Freakshow: YOU CAN DANCE!

Foto: Monika Baus / artrockpics.com

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uKanDanZ, live at Cafe Cairo, Würzburg, 29.01.2015

„Jump to Addis: Europe Meets Ethiopia“ war die implizite Botschaft der denkwürdigen Freakshow ‎am 29.01.2015 im Würzburger Cairo. Und die explizite: „uKanDanZ“, sprich YOU CAN DANCE! Ihr oberster Botschafter ist Asnaqé Guèbrèyès aus der Kaffeeprovinz Sidamo, dessen Weg ihn als Trommler des blinden Sängers Mohammed „Jimmy“ Mohammed letztlich nach Lyon führte, wo er seit vier Jahren mit uKanDanZ ‚Ethniopian Crunch‘ anstimmt, Musik, wie er sie von The Ex und Zu kennengelernt hat. Dass es die Band nun auf dem Weg von Genf nach Kopenhagen in die Hauptstadt Freakaniens verschlug, hat gleich zwei Gründe, nämlich Benoit Lecomte (von Ni) am E-Bass und vor allem Guilhem Meier (von Poil) an den Drums. Freakischer als Poil geht’s kaum. Dazu röhrt und schwitzt Lionel Martin am Tenorsax, und Damien Cluzel (von Man Bites Dog und Kouma), der Guèbrèyès schon 2001 auf einem Sprung nach Addis Abeba begegnet war, cruncht harsche Gitarrenriffs.

Denkwürdig machte diesen Abend aber nicht die Musik allein, sondern das Publikum. Eingeladen waren nämlich jugendliche Flüchtlinge vom Horn von Afrika, um ihnen diesen Abend und diese Musik (inklusive einem Freigetränk) zu schenken. Und sie kamen. Aus der ganzen Umgebung, mit ihren Betreuer/innen von der Caritas/Don Bosco etwa und anderen Einrichtungen, dutzendweise Teenager, meistens Jungs, die anfangs zwischen schüchtern und cool schwanken. Unbekanntes muss beschnuppert, Bekannte müssen begrüßt werden. Was für ein Gewusel. Mit der nicht alltäglichen Situation gilt es erst mal klar zu kommen und mit der Crunchiness der Musik erst mal warm zu werden. Aber uKanDanZ heizt ein, so sehr, dass Lecomte, Meier und Martin bald die Oberkörper frei machen, um des Schweißes Herr zu werden. Auch Guèbrèyès kommt mit dem Wischen kaum mehr nach. Ein Timbre wie seines, das gibt es nur in Afrika, und seine Texte klingeln dem einen oder andern der jungen Hüpfer dann doch in den Ohren. Es wird gezuckt, es wird getanzt. Zu einer eigenwilligen Mixtur aus äthiopischen Liedern und europäischem Zunder, Jazzcore, Hardrock, ROCK’N’ROLL! Afrofunky as hell, und immer wieder auch mit Gefühlsüberschwang! Guèbrèyès gibt alles. Hört doch nur, wie er bei ‚Lantchi Biyé‘ mit ‚meckerndem‘ Vibrato großes Pathos inszeniert, wie er bei ‚Belomi benna‘ wie ein Esel i-at. Immer wieder fordert er dann auch mit rhythmisch wiederholten Rufen Resonanz ein. Doch erst als er sich ‚unters Volk‘ mischt, gibt es kein Halten mehr. Ein Kesser springt nun umgekehrt zu ihm auf die Bühne, um mit ihm zu shaken und sich mit Küsschen zu bedanken. Und der nächste tut’s ihm nach und posiert für die Freunde und die paar Girls, die es zu beeindrucken gilt. Wenn Multikulti immer so scheitert, dann bitte: Zugabe! Und die gibt es, bis zur Erschöpfung der Musiker, die einem ein wenig leid tun können. Alle feiern, nur sie müssen arbeiten. Danach gibt es noch ein bisschen kollektives Aftershow-Geschwofe zu rastasoftem Reggae. Einer sagt hinterher: Sowas gibt es sonst nur beim Sport – flache Hierarchien, organische Autorität und die spielerische Integration der kleinen Unterschiede. War das jetzt ein Beispiel für Freak-Politik? Jedenfalls war es ein Beispiel für: Tue Gutes und rede nicht groß drüber. Dem Würzburger Bürgersinn, der sich ja allmontäglich und nicht erst gegen die dumpfen Pegida-Parolen als aufgeweckt erwiesen hat, entspricht diese Freakshow jedenfalls in ihrer inoffiziellen Selbstverständlichkeit ganz gut. Ohne populistische Abstriche zu machen. Wem abendländische Kultur ein Anliegen ist, sollte, bei allem Respekt vor dem gut Gemeinten, die Ansprüche doch bitte etwas höher schrauben als auf Kaisermania- oder Grölemeyer-Niveau. Es muss ja nicht immer Charly sein, ein Je suis Asnaqé und Je suis Guilhem genügt vollkommen.

Rigobert Dittmann,
Bad Alchemy 84

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