
Mein Eindruck vom Reeperbahn-Festival 2011
(22.-24. September 2011, verschiedenste Örtlichkeiten, Hamburg)
Schon wahnsinnig, da kommen fast 200 Bands an drei Tagen nach Hamburg auf das Reeperbahn-Festival. Einige sind etwas bekannter, die meisten eher nicht. Und so muss man sich bei der eigenen Programmgestaltung und der damit verbundenen Auswahl am besten auf Tipps von Freunden, den eigenen Instinkt oder den Zufall verlassen. Ich habe mir meist ein paar Fixpunkte gesetzt mit Bands, die ich auf jeden Fall mal sehen wollte, der Rest durfte sich ergeben.
Nicht nur die Bands und Veranstaltungsorte wurden immer mehr, auch das Beiprogramm mit Kunst und Campus (anscheinend so eine Art Branchentreff oder wasauchimmer) umfangreicher. Es gab sogar Lesungen und einen Poetry Slam. Die täglichen Programmzettel wurden dadurch ganz schön breit.
Die interessanteren Konzerte fanden eher in den kleinen Clubs statt. So gibt es in der Hasenschaukel meist interessante LiedermacherInnen zu erleben, beispielsweise MIREL WAGNER mit wunderbaren, etwas düstere Songs und eher zurückhaltendem Gitarrenspiel. Ihr Song „No Death Can Tear Us Apart“ ist einfach faszinierend. Schade nur, dass diese kompakten Veranstaltungsorte immer so schnell überfüllt sind. In der Molotow Bar musste man sich richtig rausquetschen um zum nächsten Konzert zu hechten.
Dort überraschte mich das Power Trio PAPER (Drums, Gitarre, Keyboards, Gesang) aus Schweden mit Ihrer gnadenlosen Mischung aus Punk Rock und Synthie Pop. Hätte vielleicht gut zur APPARAT ORGAN BAND gepasst, die ich mir gerne angesehen hätte, wenn sich deren Gig nicht mit dem von HERMAN DUNE überschnitten hätte. Dieser legte mit zwei Mitmusikern in der gediegenen Atmosphäre der Fliegenden Bauten einen schönen Auftritt hin, der mir anfangs etwas zu rockistisch erschien, mir aber später immer besser gefiel. Sympathischer Singer-Songwriter-Folk-Rock, jetzt ganz ohne „Anti-“ vor dem „Folk“.
Gut gefallen hat mir auch der Auftritt der Hamburger Frauenband DIE HEITERHEIT. Ich vermute, dass sich die Musikerinnen gerne auch Parole Trixi und Britta anhören. Schöne schrammelige, melancholische Gitarrenmusik mit deutschsprachigen, von einer relativ tiefen, angenehmen Stimme vorgetragenen Texten, für die manchmal fast ein Einzeiler genügt. Danach spielte ANNIE B SWEET in Angie‘s Nightclub. Aber das war mir zu süss und zuviel La La und dann coverte sie auch noch diesen langweiligen Hit von Aha.
GABBY YOUNG & OTHER ANIMALS war so ungefähr das Gegenteil von DIE HEITERKEIT, nämlich eine extrovertierte Jazz-Pop-Showtime mit abwechslungsreicher Musik, zum Mitsingen und Mitklaschen. Young wäre wohl gerne Opernsängerin geworden und singt in den höchsten Tönen, während ihre Musiker Freude daran haben dem Publikum ihre Könnerschaft unter Beweis stellen zu können. Das ist Entertainment pur. Aber ich möchte nicht unterhalten werden – ich möchte interessante Musik hören.
Das Konzert vom MICHAELA MEISE fiel am stärksten aus diesem Singer-Songwriter-Indie-Pop-Rock-Rahmen. In der (evangelischen) St. Pauli Kirche spielte sie alte (katholische) Kirchenlieder, die bis ins 16. oder 17. Jahrhundert zurück reichen – und zwar auf einem Akkordeon! Als Einstieg interpretierte sie aber noch das Lied „König“ von Nico. Durch das schnörkellose Akkordeon-Spiel und ihrer hellen Stimme bekommen diese Lieder eine schlichte Schönheit. Bei den letzten beiden Liedern wurde sich noch von Anna Voswinckel gesanglich unterstützt (selbiges tat übrigens auch Dirk von Tocotronic von Lowtzow auf ihrer LP bei „Preis dem Todesüberwinder“). Schade, dass nicht so viele Leute den Weg in die Kirche gefunden haben.
Am letzten Tag habe ich als erstes den Weg in eine Lesung geschafft. Im Imperial Theater trug TINO HEINEKAMP Ausschnitte aus seinem Klub-und-Kiez-Roman „Sowas von da“ vor. Ebenso wie sein Buch begann diese Lesung mit einem Knall. Schreckschusspistole. Das Ganze war sehr amüsant, da er gerne auch auf das Publikum eingeht, sich selbst unterbricht um Sachen anzumerken oder im Text erwähnte Songs einspielt. Als Intro wurden filmische Sankt-Pauli-Impressionen aus den 50er Jahren gezeigt; in der Halbzeitpause wurde Andreas Dorau gespielt.
Den zweiten Teil erlebte ich nicht mehr, weil ich noch Francis International Airport im Grünen Jäger sehen wollte und der ist ungefähr einen Kilometer von der Reeperbahn entfernt (vielleicht sollte man sich einen neuen Namen für das Reeperbahn-Festival ausdenken?). Der Grüne Jäger ist übrigens eine optimale Location wenn man nur ein paar Meter vor der Bühne stehen und gleichzeitig die Band doch nicht sehen möchte. Hören konnte man jedenfalls angenehmen Indie-Pop mit schönen Feedback-Flächen.
Im Molotow hatte dann die englische Band FIXERS ihr Debüt auf dem europäischen Festland und gab nervösen Indie-Rock zum besten, der hinsichtlich Gesang und Electronics stellenweise Anleihen bei Animal Collective nahm, aber ansonsten viel strukturierter und härter als diese daher kam.
Das Konzert von Ja,Panik! im Grünspan war für mich dann der krönende Abschluss. Indie-Gitarren-Mucke mit Klavier und deutsch-englischsprachiger Kauderwelsch-Lyrik. War eh klar, dass das gut wird.
Dummer Nebeneffekt des Reeperbahn-Festivals:
Ab sofort kann ich keine Gitarrenmusik mehr hören. Überall Gitarren, Gitarren, Gitarren. In jeder Band mindestens eine. Ich kann nicht mehr. Jetzt erstmal als Gegengift Musik von The Gamelan Orchestra From Pliatan hören…
