Posts Tagged ‘Wien’

Bonjour Traurigkeit

Februar 11, 2014

NicoPanik

DMD KIU LIDT
(Georg Tiller, Antimusikfilm, 55 min., 2014)

Am vergangenen Sonntag habe ich es das erste Mail in meinem Leben auf die Berlinale geschafft – und dann gleich eine Weltpremiere. Im Delphi-Kino wurde ein Film über die in Berlin ansässige Band JA, PANIK auf die Leinwand geworfen.

„DMD KIU LIDT“ wurde als Antimusikfilm angekündigt. Das „Anti“ finde ich etwas übertrieben, auch wenn es hier so gut wie keine Musik zu hören gibt, schließlich geht es hier ja und eine Musikgruppe. Gesprochen wird auch fast nichts. Dafür gibt es schöne Schwarzweiss-Bilder zu sehen: rauchende Gestalten, Grashalme im Wind, Menschen an Tankstelle, im Auto, im Bus, im Hotelzimmer, im Club vor dem Konzert, im Proberaum, einzeln und in kleinen Gruppen, noch mehr dekoratives Schaurauchen, ernste Mienen, zwei Männer auf der Trabrennbahn (soll wohl kapitalismuskritisch sein), Leute in albernen Klamotten durch die Landschaft wandernd und am Grab der verehrten Nico Päffgen lungernd und cool paffend. Langsamkeit und Tristesse machen sich breit, das stumpfe Tourleben der Musiker. Die Tonspur unterstützt mit den passenden Umgebungsgeräuschen den Eindruck der Bilder. Wenn man die Band an ihren Instrumenten sieht, wird bald der Stecker gezogen und zusammengeräumt.

Erfrischenderweise sind keine informativen Einspielungen aus dem Off zu hören. Wenn mal geredet wird, dann beispielsweise über das ausgetretene Bandmitglied und wie es weitergehen wird. Amüsant die Unterhaltung von Andreas Spechtl mit Christiane Rösinger im Kleinwagen während einer (Lese-) Tour über Depression, Prokrastination und was man demnächst machen könnte. Auch schön die Szene auf der Oberbaumbrücke vor dem riesigen Logo des Universal-Hauses, in der kurz über Plattenverkäufe und Fans geredet wird.

Abgesehen von der Rezitation eines Hans Unstern-Liedes durch ihn selbst, im Fond des Tourbusses, gibt es Musik wirklich nur am Ende, im Abspann zu hören. Dann wenn die Bilder verschwunden und nur noch weiße Lettern auf Schwarz zu lesen sind, ertönt ein Ausschnitt aus dem Song „DMD KIU LIDT“. Diese Buchstaben, das weiß jeder JA, PANIK-Fan, steht für „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“.

Irgendwie stellt dieser Film auch eine kleine Zeitreise in die jüngste Vergangenheit dieser Musikgruppe dar. Das filmtitelgebende Album „DMD KIU LIDT“ erschien bereits 2011. Mittlererweile sind zwei Bandmitglieder ausgestiegen und eine neue Platte wurde Ende Januar 2014 ausgeliefert.

Trailer:
vimeo.com/85782834

GZ,
11.02.2014

Fantas Schimun in Gold

Januar 21, 2014

goldenballs

FANTAS SCHIMUN – Golden Balls
(LP / DL, KETO Recordings, KETO-001-2013, 2014)

Auf ihrer letzten Veröffentlichung, der Doppel-LP „Variationen über die Freiheit eines anderen / Der Himmel ist blau – Ein Alptraum in Stereo“ (erschienen 2010 bei ZickZack), wurde zum Mars geflogen – jetzt ist Fantas Schimun wieder „Back To The Present“, so der erste Songtitel ihres im Januar 2014 erscheinenden Albums „Golden Balls“, das auf ihrem eigenen Label KETO Recordings veröffentlicht wird – in den Darreichungsformen Vinyl und Download.

Acht eigentlich recht unterschiedliche Songs gibt es hier zu hören, die dennoch ein weitgehend gemäßigtes Tempo gemeinsam haben, alle irgendwie fast schon Nacht(sunterwegs)musik. Jazzklangfarben gebende Instrumente wie Kontrabass, Vibraphon oder Fender Rhodes Piano ertönen und tauchen die Musik in elegant nächtliches Blauschwarz. „Aaahrgh“ klingt fast so als hätte Bohren und der Club of Gore gute Laune. Bei „Bunch“ gibt es ein mehr oder weniger verstecktes Harry Belafonte-Zitat und beim sanft groovenden „Back To The Present“ die wie durch ein Telefon bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Stimme von Max Müller (Mutter) zu hören. Es wird in verschiedenen Sprachen gesungen und nicht immer von Fantas Schimun selbst. Der in französischer Sprache mit sonorer Sprechstimme vorgetragene und von Akkordeon geprägte Song „Los Muertos“ erinnert mich warumauchimmer an Albert Marcoeur – dabei singt Kouassi Penicka. Und der Song, der mich warumauchimmer an Ursula Rucker erinnert wird von Elinor Mora vorgetragen.

Und dann gibt es auch noch diese wunderbare Version von „Hello“ (im Original von Lionel Richie), gesungen von einem imaginären (?), fast schon gospelig anmutenden Chor. Stimmen pur, in sich ruhend, voller Seele.

Eine Platte mit überraschender Deepness sowie herzergreifender, aber keineswegs ungebrochener Schönheit.

Download ist wohl ab Ende Januar 2014 verfügbar, das limitierte Vinyl kann man bereits bestellen. Nähere Infos zu den Bezugsquellen:
fantasschimun.wordpress.com

GZ,
20.01.2014

Schimun

Fantas Schimun in Schwarzweiss

 

Kassette sich wer kann!

April 22, 2010

Frank Apunkt Schneider:
Als die Welt noch unterging – Von Punk zu NDW
(Ventil Verlag, 2007, ISBN 3-931555-88-7)

Endlich komme ich dazu, dieses Buch zu lesen. Dessen Autor Frank Apunkt Schneider begegnete mir erstmals vor etlichen Jahren im Fanzine Der kosmische Penis als „King-Crimson-Ironiker“, dann als Mitglied der Ernst Neger Revival Band (ihr Hit: „Frauen über 30“) und der Künstlergruppe Winkelwurst sowie als Sacro-Pop-Experte, Lashcore-Cassetten-Compiler und Hörspielautor. Später schrieb er lieber für renommierte Fachmagazine wie Bad Alchemy und natürlich Testcard. Kunst macht er heutzutage unter der Wiener Dachmarke Monochrom. Er lebt, arbeitet und organisiert im oberfränkischen Bamberg.

Bei Testcard und Monochrom ist es ja durchaus üblich, als Fan an die Sachen ranzugehen, aber diese möglichst akademisch zu behandeln – oder umgekehrt. Wozu hat man schließlich irgendetwas geisteswissenschaftliches studiert?! Bei „Als die Welt noch unterging“ bekommt Apunkt aber noch ganz gut die Kurve, hier wird zwar auch manchmal wortreich diskursiert, aber der Musikfan dominiert dann doch. Eine eindeutige Definition dieser NDW kann und will Schneider nicht liefern. Vielmehr zeigt er, wie es zu diesem Begriff kam und dass es ihn womöglich auch schon vor Alfred Hilsberg gab. Um das Thema einzugrenzen schaut er nur bis etwa 1984 – Frank Apunkt Schneider war in diesem Jahr erst 15. Er bezeichnet sich selbst als „knapp Zuspätgekommener“. Was seiner Sammelwut und Sachkenntnis aber offensichtlich keinen Abbruch tut. Diese, wenn auch kurze, Distanz zum Thema tut dem Buch gut, man kann hier gottseidank keine nostalgisch verklärten Anekdoten eines ex-Mittendringewesenen lesen. Vielmehr versucht Schneider das Phänomen Punk und NDW in deutschsprachigen Landen (Österreich, Schweiz und die DDR werden ebenfalls angeschnitten) von verschiedensten Seiten her einzugrenzen. Was garnicht so einfach ist. Denn die Ränder fransen aus, sind unscharf und keineswegs eindeutig. Daher sei ihm auch verziehen, wenn Frank Apunkt in allgemeine, nicht nur für Deutschland spezifische Aspekte dieser Musikgeschichte abdriftet. Interessant ist das auf jeden Fall, auch wenn er manchmal dann doch ins Akademische verfällt und stellenweise vielleicht etwas zu viel Adorno und Horkheimer geraucht hat. Allerdings landet er während seinen Abschweifungen aber auch Seitenhiebe, die man lachend begrüßen muss. Das Schwurbeln hat er also nicht verlernt und seine Wortneuschöpfungen sind amüsant bis erstaunlich. Irgendwie ist genau dieses Diskursive das Schöne an Alcos Buch. Es wird abgeklopft was vorher, nachher, parallel so alles passierte. Und er wagt sich in den unübersichtlichen Untergrund der damaligen bundesdeutschen Kassettenszene. Diese wurde wohl in noch keinem anderen Buch über Punk und NDW so ausführlich gewürdigt. Auch wird hier die Provinz besser repräsentiert als in manch anderen Büchern zum Thema. Meist wird deutscher New Wave ja als Bewegung aus Düsseldorf, Westberlin, Hamburg und vielleicht noch Hannover und Hagen abgefeiert. Aber dass insbesondere in einzelnen Kleinstädten ein Urwuchs an Bands und Kassettentätern wucherte, wird meist vernachlässigt. Frank Apunkt Schneider versucht dies auch in der umfangreichen Disko- und Kassettografie abzubilden – was für eine Fleißarbeit! Offensichtlich hat er ein Herz für Sammler und berücksichtigt sogar die ein oder andere Phantomplatte, die zwar in der Primär-Literatur auftaucht, aber sich wohl nie materialisiert hat. Insgesamt sehr interessante, aber nicht gerade einfache Lektüre. Eher etwas für Fans der untergründigen Neuen Welle, für Leute, die es genau wissen wollen, und weniger für ich-will-spaßige NDW-Partygänger.

21.04.2010

Fantas Schimun in Stereo

Januar 16, 2010

Fantas Schumi Cover

FANTAS SCHIMUN
Variationen über die Freiheit eines anderen /
Der Himmel ist blau – Ein Alptraum in Stereo

(DoLP, ZickZack, ZZ 2026)

Zuerst erscheint mir der Name dieser aus Wien stammenden Künstlerin unbekannt. Aber dann kommt mit dem vierten Titel ein Wiedererkennen: „Ich bin bis auf weiteres eine Demonstration“ war anno 2003 der Titelgeber einer ZickZack-Compilation. Auf selbigem Label ist nun eine Doppel-LP erschienen, die sich deutlich zweiteilt. Auf den Plattenseiten drei und vier wird eine Art Hörspiel dargeboten, in dem es um Liebe, Eifersucht und einen der ersten Billigflüge zum Mars geht. Bestechend schön die Nebeneffekte der in der Tonhöhe künstlich veränderten Stimmen. Unterbrochen wird diese medienkünstlerische Heimarbeit immer wieder durch songartige Stücke – wobei „Eia weia weg“ bereits auf einem weiteren ZickZack-Sampler zu finden war. Abgeschlossen wird dieses Werk durch „Herztropfen für‘s All“, einer Cover-Version des S.Y.P.H.-Songs „Nur ein Tropfen“. Das war nun also vermutlich der aus älteren Zeiten stammende Bonus zum eigentlichen Album. Während das Hörspiel und die Samplerbeiträge ungezwungen experimentell anmuten, wirken die neueren (?) Stücke eher wie urbane Folk Songs. Über Loops von beispielsweise Vogelgezwitscher und Bahnlärm oder rückwärts laufenden Spuren singt Fantas Schimun zur akustischen Klampfe in englischer und deutscher Sprache – und läßt sich dabei ab und zu gerne von elektrischem Gitarrenlärm stören. Das ist stellenweise herzzerreißend schön, z.B. bei „Everythings’s Far“ oder „Forget Her“. Und der instrumentale Titelsong „Variationen über die Freiheit eines anderen“ erinnert fast ein bißchen an das Penguin Cafe Orchestra. Keine Platte aus einem Guss, eher ein Sammelsurium, aber sympathisch und mit sehr schönen Perlen! Eine EP nur mit den englisch gesungenen Titeln (inkl. „Bon Tempi“) könnte ein Verkaufsschlager auf dem Mars werden.

(geschrieben am 14.01.2010 für Bad Alchemy 65)