit von der Partie. Und die Köngin guckt zu.

Da ich mich für Sport und Großveranstaltungen nicht interessiere, konnte ich die gestrige Eröffnungsfeier sehr gut ignorieren. Aber aus dritter Hand (Twitter und so) bekommt man dann doch mehr als nötig mit. Da wurde also auch was von den Sex Pistols  gespielt. Trotzdem herrscht im sogenannten Vereinigte Königreich immernoch keine Anarchie. Tja, 1977 ist nun auch schon  wieder 35 Jahre her. Und das Lied „London Calling“ von The Clash, am 14. Dezember 1979 auf deren gleichnamigen Doppel-LP auf dem ach so unabhängigen Label CBS erschienen, fungiert als so etwas wie die Hymne der Londoner Olympiade 2012. Zumindest lief dieser Song vorhin auch wieder im Deutschlandfunk als ich aus Versehen die Sportberichterstattung anhörte.

Schon seltsam, da singt einer von Krieg und Eiszeit und Todeszombies und Nuklearkatastrophe. Kalter Krieg und Endzeitstimmung pur. Und das wird dann als Titelmelodie für die Olympiade 2012 mißbraucht!?! Klar, klasse Song, super Gitarrenriff uns so. Allgemeingut sowieso. Da haben sich irgendwelche Rechteinhaber bestimmt ins Fäustchen gelacht und womöglich halten sie das auch noch für subversiv. Ich find‘s ekelerregend.

Letzten Endes geht es doch nur um die Kohle. Olympia hat nichts mit Sport zu tun – sondern mit big business, commerciality etc. Aber das ist ja eh klar. Und The Clash hatten sich in den 1990er Jahren ja auch schon an einen Jeans-Hersteller verkauft. Nix neues also. Trotzdem befremdlich.

GZ,
28.07.2012

Vier Männer und ein Pokerspiel

April 17, 2012

DREIDIMENSIONAL – Vier Männer und ein Pokerspiel
(C45, Schuldige Scheitel Tapes, sch-sch 003, 1983)

Ein neues Jahr, ein neues Tape von DREIDIMENSIONAL (das zweite). Zur Cassette gibts ein nettes Beiheft mit Comic und sonstigem, beides auf ein besprühtes Pappstück aufgeklebt; nett gemacht.

DREIDIMENSIONAL sind vier junge Jungs aus Berlin. Ihr erstes Tape    („Der kulturbefördernde Füll“) klang noch ziemlich dilettantisch, „Vier Männer und ein Pokerspiel“ ist nicht mehr so kaputt/chaotisch; ist direkt schon fast perfekt und schön geraten. 12 Songs gibts da, davon konnte man „Fleißig sein“ und „Nur besoffen“ schon auf dem 2. und 3. Irresampler hören.

Am Anfang ihrer neuen Cassette wird man gleich mit einem kurzem, funkigem Stück verwöhnt, das in synthetischem Geblubber sein Ende findet. Aber später gibts dann auch noch einen punkigen Song, mit 95 Sekunden der kürzeste. Im allgemeinen ist DREIDIMENSIONALs Musik eigentlich ’schön‘ ausgefallen. Vor allem, wenn die Woolworthorgel ertönt. Und überhaupt. Bei „Auf dem Weg nach Landshut“ gefällt mir die Gitarre so gut. Das schönste und längste Lied ist das letzte; da paßt irgendwie alles zusammen. Orgel/Bass/Gitarre/Gesang. wow! Auch genial gelungen ist ihre Version von „My bonnie is over the ocean“, dem sie den nötigen Schwung zum Stimmungshit verschaffen.

Kaputt und dilettantisch ist DREIDIMENSIONAL echt nicht mehr. Ich hoff nur, daß sie in Zukunft dann nicht total und zu schön werden; das kann nämlich gefährlich werden. Schön ist nur, wenns nicht zu schön wird. Und das schafft DREIDIMENSIONAL ziemlich gut. Also mir gefällt dieses Tape absolut gut (kaufen!!).

Zu haben bei Schuldige Scheitel Tapes / Mirkotz Krüger, Adresse auf Seite 19!

dom

Dieser Text stammt ebenfalls aus dem 3. Heft des Würzburger Fanzines Oi Oi Oi! (später 10.15 bzw. 10.16 Megazine), erschienen am 28. Februar 1984. Urheber: Guido Zimmermann

 

Die Tödliche Doris lebt!

März 14, 2012

Die Tödliche Doris als Puppen – aus Lichtschwindel, Ralf Schuster 1985

Wir erinnern uns: Noch 1985 wurde in Ochsenfurts Kulturszene rund um den Spi-Trust dem „Tötliche Doris-Kult“ mit größter Begeisterung gefrönt. Kaum eine Ausgabe von Student POGO INFO erschien, in der nicht irgendwelche Anspielungen, Zitate, News oder Erläufterungen zu/über/von Doris versteckt waren. Ralf und Robert (inzwischen als Weber & Schuster besser bekannt) fuhren nach Zagreb um Doris zu besuchen und drehten „Lichtschwindel“. Ein Film der viele Fragen offen läßt: Warum konnten die beiden die Kamera nicht ruhig halten? Hatten sie kein Stativ? Besteht Kunst wirklich darin unverständlich/metapysisch daher zu plaudern?

Antworten auf derlei Fragen gibt die Existenz/Das Vorbild der „Tötlichen Doris“. R. Schuster fühlte sich damals stets von Doris beeinflußt, fast schien es ihm, als sei eine geistige Symbiose zwischen ihm und der Berliner Dilletantenband entstanden, als hätte sich durch das Medium ihrer Schallplatten, Texte, Bilder etc… eine persönliche Übereinstimmung ergeben. Wenn Doris sang: „Heizkörper, Lüftungsgitter, Türklinke“ (Aus: „Der Tod ist ein Skandal“), dann glaubte R. Schuster in diesen drei Worten, die einzig wahre Metapher für das Leben auf diese Welt zu erkennen! Warum? Weil er und Doris sie für sich allein zu haben schienen. Die Freude am Intimen! Doris‘ Texte und Musik sind so ausgefuchst und hintergründig, daß man 99,9 % der Bevölkerung nur ein Schmunzeln des Unverstandes abringen kann, und wie schön ist es doch, zu dem privilegierten 0,1 % zu gehören. Doch genug der Vorrede!

Trotz aller damaligen Bemühungen traf R. Schuster nie auf sein verehrtes und ständig gepriesenes Vorbild, bis er den Entschluß faßte, alt genug zu sein, um selbst Vorbild zu werden. Dabei lief ihm Doris rein zufällig über den Weg.

Ich hielt mich bereits seit über drei Wochen in Berlin auf, wegen eines sehr profanen Anlasses: Ich mußte ein Praktikum für die Uni absitzen, aber das natürlich nur tagsüber, abends konnte ich versuchen, das zu finden, was Berlin zur Metropole macht. Bekannt ist über die Grenzen Berlins hinaus, daß der Abend frühestens um elf beginnt, und deshalb saß ich an fraglichem Tag total angelascht daheim und wäre am liebsten ins Casablanca Ochsenfurt gegangen, aber da ich mich in 1000 Berlin 30 befand, war mir dies verwehrt und es galt zu warten bis man sich als versierter Szenekenner auf die Straße trauen darf. Schließlich latschte ich los, Richtung Disco. Das ist zwar nichts besonderes, fast peinlich, aber man ist ja im fortpflanzungsfähigen Alter und die Berliner Frauen schneiden im Vergleich mit Ochsenfurt in Vielfalt und Anzahl sehr gut ab. Durch einige langweilige Irrungen und Wirrungen (wegen Ortsunkundigkeit), landete ich aber anstatt in der Disco im LOFT, wo die MEAT PUPPETS gerade kurz vor der Zugabe angelangt waren. Obwohl ich eine excellente Mini-LP der MEAT PUPPETS daheim hatte (harter Punk abseits der leidigen Hardcore-Klischees) erkannte ich sie nicht, dachte es handle sich um irgendwelche Berliner-High-Speed-Heavy-Metal-Freaks und blieb nur, weil es nichts kostete und genügend interessante Frauen im Publikum verteilt standen. Außerdem lehnte Nikolaus Utermöhlen, seines Zeichens Tödliche-Doris-Multiinstrumentalist am Bühnenrand, aber fiel mir nicht sofort auf und ich war mir natürlich auch nicht sicher, ob er es wirklich sei, schließlich kannte ich ihn nur von Fotos und sein Gesicht ist das fränkische Allerweltsgesicht schlechthin, Chameritz (Aufenthaltsort unbekannt), Edwins Onkel (Gaukönigshofen) und Holger (Michelfeld) sehen ihm sehr ähnlich. Wolfgang Müller meinte später sogar, ich würde ebenfalls so aussehen, aber das mußte ich von mir weisen. Ich hatte sowieso genug damit zu schaffen, daß mir Nikki in seinen Umgangsformen vertraut, eigentlich ähnlich war. Auf meine schlichte Frage, ob er zur tödlichen Doris gehöre, antwortete er mit ebenso schlichtem ja, und gestand, daß ihm mein Film und mein Name geläufig waren. Dann hatten wir uns nichts essentielles mehr zu sagen. Beiderseitige Versuche ein Gespräch in Gang zu bekommen, versiegten immer wieder nach ein- oder zweimaligem Frage-Antwort-Zyklus. Aber mir schien, als erübrige sich jede Frage, denn ich hatte mich ausführlich genug mit den künstlerischen Äußerungen der tödlichen Doris auseinandergesetzt, um glauben zu können, die Personen, die dahintersteckten zu einem gewissen Grad zu kennen. Die Teile im Mosaik, die noch fehlten, waren die Art sich zu kleiden, die Art zu reden, mit Leuten umzugehen, nicht aber, was konkret gesagt wurde, und es passte alles haarscharf in das Bild, das ich mir gemacht hatte, übertraf es sogar noch, als Nikki, kaum hatten wir uns auf den Weg in eine Kneipe gemacht, einfiel, daß er mit dem Fahrrad ins Loft gefahren sei, und ein pofeliges, rostiges Dreigangfahrrad herbeischleppte. Mir als Auto-Hasser bereitete das größte Genugtuung, zumal Berlin sowieso in Autos erstickt. Auto zu fahren ist eine einzige Qual, trotzdem sieht man erschreckend wenig Fahrradfahrer. Liegt vielleicht daran, daß die schönen Szeneklamotten darunter leiden könnten oder die elementarste Aufgabe von Kleidungsstücken, den Körper vor Kälte zu schützen, nicht ausreichend erfüllen. Bei uns auf dem Land höre ich ständig, man bräuchte ein Auto, weil die Dörfer so weit auseinander liegen, aber in der Großstadt scheint es andere Ausreden zu geben, die den Gebrauch des Autos rechtfertigen. Nikki führte mich in eine Kneipe nahe der Potsdamer Straße (Nutten ahoi!), in der alle von der tödlichen Doris zwecks Broterwerb [arbeiten. Es handelt sich] um einen ehemaligen Puff mit genialkitschigem Inventar wie Pornobilder in Barockrahmen, Kronleuchter mit Funkelglühbirnen und angenehmen Künstler-Publikum, z.B. Wolfgang Müller, Dilletanten-Mastermind und Doris-Sänger/Texter. Er erkannte mich fast von allein und begann sofort zu erzählen (mit der unverwechselbar üblen Stimme, die man von den Platten her gewohnt ist) und steckte dabei seinen Kopf meistens so nach vorne, daß ich dachte, er wolle die Pickel auf meiner Nase genauer anschauen. Tabea hätte eigentlich auch an dem Abend kommen wollen, meinte er, aber es sei ihr nicht gut. Schade, sie und Käthe hätten gerade noch gefehlt, aber man kann nicht alles haben. Im Lauf des Abends erfuhr ich auch so eine ganze Menge; Die Aufnahmen für die neue Platte sollten wenige Tage später beginnen, diesmal nur mit synthetischen Instrumenten „…. wird echt unpersönlich. Die haben da sogar diese sechseckigen Trommeln…“. Diese sechseckigen Dinger (genannt Simmons-Drums, danach verzehren sich alle provinziellen Pseudoprofis) könnte man, schlug Wolfgang vor, aus Pappdeckel nachbauen und auf der Bühne als Performance kaputt machen. Obwohl nur als spontane Idee formuliert, zeigt sich Doris‘ typische Anmache: Die Attacke auf den gutbürgerlichen, guten Geschmack. Die Hifi-HighTech-Kultur ist gerade recht um sie lächerlich zu machen. Zu Jahresende wird sich die tödliche Doris auflösen. Natürlich nur zum Schein, denn „wir sind immer noch die besten Freunde!“. Die Auflösung soll, soweit ich es verstand, nur dem Zweck dienen, das Konzept noch mehr zu erweitern, weg vom Bandimage, stärkeres Engagement auf anderen Gebieten. Dabei aktivierte Doris schon immer Grenzbereiche, musikfremde Darstellungsformen.

Tabea Blumenschein, Wolfgang Müller, Nikolaus Utermöhlen und Käthe Kruse (Autogrammkarte, 1983)

Projektnamen wie Fotodokumentararchiv, Naturkatastrophenballet, die tödliche Doris als Kontaktvermittlung lassen erahnen, wie vielfältig ihr Repertoire an Ausdrucksformen ist. Aber nicht nur vielfältig, vor allem schräg und unverdaulich war sie zu allen Zeiten. In einem Super-8-Dokumentarfilm über das SO 36 sah ich einem ihrer frühen Auftritte: Als Geräuscherzeuger stand ein pfeifender Teekessel auf einer Heizplatte und beides auf der Bühne. Nikki lockte dazu der Gitarre irgendwelche abscheuerregenden Töne und Wolfgang schrie hysterisch: „Kavaliere, Kavaliere, reiten die Welt in den Abgrund“. Eine leere Bierbüchse traf ihn dabei direkt an der Stirn. Ein Bild für die Götter. Inzwischen geht es auf Doris‘ Auftritten sicherlich nicht mehr so punkig/anarchistisch zu. Doris ist ein etabliertes Kunstphänomen für die intellektuelle Schickeria der ganzen Welt. Sie spielte im „Museum for Modern Art“ in Amerika, in Japan ist die letzte LP in den Charts und demnächst steht Moskau auf dem Tourprogramm. Aber angeblich ist das auch nicht immer aufregend.  „Es gibt nichts neues mehr!“ zitierte ich von Doris‘ erster Maxi und man gab mir Recht. Wolfgang vertraute mir an, daß er bald 30 wird, aber außer, daß er mit den Schultern zuckte, wußte er nicht, was man davon halten soll. Grund genug sich um die alltäglichen Dinge zu kümmern. Jemand holte noch eine Runde Budweiser und er erzählte mir, wie Tabea Blumenschein im Zoo das Zwergflußpferd gestreichelt und den Schuhschnabel aus seiner arrogant/stoischen Ruhe aufgeschreckt hätte. Dann gab es noch einige Details zwischen Nikki und Wolfgang zu besprechen, die sich auf das Studio und die Aufnahmen bezogen. Sehr bedeutend war es nicht, wie sie sich unterhielten, aber ich wußte schießlich, daß es sich bei diesen beiden betont gewöhnlich gekleideten Menschen um die „mit Abstand intelligentesten Köpfe unter den genialen Dilletanten“ handelte, wie KONKRET bereits ’81 aufgrund der ersten 12-Inch treffend erkannte. „Der Schönheit Stimme aber redet leise und schleicht sich nur in aufgeweckte Gemüter“, hing als schlauer Spruch in dem Musiksaal meiner Schule an der Wand, Goethe oder einer von denen hat das irgendwann einmal formuliert. Aber mit dem aufgewecktsein war es bei mir nicht mehr allzuweit her, die Uhr zeigte bereits zwei. Zu erzählen hatte ich nichts, und Fragen fielen mir auch keine mehr ein, zumal ich sowieso keine Lust auf das Frage-Antwort-Spiel verspürte. Also ging ich heim, um sieben würde der Wecker klingeln, wegen der alleralltäglichsten Arbeit.

Ralf Schuster,
1987

Original Layout:
Framed Dimension D-Sign, 1988

Dieser Text stammt aus Heft No. 11 des 10.15 Megazine, vermutlich im Mai 1988 in Würzburg erschienen.

Anmerkungen von GZ:

Autor Ralf Schuster ist auch Musiker (Schlagzeug, Akkordeon u.v.m.) und Filmemacher (Super-8, Video, Kurzfilme und Cottbus-Krimis etc.), stammt aus Ochsenfurt und lebt seit etlichen Jahren in Cottbus.

Beim SPI-Trust handelte es sich um einen Zusammenschluß verschiedener Bands einiger Musiker aus Ochsenfurt wie Rassenhass oder Die Mesomere Grenzstruktur. Aus dieser Szene ging sowohl das mit dem Scharfrichterbeil prämierte Duo Schuster & Weber hervor als auch die Filmproduktion MultiPop. Als Zentralorgan fungierte das meist aus acht DIN A5-Seiten zusammenkopierte Student POGO INFO.

Das Casablanca in Ochsenfurt ist immernoch ein Programmkino mit angeschlossener Kneipe.

Bei der von Ralf Schuster beschriebenen Berliner Kneipe dürfte es sich um das Kumpelnest 3000 gehandelt haben.

Das Original gibt es hier als PDF:
Ralf_Schuster_Die_Tödliche_Doris_lebt

Die Tödliche Doris, Köln-Ehrenfeld 1986

März 13, 2012

DIE TÖDLICHE DORIS
Ehrenfeld, NARANJA

Wolfram Kühne

20 qm reichten aus, um das Kölner Begehren nach einer tödlichen Doris auszufüllen. Nach einer Nachmittagsvorstellung begann die Truppe ihren zweiten Auftritt um 21.30 Uhr.
Die drei Akteure beschränkten sich auf reinen Gesang und kostümische Darbietung, die mit einem musikalisch Playback untermalt wurde. Die einzige Ausnahme bildete eine karge, kindlich gespielte Gitarre. Die Darbietung von Gesang, Bewegung und Verkleidung wurde mit gleicher Ernsthaftigkeit präsentiert. Diese drei Elemente waren weder extrem kraftvoll noch an die Realität gebunden.
Während des gesamten Konzertes liefen Filme, vor deren Hintergrund die Drei agierten. Überdimensionale Hüte, weiße Tücher von Reinheit, Baströckchen, Herrenslips für die Dame, Nacktheit für die beiden Herren, mit den Händen verbundene Gesichter. Freier Tanz zur Musik, Wortfetzen als Sprachgesang. Eine Improvisation war es nicht.

Nikolaus Utermöhlen

DIE TÖDLICHE DORIS
NARANJA, Köln-Ehrenfeld

Gisela Lobisch

Gerade zurück von einer Tournee mit dem Goethe-Institut, traten die „Tödliche Doris“ zum ersten Mal in Köln auf. Die beiden Berliner Besitzerinnen des Narinja, seit etwa 10 Monaten in Köln, hatten die Gruppe aus Berlin für einen Auftritt in ihrer Galerie gewinnen können. Zwischen dem Nachmittagskonzert und dem Abendkonzert sprachen wir mit „Tödliche Doris“.

METRO-NOM: Tödliche Doris, ihr seid Käthe Kruse, Wolfgang Müller und Nikolaus Vermählen [eigentlich Utermöhlen – GZ]. Könnt Ihr etwas über euch erzählen, eure Art von Musik, eure Performance, euer Hauptaktionsfeld.
WOLFGANG: Nun, die Gruppe gibt’s seit 1980, und wir haben verschiedene Platten gemacht.
METRO-NOM: Wieviel Platten habt ihr bis jetzt gemacht?
WOLFGANG: Ich glaube das war jetzt die 4. LP, die wir kürzlich gemacht haben.
METRO-NOM: Wo ordnet ihr euch musikmäßig ein?
WOLFGANG: Ach, das machen wir gar nicht. Die Frage der Einordnung berührt uns nicht. Es gibt verschiedene Menschen, und die ordnen das ein, für uns ist das eigentlich keine Frage. Wir möchten nicht etwas machen, damit man uns einordnet.
METR-NOM: Wie ist eigentlich der Verkauf von euren Platten?
WOLFGANG: Ach, ganz gut würde ich sagen, von den ganzen Independent Sachen, die so 1980 entstanden sind, gibt’s kaum noch welche auf dem Markt. Wir haben nie auf einen größeren Verkauf spekuliert. Ist ja auch schlecht mit der Musik. Es ist verschieden, von dem einen Objekt hamwa nur 1.000 Stück gemacht, und die waren in 2 Monaten alle weg. Die gingen auch in’s Ausland. Andere Platten sind nicht limitiert. Die ersten Platten werden immer noch kontinuierlich weiterverkauft. Es ist verschieden.
METRO-NOM: Irgend jemand hat euch als „geniale Dilettanten“ bezeichnet.
WOLFGANG: Ich habe mal ein Buch geschrieben mit diesem Titel. Es ist im Merve-Verlag erschienen.
METRO-NOM: Ja, ich habe versucht es im Buchhandel zu bekommen. Aber leider war es vergriffen, und man denkt auch nicht an einen Nachdruck. U.a. stand auch was drin über Blixa Bargeld.
WOLFGANG: Das Buch bezog sich auf ein Festival, das 1983 in Berlin stattgefunden hatte. Die Bezeichnung „geniale Dilettanten“ war die Möglichkeit, uns zu unterscheiden von dem, was damals alles mit „Neue Deutsche Welle“ abgehandelt wurde. Der Begriff löst sich ja auch selbst auf. Deswegen ist er auch gar nicht so dogmatisch und ideologisch wie er sich anhört.
METRO-NOM: Ihr habt vor einiger Zeit eure Performance auf einer „Kaffeefahrt“ nach Helgoland gemacht?
WOLFGANG: Ja, vor 2 Jahren.
METRO-NOM: Wie lief das denn ab, was kamen da für Leute?
WOLFGANG: Wir haben das aufgezogen wie die üblichen Kaffeefahrten, die immer so angeboten werden. Da gibt’s ja auch Tagesfahrten in den Westerwald oder in verschiedene Städte. Wir haben Karten verkauft,
und es sind 25 Leute mitgefahren.
METRO-NOM: Was sind eure Pläne für die nächsten Monate?
WOLFGANG:Wir bereiten ein Buch vor.
METRO-NOM: Worüber?
WOLFGANG: Ist schwer zu sagen. Ja, ein ziemlicher Info-Crack das Buch, es wird mehrere 100 Seiten haben.
METRO-NOM: Kannst du das etwas näher erklären? Was wird drin stehen?
WOLFGANG: Ooch, eigentlich alles. Das Buch ist ein Objekt.
METRO-NOM: Mmh?
WOLFGANG: Ja, dann waren wir jetzt in Japan.
METRO-NOM: Wie kommen eigentlich solche Kontakte in’s Ausland zustande? Wenn ich an eine Plattenauflage von 2.000 Stück denke …
WOLFGANG: Das greift ganz bestimmte Ecken, und ich glaube nicht, daß es eine Frage der Auflage ist. Wir reagieren ja z.B. auch nur auf Anfragen. Wenn wir gefragt werden, dann überlegen wir, ob wir wollen oder nicht wollen. Wir lassen das einfach fließen, was gerade so kommt, das nehmen wir vielleicht. Wir haben also keine Kontakte nach Japan oder Amerika aufgebaut.
METRO-NOM: Ihr hab vorher noch nie in Köln gespielt, wie kommt’s?
WOLFGANG: Wir haben noch nie eine Anfrage bekommen. Das mag auch daran liegen, daß viele Gruppen den Veranstaltern Angebote machen, das machen wir eigentlich nie. Wenn sich jemand meldet, dann sagen wir nicht gleich ja, aber wir entscheiden uns. Dann kommen wir auch in ganz komische Ecken. In Darmstadt haben wir z.B. in einen Buchladen gespielt.
NIKOLAUS: Finde ich auch besser, weil die Leute die an uns herantreten, sich dafür begeistern und sich speziell dafür einsetzen, und dann ist es auch interessanter für dich selber.
WOLFGANG: Das finde ich auch angenehmer, es ist nicht so inszeniert, und dadurch merken wir auch, aus welcher Ecke die Angebote kommen. Wir haben schon Briefe von Leuten bekommen, die sich beschwert haben, daß wir noch nie in Ruhrgebiet gespielt haben. In England hatten wir mal einen großen Artikel in einer Zeitung, eine Doppelseite aber noch nie ein Konzert.
METRO-NOM: Legt ihr Wert darauf, vor einem bestimmten Publikum zu spielen, oder ist euch das egal?
WOLFGANG: Also, egal ist uns das nicht. Im Grunde ist es schon gut, wenn sich das mischt. Es kann auch nicht anders sein.
METRO-NOM: Die Karten für das Laurie Anderson Konzert kosteten 40 – 60 Mark und das Publikum war geprägt durch die, die sich das leisten konnten.
WOLFGANG: Ja, ich fände gut, wenn man das ausschließen könnte …. nein, ich meine, wenn man dann auch die Möglichkeit schafft, Schülerkarten zu 10 Mark anzubieten.
METRO-NOM: Wie war die Vorstellung heute nachmittag?
WOLFGANG: Och, ganz gut. Ist halt klein hier der Raum, deswegen haben wir auch 2 Konzerte gemacht. Normalerweise machen wir ja nur eins.
METRO-NOM: Das Naranja ist ja ziemlich neu hier in Köln und ist auch noch nicht so sehr bekannt. Trotzdem sind beide Vorstellungen fast ausverkauft.
WOLFGANG: Das spricht sich eben rum. Gestern haben wir in Darmstadt gespielt. Der Veranstalter meinte, höchstens 1/3 der Leute seien aus Darmstadt gewesen. Der Rest kam aus Karlsruhe, Frankfurt, Heidelberg, und einer war aus Tokyo.
METRO-NOM: Was haltet ihr von der Performance einer Laurie Anderson.
WOLFGANG: Ich habe noch nie etwas von ihr gesehen. Wir hätten sie beinah getroffen bei der „Gelbe Musik“ Signierstunde, aber da waren wir gerade weg. Die Produzentin der „Gelben Musik“ produziert zwei Projekte von uns. Wir haben auch 2 Platten bei Atatak gemacht, und dann haben wir eine privat machen lassen. Da ist ein Fan von uns, seit Jahren, der hat zehntausend Mark geerbt und hat davon eine LP für achttausend Mark produziert. Vertreibt er auch selbst. Der sitzt zuhause in seiner Wohnung und hat da seinen Stapel-Platten. Er ist allerdings auch etwas unzuverlässig. Oft antwortet er nicht. Wenn die Leute unfreundlich sind, kostete die Platte ein bischen mehr, wenn sie nett sind, kostet sie etwas weniger. Manchmal ist er etwas störrisch. Ja, dann kam wieder „Gelbe Musik“, die klassische Musik und Avantgarde erfaßt, aus sehr künstlerischen Gesichtspunkten. Das ist eine schöne Kreuz- und Quer-Bewegung. Die Sachen müssen nicht an einer Stelle landen. Das finde ich das Langweilige an diesen ganzen deutschen Gruppen. Man weiß, jetzt wird das Label noch größer und dann ist Schluß. Es geht nie jemand von einem großen Label zu einem ganz kleinen, weil das dann gleich einen irrer Image-Verlust mit sich bringen würde, und die Gruppe ist dann nicht mehr „in“. Wenn man sich von vornherein diese Möglichkeiten des Wechsels schafft, kann man immer damit operieren, man hat einen größeren Freiraum.
METRO-NOM: Habt ihr überhaupt irgendwelche Kontakte zu Künstlern aus eurem Bereich? Macht ihr schon mal mit anderen Gruppen was zusammen?
WOLFGANG: Eigentlich kaum. Plan, z.B., die haben 2 Platten von uns realisiert. Wir haben unsere Platten immer bei unterschiedlichen Labels gemacht. Wir haben kein Label, bei dem wir bleiben wollen und sagen, da verpflichten wir uns jetzt.
METRO-NOM: Wollen wir hier mal abbrechen? Ich glaube ihr müßt euch jetzt fertigmachen. Eure nächste Vorstellung beginnt um 21.00 Uhr?
WOLFGANG: Och nee, lieber später, so um halb zehn, ’n bischen partymäßig.
METRO-NOM: Käthe, auf dem Gebiet der Performance und Musik sind relativ wenig Frauen dabei. Wie fühlst du dich hier mit den beiden Jungs.
KÄTHE: Gut, ja
WOLFGANG: (!!) Wenig Frauen sind also nicht dabei. Wir sind überrepräsentiert. Wir haben auch mit T[h]abea Blumenschein gespielt, sehr oft. Dann waren wir zwei Männer und zwei Frauen. Jetzt haben wir eine Mischtechnikerin, Beate, also zwei Frauen, zwei Männer. Wenn wir mit dem Auto fahren, fährt Käthe hauptsächlich.
METRO-NOM: Und die anderen saufen.
Käthe: Nein, nein, auch Beate fährt. Wolfgang hat als einziger keinen Führerschein. Nikki fährt die DDR-Strecken bis 100. Ist alles aufgeteilt.
METRO-NOM: Wer bringt denn die Ideen rein, die Lyrik, Musik, Filme, ist das ein Gemeinschaftsprojekt?
WOLFGANG: Jeder bringt was rein. Wir haben verschiedene Stärken. Es gibt eine Kontrolle dadurch, daß ein Text steht und jemand sagt: „Also das finde ich ganz bescheuert, das Wort hier oder den Zusammenhang“ oder „Das finde ich ganz toll“.
METRO-NOM: Könnt ihr von eurer Musik leben?
WOLFGANG: Wir machen auch Filme und Bücher. Na ja, leben … Wenn wir keine Lust haben, Konzerte zu machen oder es kommen nur blöde Angebote, dann arbeiten wir eben was anderes.
METRO-NOM: Also ist euch das nicht so wichtig, von eurer Musik zu leben?
WOLFGANG: Nein, aber es ist schon angenehmer, wenn wir gute Angebote haben und wenn das Honorar dann so ist, daß wir nicht unbedingt andere Arbeiten machen müssen. Die Vorbereitungszeit nimmt ja auch viel Zeit in Anspruch. Wir haben schon oft Nebenjobs gehabt.
Stimme aus dem Hintergrund: Ihr müßt euch jetzt fertigmachen!
WOLFGANG: Ja, ok. Vielleicht sehen wir uns nachher noch?
METRO-NOM: Ja, danke.

Über die Inhalt des geplanten Buches konnte ich der „Tödlichen Doris“ nichts Genaueres entlocken. Lassen wir uns überraschen …

Diese Texte stammen aus dem Kölner Fanzine METRO-NOM, Ausgabe Nr. 1,  August/September 1986.
Hier diese drei Seiten im Original-Layout als PDF:
Metronom_Nr1_1986_DieToedlicheDoris_Interview

In Interview: The Milkshakes

März 5, 2012

Am 12. April 1984 spielten THE MILKSHAKES aus England wiedermal im [Jugendzentrum] Falkenhof in Würzburg. Dieses Konzert war inzwischen schon ihr fünftes in Würzburg (1x Kulturkeller, 1x Omnibus, 3x Falkenhof) und endlich haben wir es gewagt, so schüchtern wie wir sind, ein Interview (oder sowas) mit ihnen zu machen. Trotz mäßigen Englischkenntnissen und unleserlichen Notizen nun das langersehnte Interview mit THE MILKSHAKES:

Oi Oi Oi!:
Wer sind die MILKSHAKES?

The Milkshakes:
Die MILKSHAKES sind Billy [Childish], Bruce [Brand] (beide Ex-POP RIVETS), John [Gewen] und Micky [Hampshire]. Ursprünglich waren die POP RIVETS und THE MILKSHAKES zwei voneinander unabhängige Bands, aber seit 3-4 Jahren machen wir zusammen als THE MILKSHAKES weiter.

O: Wie würdet ihr eure Musik bezeichnen?

M: Rock’n’Roll, Acid Punk, Cycle Motobilly, Rhythm’n’Beat.

O: Spielt ihr die Musik eurer Väter?

M: Einige unserer Songs sind von unseren Vätern, aber die meisten Titel haben wir selbst geschrieben.

O: Wollt ihr mit euren Texten etwas sagen?

M: Eigentlich weniger. Meistens geht’s um Frauen, um Autos und ums sich zulaufen Iassen.

O: Welche Musik hört ihr so?

M: Nur gute Musik aus den 50er, 60er und 70er Jahren, weniger aus den 80er. Vor allem halt alte Songs.

O: Was haltet ihr von Gruppen wie SOFT CELL oder DEPECHE MODE?

M: Fucking creeps!

O: Und was haltet ihr von SHAKING STEVENS?

M: Bruce ist sein Sohn! Außerdem war Bruce Sessiondrummer bei NENA’s „99 Red Ballons“.

O: Warum nennt ihr euch eigentlich THE MILKSHAKES?

M: Als wir mal durch irgendeine Straße gingen, kamen uns 6 (oder 122) Schwarze entgegen und sagten zu uns „Ab sofort nennt ihr euch THE MILKSHAKES!“.

O: Warum veröffentlicht ihr eure Platten auf einem unabhängigen Label?

M: Wir wollen nicht, dass uns irgendeiner sagt, was wir spielen sollen und wieviel Platten wir im Jahr aufnehmen müssen. Wir sind froh, dass wir ein unabhängiges Label gefunden haben und machen was wir wollen.

O: Wie fühlt Ihr euch auf der Bühne?

M: Besoffen. Einfach zuviel Bier. Während unserer Auftritte trinken wir meistens zwei Flaschen Whiskey und etliche Biers.

O: Wer kommt denn so zu euren Auftritten?

M: Total verschiedene Leute. Teds, Punks, normale Leute. Auch ältere, die diese Musik gehört haben, als sie noch jung waren, in den frühen 60er Jahren. Ich würde sagen, wir haben ein Publikum im Alter zwischen 14 und 40. Nur die 12jährigen Mädchen kommen meistens nicht, weil ihre Großmütter sie vor uns einsperren müssen.

O: Wie steht ihr zu eurem Publikum?

M: They pay, we bless them!

O: Um was geht’s euch bei euren Auftritten?

M: Vor allem ums Feeling! – Aber vom Feeling kriegt man kein Geld!

O: Seid ihr berühmt?

M: Weniger. Wir nehmen selbst auf und verkaufen unsere Platten in der ganzen Welt. Wir spielen halt und machen Platten. Bis jetzt gibt’s von uns vielleicht 30.000 – 40.000 Platten. Am 1.2.1984 haben wir ja vier LPs an einem Tag herausgebracht, die wir alle in ein paar Wochen aufgenommen haben. Insgesamt haben wir jetzt 8 LPs in drei Jahren herausgebracht und zwei Singles.

O: Könnt ihr von eurer Musik leben oder arbeitet ihr auch?

M: Von der Musik können wir nicht leben. John hat seine Arbeit aufgegeben, als wir nach Deutschland gingen. Bruce hat noch einen Job als Kellner in ner Bar. Der Rest lebt von der Wohlfahrt.

O: Welche Zahnpasta benutzt ihr?

M: Keine, weil wir sowieso so nach Bier stinken, dass es egal ist.

O: Was haltet ihr vom deutschen Bier?

M: Davon kann man Fässer saufen ohne dass man besoffen wird!

O: Könnt ihr eigentlich auch Deutsch?

M: Nein, aber Bruce spricht ein bißchen Deutsch.

Bruce: Dummkopf! Doof!

O: Was erlebt Ihr so auf Euren Trips durch Europa?

M: Ja, wir sind illegal über die DDR-Grenze gefahren, als wir nach Berlin fuhren. Dabei hat sich Gary (ihr Roady) den Arm gebrochen.

Gary: Micky lügt wie gedruckt

O: Stimmt das?

Micky: Ja, stimmt!
(hä?)

O: Was habt ihr so für Lieblingsausdrücke?

M: ‚Get out of your milk!‘, ‚Fucking shit!‘, ‚Where’s the whiskey?‘, ‚Where are the 12-year-old girls?‘, ‚Shaggy wiggy, ‚Knick Knock‘.

O: Und was heißt ‚Shaggy wiggy‘ oder ‚Knick knock‘?

M: Keine Ahnung. Haben wir gerade erst erfunden! Vielleicht was anderes für Fuck.

Nachdem uns dann keine Fragen mehr einfielen und uns die MILKSHAKES auch nicht mehr mit anderen Fragen weiterhelfen könnten, bestiegen sie irgendwann die Bühne und begannen zu spielen. Ihr erster Titel: „Let’s rock“. Ein guter Einstieg, denn THE MILKSHAKES rockten und rollten ziemlich los.
Ihre Musik: eben Rhythm’n’Beat, so wie er Anfang der 60er gespielt wurde. Manchmal hört man auch alte Songs von BO DIDDLEY, KINKS oder den BEATLES, die von den MILKSHAKES allerdings schneller und härter als im Original gespielt werden. Fetz, fetz. Rock, rock.
Kurz vor Ende ihres Konzertes brachten sie noch ein paar krönende, lustige, kurze Showeinlagen: Micky, Billy und John, die Gitarren/Bass in MP-Haltung gehen wie Tiger auf die Mädels los und schauen ihnen tief in die Augen, oder so. Nach etlichem Alk und zwei Zugaben („I wanna be your man“ und ein Instrumental, verließen die 4 MILKSHAKES dann fluchtartig den Saal. Im großen und ganzen ein absolut gutes Konzert! Beste Beatmusik von vier lustigen Engländern. Also, wenn THE MILKSHAKES das nächste Mal irgendwo spielen, nichts wie hin!

lym/del.toid/dom
(heißen Dank an DHT-project und einen Gruß an Hansi [Steinmetz]!)

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Dieser Text stammt aus dem 4. Heft des Würzburger Fanzines Oi Oi Oi! (später 10.15 bzw. 10.16 Megazine), erschienen im Juli 1984.