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Der Provokateur und die Dame

April 24, 2010

Kommisar Hjuler und Frau
(live in der Hörbar, Hamburg, 29.06.2007)

Jeden letzten Freitag im Monat veranstaltet der Hörbar e.V. im Kino B-Movie auf St. Pauli Konzerte mit elektroakustischer improvisierter Musik. Dass dort auch Kommissar Hjuler und Frau auftauchen würde, habe ich durch Umwege erfahren – nämlich bei meiner Internet-Recherche zum Stichwort Dieter Roth. Ausgerechnet bei einem bekannten Internetauktionshaus stieß ich in diesem Zusammenhang auf unseren alten Bekannten, der in einer Artikelbeschreibung zu einem seiner Elaborate auf diesen Termin und ein etwaiges Anti-Konzert hinwies. Wenn das kein Grund ist, endlich mal in der Hörbar vorbeizuschauen!

Auf der ansonsten leeren Bühne war fast nur ein Stuhl mit einem riesigen Teddybären, ein Verstärker und eine von der Decke herab hängende Polizeiuniform zu sehen. Irgendwann wurde Musik (so nenne ich das einfach mal) abgespielt. Monotoner Rhythmus, Frauenstimme, Geschrei, Freddy Teardrop, wieder mal eine Cover-Version, diesmal muss Suicide dran glauben (fast hätte ich Teddy statt Freddy geschrieben…). Das geduldige Publikum lauscht und wartet ab ob da auf der Bühne noch mal was passieren wird. Nach geraumer Zeit erhebt ein Herr im Publikum seine Stimme und beginnt zu meckern – wie lange soll das denn noch so gehen? – passiert da noch was? – vorspulen! – das kann ich auch! Besagter Provokateur geht nach vorne, reißt die Uniform von der Decke und bringt die Leute am Mischpult dazu, ihm eine monotone Basstrommel einzuspielen, betritt die Bühne und beginnt mit zwei kleinen Schellenkränzen und Stimme in diesen primitiven Rhythmus einzusteigen – um zu beweisen dass er das halt auch kann; sich dabei aber auch irgendwie zum Affen macht. Kurz darauf betritt eine junge Dame die Bühne, setzt sich auf den vorher vom Teddybären belegten Platz und beginnt mit schriller Stimme zu singen. Natürlich war der Provokateur Kommissar Hjuler höchstpersönlich, die Dame seine Ehefrau Mama Bär und die Überraschungs-Aktion mit den mitspielenden Veranstaltern abgesprochen. Sonst hätte vielleicht noch jemand die Polizei gerufen. Das Publikum hat den Braten frühzeitig gerochen und machte eher einen amüsierten als einen irritierten Eindruck. Endlich mal Humor und echte Unterhaltung! Nicht immer nur Lauschen, Lauschen, weißes Rauschen. Haben wir Hjuler die ganze Zeit verkannt? Ist er so etwas wie ein verkappter Helge Schneider der Noise-Kultur? Nein, so weit kann man nun wirklich nicht gehen! Mama Bär und Kommissar Hjuler sehen sich als ernstzunehmende bildende Künstler im Bereich Malerei bzw. Skulptur, wie Papa Bär nach der Performance dem Publikum erläuterte, nicht ohne noch zu erzählen, dass er mittlerweile auch Leute wie Thurston Moore zu seinen Fans zählen kann.

Bei den beiden darauf folgenden Projekten ging es leider weniger amüsant und wesentlich introvertierter zu.

PS: Am Tag nach diesem Konzert feierte Kommissar Hjuler seinen 40. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!

(Wiederveröffentlichung aus dem Jahr 2007, geschrieben für Bad Alchemy)