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Ola!

Juni 30, 2012

Alexandra Tobor – Sitzen vier Polen im Auto
Teutonische Abenteuer
(Taschenbuch, Ullstein, 2012)

So richtig schön werden sogenannte soziale Netzwerke erst, wenn sie ins Echtleben (RL) übergreifen, wenn man den Menschen, die hinter den Avataren stecken, plötzlich über den Weg läuft – oder sich deren Werke materialisieren, beispielsweise als Bilder oder Bücher. Die allseits bekannte Twitterin @silenttiffy aka Alexandra Tobor (* 1981), Urheberin des Begriffs „Öpve“, hat nun ihr erstes Buch veröffentlich, in dem sie ihren sogenannten Migrationshintergrund (seltsames Wort, btw.) verarbeitet. Das verwundert nicht, schließlich hat sie auch schon mal einen Text zum Thema Heimat in einer Broschüre der Wiesbadener Designagentur Stijlroyal veröffentlicht.

Tobor erzählt in ihrem Buch die Geschichte eines 8-jährigen  Mädchens, das mit ihrer Familie von Polen nach Westdeutschland ausreist, ausgerechnet kurz bevor der Eiserne Vorhang fällt. Für Leute wie mich, die in Deutschland geboren wurden, ist der neugierig-naive Blick eines ausländischen Kindes sehr interessant. Was hier allgegenwärtig war, hatte dort fast schon Kultstatus. Und wie es so in einem Übergangslager seinerzeit zuging wußte ich auch nicht wirklich. Alexandra Tobor hat das alles erlebt und weiß darüber durchaus amüsant zu erzählen. Schließlich geht es ja nicht nur ums Aus- und Einwandern, sondern auch ums Aufwachsen, um Schule, Freunde und Freundinnen. Und natürlich um die resolute Oma Greta, die gegen Ende einen filmreifen Auftritt bei ihrer überraschenden Ankunft im Übergangsheim ihrer Nachkommen hat.

Das alles beschreibt Alexandra Tobor in einer wunderbar zu lesenden, schnörkelfreien, präzisen Sprache, die einen einfach im Lesefluß hält. Die Geschichte endet so ungefähr mit der Erstkommunion der Ich-Erzählerin, die zufälligerweise den Vornamen der Autorin trägt. So manches mag also irgendwie autobiographisch sein, aber letzten Endes wird es doch ein fiktionales Destillat darstellen.

Schade, daß hier nichts aus pubertären Phasen berichtet wird. Vielleicht wäre es in Richtung „Autobigophonie“ von Françoise Cactus (Lolitas, Stereo Total, Wollita) gegangen. Aber das wäre reine Spekulation.

Auf Soundcloud gibt es die ersten beiden Kapitel übrigens als „Hörspiel-Teaser“. Anhören!

Ach, und hier hat Daniel Decker die Autorin ausgefragt:
www.kotzendes-einhorn.de

PS:
Bitte nicht vom Buchtitel abschrecken lassen, der klingt wie die ersten Worte eines schlechten Witzes. Das hat wohl der Verlag verbrochen.

GZ,
26.06.2012